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»Vergebung ist wichtiger als Rache«

Viggo Mortensen über sein zweites Regieprojekt »The Dead Don’t Hurt«, klassische Westernplots und was an ihnen überholt ist

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Mit »The Dead Don't Hurt« reitet Mortensen den Western-Klischees davon.
Mit »The Dead Don't Hurt« reitet Mortensen den Western-Klischees davon.

Nach den Western »Appaloosa« (2008) und »Hidalgo« (2004) schwingen Sie sich nicht nur aufs Pferd, sondern auch auf den Regiestuhl. Stand es von Anfang an fest, dass Sie mit »The Dead Don’t Hurt« einen Western umsetzen möchten, oder haben Sie auch darüber nachgedacht, die Geschichte in einer anderen Zeit anzusiedeln?

Nein, ich hatte ein Bild von einer starken, unabhängigen Frau im Kopf. Sie im 19. Jahrhundert an der westlichen Grenze an einem Ort anzusiedeln, der von Männern beherrscht wird, die gewalttätig und korrupt sind, fand ich interessant. Viviennes Charakterzüge basieren auf meiner Mutter. Sie war wie Vivienne eine ganz normale Frau, eine Mutter und Hausfrau mit starken Ideen und einer sehr unabhängigen Denkweise.

Hat Sie das einfache Setting eines Western-Schauplatzes nach Ihrem emotional starken Regiedebüt »Falling« (2020) besonders angezogen?

Vielleicht. Bei einem guten Western ist es wie bei jedem guten Film. Oft ist es genauso wichtig, was man nicht zeigt und was man nicht sagt. Visuell wollte ich unbedingt einen klassischen, aber guten Western drehen, bei dem die Details historisch korrekt sind und der ethnisch wie auch sprachlich die Zeit widerspiegelt. Als Geschichtenerzähler möchte man keinen Mythos über die Vereinigten Staaten fördern, der einfach falsch ist. Auch ist niemand perfekt, die ganze Zeit über mutig und trifft jedes Mal das Ziel.

Interview

Viggo Mortensen, 1958 in New York geboren, ist einer der vielseitigsten Schauspieler unserer Zeit. Einem großen Publikum ist er durch die Rolle als Aragorn in der »Herr der Ringe«-Verfilmung bekannt. Für seine Darstellungen in »Tödliche Versprechen« (2008), »Captain Fantastic« (2017) und »Green Book« (2019) war er für einen Oscar nominiert. Mortensen gründete 2002 einen kleinen Verlag und veröffentlicht dort auch eigene Gedichte und Fotografien.

Können Sie bestimmte Western nennen, die Ihnen bei der Vorbereitung des Films wichtig waren?

Ich habe in den Jahren, die ich gebraucht habe, um das Geld dafür aufzutreiben, Hunderte von Western gesehen. Die meisten sind schrecklich, weil sie nicht gut fotografiert, inszeniert oder gespielt wurden. Aber auch davon konnte ich etwas verwenden. Vor allem alte Stummfilm-Western sind so nah an der Zeit, die sie beschreiben. Es ging meistens um Details. Ich habe Solly McLeod (als Bösewicht Weston Jeffries) bestimmt 60 Filme als Beispiele geschickt, darunter berühmte Western wie »In schlechter Gesellschaft« (1972), »Panik am roten Fluss« (1948) oder »Ritt zum Ox-Bow« (1943). In der Mail stand oft: »Das ist kein sehr guter Film, aber sieh Dir diese oder jene spezielle Szene an und die Art und Weise, wie der Kerl auf sein Pferd zugeht, wie er sich bewegt oder wie er seine Waffe hält.« Das habe ich auch mit dem Produktionsdesign und dem Kostümdesign so gemacht.

»The Dead Don’t Hurt« ist kein typischer Western über Rache und Vergeltung. Indem die Frau in den Mittelpunkt der Geschichte gestellt wird, überwindet das Drama typische Klischees. Auch ihr Charakter ist kein Stereotyp …

Nun, das wäre mir zu simpel und ich fände das auch langweilig. Ich wollte dem klassischen Western treu bleiben, aber innerhalb dessen die Struktur der Geschichte ändern. Eine gewöhnliche Frau als Hauptfigur zu haben, ist eher ungewöhnlich. Wenn der Mann (Holger Olsen, gespielt von Viggo Mortensen) in den Krieg zieht, geht man normalerweise immer mit ihm. Ich war neugierig, was mit der Frau (Vicky Krieps) passiert. Da ich eine solche Geschichte noch nicht gesehen hatte, dachte ich: Dann müssen wir es eben selbst machen. Ich wollte eine Liebesgeschichte erzählen, in der Vergebung wichtiger ist als Rache und immer das letzte Wort zu haben.

Das sagt auch etwas über unsere Zeit aus …

In gewisser Weise. Das ist bei jeder Filmgeschichte so, die gut genug geschrieben und gut gespielt ist. Wenn die Figuren real erscheinen, weil sie echte Probleme und Meinungsverschiedenheiten haben, dann vergleicht man sie mit sich selbst und der eigenen Familie, der eigenen Stadt und der Gesellschaft, in der man lebt und der Politik. Wenn sie den Film sehen, ist es für sie ein anderer Film, weil sie ihr eigenes Leben damit in Verbindung bringen.

Wie sind Sie beim Casting vorgegangen?

Als ich den Film geschrieben habe, habe ich an niemand Speziellen gedacht. Ich habe Vicky gecastet, weil ich zuerst die Schauspielerin für Vivienne finden wollte. Sie hat eine starke Präsenz, strahlt eine innere Stärke aus und sie kann auch im stillen Spiel Gefühle vermitteln. Von ihrem Aussehen und ihrer Körperlichkeit her könnte sie auch in einer anderen Zeit gelebt haben. Das konnte man auch gut in »Corsage« (2022) sehen. Der Schauspieler, der Olsen spielen sollte, stieg nach einigen Monaten aus, und alle anderen waren nicht verfügbar. Uns lief die Zeit davon. Ich musste schnell jemanden finden, mit dem die Produktion einverstanden ist. Ich schlug dann vor, die Rolle selbst zu spielen. Auch Vicky mochte die Idee, weil sie dachte, dass etwas von mir in dieser Rolle steckt.

Wie hat das die Geschichte verändert?

Wenn du weitermachen willst, musst du dich mit dem Hindernis anfreunden und herausfinden, was daran gut ist. Da ich die Rolle übernommen habe, habe ich damit gespielt und thematisiert, dass Olsen älter ist und ihn dänisch gemacht. Ich wusste, wie sein Englisch klingen sollte und habe kleine Details an seinem Verhalten geändert, die vielleicht nur dem dänischen Publikum auffallen würden. Für mich gilt: Je spezifischer man vorgeht, desto universeller ist die Story.

Ein Ritter taucht in Viviennes Visionen auf. Können Sie uns etwas darüber erzählen?

Das erste Mal, als der Ritter durch den Wald reitet, sehen sie sein Gesicht nicht. Im weiteren Verlauf der Geschichte liest Viviennes Mutter aus »Jeanne d’Arc« vor und man könnte meinen, Jeanne d’Arc zu erkennen. Vielleicht ist sie es, vielleicht auch nicht. Später, als Vivienne erwachsen ist, ist das Gesicht des Ritters und seine Stimme eine Kombination aus Menschen, die für sie wichtig waren oder sind: Ihrem Vater, Weston, den man an seiner neuen Wunde erkennt und Olsen. Das letzte Mal, als der Ritter durch den Wald reitet, sagt Vivienne in der Szene: »Ich brauche niemanden, der mich rettet.« Deshalb sieht man wieder eine andere Person.

In den Ritterszenen gibt eine versteckte Anspielung auf Ihre damalige Rolle des Aragorn in »Der Herr der Ringe« …

Das hat sich eher zufällig ergeben, als wir den Ritter entworfen haben. Wir hatten das Kostüm, die Rüstung und ein wirklich großartiges Pferd, aber es fehlte noch ein mittelalterliches Schwert. Mir wurden verschiedene Schwerter gezeigt. So richtig gut gefiel mir keines. Ich zeigte dem Team ein Foto von dem Schwert, das ich in »Herr der Ringe« trage, damit sie eine Idee haben, was ich suche. Sie haben mich dann gefragt: »Können wir nicht einfach dieses Schwert verwenden?« Also rief ich Peter Jackson an. Letztendlich gab uns die Produktionsfirma die Erlaubnis, aber vielen wird es gar nicht auffallen.

» The Dead Don’t Hurt«: USA, Mexiko 2023. Regie und Buch: Viggo Mortensen. Mit: Vicky Krieps, Solly McLeod, Viggo Mortensen. 129 Minuten, Start: 8.8.

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