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Was die Warengesellschaft zusammenhält

Warum sind Konzerttickets eigentlich so teuer?

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 16 Min.
Gigantomanie der Kulturindustrie: Immer häufiger werden für Events temporäre Großspielstätten eigens hochgezogenen – wie hier das Stadion, das für zehn Open-Air-Shows von Adele auf dem Münchner Messegelände errichtet worden ist.
Gigantomanie der Kulturindustrie: Immer häufiger werden für Events temporäre Großspielstätten eigens hochgezogenen – wie hier das Stadion, das für zehn Open-Air-Shows von Adele auf dem Münchner Messegelände errichtet worden ist.

Und es ist Sommer. Allerdings nicht das erste Mal im Leben, ganz im Gegenteil. Und wie zum Schweizer Käse gehört zu jedem Sommer ein Loch: das Sommerloch eben. Und kein ordentliches Sommerloch ohne Sommerloch-typische Berichterstattung. Was den »Bunte Seiten«-Autor*innen das Ungeheuer von Loch Ness, sind den Feuilletonist*innen, Popleuten und anderen Zeilenschindern spätestens seit der Corona-Ära die Festivals und die Ticketpreise. Kaum eine Zeitung, kein Magazin, kein Internetportal, ja nicht einmal ein Wirtschaftsmagazin im Fernsehen kommt derzeit ohne Berichterstattung über Konzertkarten aus. So, so tolle Superstars, aber leider leider: auch so so teure Tickets.

Wobei die Texte selten über fluffig-leichte Allgemeinplätze hinausreichen. Keine Kritik an den Konzernen (zumal der deutsche Quasi-Monopolist als »klagefreudig« gilt, dem will man keineswegs zu nahetreten) und wenn so etwas doch mal passiert, folgt auf dem Fuß die ausführliche »Gegenseiten«-Darstellung. Texte der Art »die einen sagen so, die anderen sagen so« gehören heute nun einmal zur Grundausstattung des journalistischen Selbstverständnisses. Analysen, welche Preise Konzerte haben und wer daran wie viel verdient? Weitgehend Fehlanzeige. So richtig genau will man’s nicht wissen, Recherche ist ein Fremdwort, antikapitalistische Grundhaltung zunehmend verpönt. Stattdessen selbst in Wirtschaftsteilen der Qualitätszeitungen ganzseitige und unkritisch-liebedienerische Porträts von Managern der Konzert- und Ticketingkonzerne.

Dabei ist es nicht allzu schwer, herauszufinden, warum die Ticketpreise so sind, wie sie derzeit sind, und wer dafür verantwortlich ist. Denn die Verantwortlichen haben Namen, Gesicht und Adresse und die meisten veröffentlichen sogar jedes Jahr detaillierte Geschäftsberichte. Das Aktiengesetz verpflichtet sie dazu.

Musik und Marx

Wer also legt die Ticketpreise fest? Bei allen größeren Konzerten (also jenseits der Club- und kleineren Konzertstätten-Ebene, sagen wir: ab circa 1500 Konzertbesucher*innen) und erst recht bei den Superstar-Events sind es zunächst die Musiker*innen und ihre Camps (also ihre Manager und Agenten), die die Grundpreise der Tickets festlegen. It’s that simple. Und dies geschieht direkt – die Musiker*innen legen bestimmte Eintrittspreise fest, an die sich die örtlichen Konzertveranstalter zu halten haben – oder indirekt, indem beispielsweise die Musiker*innen eine bestimmte Gage verlangen. In diesem Fall ist das Ganze schlicht eine Rechenaufgabe für die Veranstalter: Der Künstler X will für einen Auftritt zum Beispiel in der Waldbühne eine Garantiegage von einer Million Euro. Dann kalkuliert der Veranstalter seine Kosten, teilt alle Ausgaben (also Gage plus Kosten) durch die Anzahl der verkaufbaren Tickets und es entsteht ein Ticketpreis. Natürlich ist es in der Praxis nicht ganz so einfach, weil sowohl die Musiker*innen als auch die Veranstalter auch noch »etwas« verdienen, vulgo: Profit machen wollen. Denn auch bei einer noch so hohen Gage erhalten die Musiker*innen immer einen gewaltigen Gewinnanteil, je nach Größe des Veranstaltungsorts zwischen 85 und 98 Prozent. Und das treibt die Ticketpreise zusätzlich in die Höhe.

Von Marx wissen wir um die Existenz des Mehrwerts, also der Differenz zwischen dem Wert einer Ware und der Wertsumme aus der zur Herstellung des Produkts notwendigen Arbeitskraft und der zur Herstellung benötigten Produktionsmittel. Vereinfacht gesagt ist es bei den Grundpreisen eines Konzerttickets (also der Ware) nicht viel anders: Es gibt Arbeitskraft aufseiten der Musiker*innen, die auf der Bühne stehen, und aufseiten der vielen Hundert Arbeiter*innen: Ton- und Lichttechniker*innen, Stagehands, Security-Leuten, Gabelstaplerfahrer*innen usw., die ein Konzert überhaupt erst möglich machen. Und es gibt Produktionsmittel, also reale Kosten, um ein Konzert zu veranstalten: die Miete der Spielstätte, den Bühnenaufbau, die Veranstaltungstechnik, die Gema-Gebühren, Energie- und Werbekosten, Catering und vieles andere mehr.

Bei Clubshows und kleineren Konzerten lässt sich damit ganz gut rechnen. Wobei: Angesichts der realen Kosten, also Arbeitskraft (gerechnet auf Mindestgagen von 250 Euro pro Musiker*in sowie fairen Löhnen für die meist als Soloselbstständige arbeitenden Crews) und Produktionsmittel, müssten die Eintrittspreise von Clubkonzerten im Durchschnitt eigentlich bei circa 35 Euro liegen. Alles darunter bedeutet letztlich Ausbeutung. Das Axiom des legendären Konzertveranstalters Karsten Janke besagt: Bei Clubshows ist nicht die Frage, ob, sondern schlicht wie viel Geld man verliert. Nur: Kaum jemand ist bereit, für ein Clubkonzert 35 Euro zu bezahlen – die Preise liegen seit Jahren bei 18 bis 25 Euro und bei Newcomer-Konzerten auch gerne deutlich unter 20 Euro. Ein Verlustgeschäft – für alle Beteiligten.

Doch über kleinere Konzerte spricht ja kaum jemand. Bei der Frage der Ticketpreise geht es in der Regel um die großen Events, um die Konzerte in den seelenlosen Mehrzweckhallen unserer Städte, in Sportstadien oder neuerdings auch in eigens hochgezogenen temporären Großspielstätten wie dem Stadion, das der weltgrößte Konzertveranstalter für zehn Open-Air-Shows von Adele auf dem Münchner Messegelände errichtet hat, samt »Adele World«, einer Abfüllstation für die Zeit vor und nach den Konzerten.

Bei diesen Events (ich scheue mich, für derartige Veranstaltungen das Wort Konzert zu verwenden) kommt ein anderer wertvoller Marxscher Gedanke zum Tragen: der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis. Denn lediglich mit dem Mehrwert jenseits der Arbeits- und Produktionskosten kann man Ticketpreise von zum Beispiel 399 Euro für Taylor Swift (in den USA dagegen auch schon mal 3000 Dollar, und das für Plätze mit eingeschränkter Sicht auf die Bühne), von 420 Euro für Adele, 799 Euro für die Rolling Stones, 899 für Beyoncé und Jay-Z oder gar über 1000 Dollar für Bruce Springsteen nicht erklären. Nebbich. Hier geht es nicht mehr um den Gebrauchswert der Ware Konzertticket, sondern um ihren »mystischen Charakter«, und der ist, wie Marx wusste, »voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken«. Für die Swifties oder die Fans von The Boss ist das Dabeisein bei der Messe ihrer Heldin oder ihres Helden tatsächlich ein emotional extrem aufgeladenes, quasi-religiöses Ereignis, das jeden noch so irrsinnig erscheinenden Aufpreis zu rechtfertigen scheint.

Wer knapp 1000 Euro ausgegeben hat, um direkt vor der Bühne der Rolling Stones oder von Beyoncé und Jay-Z zu stehen, dem ist die Qualität des Konzerts fast schon egal, denn sie sind von der Darbietung ebenso begeistert wie von sich selbst, die sie in der Lage sind, so viel Geld für solch ein Konzert auszugeben und überhaupt dabei zu sein. Oder wie Adorno feststellte: »Recht eigentlich betet der Konsument das Geld an, das er selber für die Karte zum Rolling-Stones-Konzert ausgegeben hat.« (Okay, Adorno sprach natürlich von einem »Toscaninikonzert«.) Es ist dieser »spezifische Fetischcharakter der Musik«, der zum Kitt wird, der nicht, wie Großmeister*innen der schiefen Vergleiche à la Claudia Roth oder Joe Chialo gerne feststellen, »die Gesellschaft«, sondern vielmehr »die Warengesellschaft noch zusammenhält«.

Und an dieser Turbo-Warengesellschaft können natürlich auch nicht mehr alle ungehindert teilnehmen, sondern sie ist für die wohlhabende Mittelschicht reserviert. Vor der Bühne der Superstars stehen nur noch diejenigen, die sich die super teuren Tickets leisten können: »We few, we happy few, we band of brothers«, wie es bei Shakespeare heißt – die Bruderschaft der Wohlhabenden und Reichen. Diejenigen, die »nur« 250 Dollar für ein Bruce-Springsteen-Ticket (laut Management der Durchschnittspreis) oder 220 Dollar für Beyoncé ausgeben können, stehen dann eben hinten im Stadion bei den Toilettenhäuschen und sehen ihre Stars nur im Zwergenformat auf der Bühne agieren. Beyoncé hat letztes Jahr bei ihrer USA-Tournee sogar »listening only«-Tickets verkauft: Für umgerechnet 144 Euro durften die Fans hinter der Bühne sitzen, ohne auch nur einen Blick auf die Sängerin erhaschen zu können. Dabeisein ist alles, aber selbst das bleibt nicht gerade ein billiges Vergnügen.

Willkommen im Plattformkapitalismus

Bei der zunehmenden Segregation der Konzertbesucher*innen zeigt sich einer der unangenehmsten Effekte der Preistreiberei bei den Konzerttickets. Der Konzertmarkt richtet sich längst vornehmlich an Besserverdienende und Reiche. Das ursprüngliche Versprechen der Popkultur, die Vision von Gemeinschaft und Solidarität im Geist der Gleichheit, sagen wir: das Gemeinschaftsgefühl unter einem Groove, ist einer Art Konzertklassengesellschaft gewichen. Für die Rolling-Stones-Konzerte im Münchner Olympiastadion im Jahr 1982 galt noch ein Einheitspreis von 38 DM auf allen Plätzen, ganz egal, ob man direkt vor Mick Jagger und Keith Richards stand oder am anderen Ende des Stadions in der Gegenkurve saß. Partizipation am kulturellen Erlebnis war bezahlbar und für fast alle möglich, das Gemeinschaftsgefühl der Fans war konstitutionell – 73 000 Menschen konnten sich für zweieinhalb Stunden als Gleiche fühlen, sie hatten den gleichen Preis für das Konzert gezahlt, hatten die gleichen Chancen, nahe an die Bühne heranzukommen, und konnten gleichermaßen davon überzeugt sein, dass die Zeit auf ihrer Seite war, »time in on my side«. Tempi passati.

Als die Musik noch geholfen hat: Konzert der Rolling Stones zum Einheitspreis im Münchner Olympiastadion, 1982
Als die Musik noch geholfen hat: Konzert der Rolling Stones zum Einheitspreis im Münchner Olympiastadion, 1982

Im Zentrum des Konzertgeschehens stehen heute die Superstars. Das Geschäft mit Konzerten ist ein Superstar-Markt. Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Obama-Berater Alan Krueger hat in einer Studie 2017 festgestellt, dass gerade einmal ein Prozent der Musiker*innen und Bands sechzig Prozent der weltweiten Konzerteinnahmen erzielten. Die oberen fünf Prozent der Performer generieren 85 Prozent aller weltweiten Konzerteinnahmen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass für die unteren 95 Prozent der Musiker*innen gerade einmal 15 Prozent aller Konzerteinnahmen übrig bleiben. Ich bin mir sicher, dass sich das Verhältnis seit 2017 sogar noch weiter zugunsten der Superstars verbessert und zuungunsten der erdrückenden Mehrheit aller Musiker*innen verschlechtert hat.

Müßig zu betonen, dass die Eintrittspreise für die Konzerte der Superstars mit Abstand die höchsten sind und deutlich schneller steigen als bei allen anderen Musiker*innen. Zudem verfügen die Superstars und ihre Managements, vor allem aber die Großkonzerne des Konzert- und Ticketinggeschäfts, derer sie sich bedienen, auch über die ausgeklügeltsten Strategien, was die Preisgestaltung bei ihren Konzerten angeht, von der Mogelpackung sogenannter Platin-Tickets über »High Pricing« und »Slow Ticketing« bis hin zum »Dynamic Pricing«, bei dem sich die Ticketpreise Nachfrage-abhängig ständig verändern. So hat Bruce Springsteen, der als Ikone der amerikanischen Arbeiterklasse gilt, bei seiner letzten US-Tournee mehr als zehn Prozent seiner Tickets mittels »Dynamic Pricing« verkauft, oft für mehr als 5000 Dollar.

Möglich machen derartige obszöne Ticketpreise allerdings letztlich die neuen Imperiengeschäfte im Konzertsektor. Drei weltweit agierende Konzerne haben das Konzertgeschäft, den Superstarmarkt unter sich aufgeteilt. Der weltgrößte Live-Entertainment-Konzern Live Nation, der deutsche Quasi-Monopolist und führende europäische Festivalveranstalter CTS Eventim sowie AEG Presents, die nach eigenen Angaben »weltweit führende Unternehmensgruppe für Sport- und Live-Unterhaltung«. Mit ihrer Tourneesparte »AEG Presents«, die unter anderem die Welttourneen von Taylor Swift, Ed Sheeran, Bon Jovi oder den Rolling Stones organisiert, gehört AEG zu den Weltmarktführern im Tourneegeschäft. Darüber hinaus betreibt AEG weltweit »Entertainmentviertel«, ob in den USA, London (»The O2«), Beijing, Berlin (die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof) oder Hamburg, sowie zahlreiche Festivals, darunter das legendäre Coachella in Kalifornien, das Hyde Park Open Air in London oder Rock en Seine in Paris. Und zu AEG Sports gehört eine Vielzahl von Sportteams wie die Fußballmannschaft L. A. Galaxy, das Basketballteam L. A. Lakers oder Eishockeyteams wie die L. A. Kings und die Eisbären Berlin, die praktischerweise in den AEG-eigenen Mehrzweckhallen spielen können.

Alle drei Weltkonzerne bedienen sich vertikaler und horizontaler Monopole. Das bedeutet: Sie sorgen nicht nur für Monopole beziehungsweise Oligopole innerhalb ihres Kerngeschäfts, indem sie also zum Beispiel andere Konzert- und Tourneeveranstalter oder Festivals aufkaufen, sondern sie sorgen für ein Netzwerk, das über ihr eigenes Geschäft hinausreicht. Etwa indem ein Konzertkonzern auch einen Ticketingkonzern betreibt oder eine Immobilienfirma. Damit ergeben sich Synergieeffekte, und das nicht geringe Risiko des Kerngeschäfts, eben das Veranstalten von Konzerten, Tourneen und Festivals, wird durch Gewinne in anderen Bereichen abgefedert. Bei Konzerten bedienen sich die Weltmarktführer dabei weitgehend risikoloser Tätigkeiten, bei denen sie zusätzlich auch noch an den Geschäften ihrer direkten Konkurrenten mitverdienen.

Beispiel Ticketing: Das risikolose Geschäft des Ticketverkaufs von Firmen wie CTS Eventim oder Ticketmaster besteht nicht nur im Verkauf der Tickets für die eigenen Veranstaltungen. Vielmehr verkaufen die Ticketkonzerne auch die Eintrittskarten für die Veranstaltungen anderer Firmen, darunter auch die der unabhängigen Veranstalter. Das ist das generelle Problem der Plattformgeschäfte: Ist eine Plattform erst einmal etabliert, kommt man kaum um sie herum. Wir kennen das von Google, Facebook (samt What’s App und Instagram), Amazon und Co. Weil viele Fans sich nicht auf den Webseiten der Bands oder der Veranstalter informieren, sondern auf der Homepage des Marktführers ihre Tickets erwerben, kommen auch unabhängige Konzertveranstalter gar nicht umhin, ihre Tickets auch bei CTS Eventim anzubieten. Die Krake CTS Eventim verdient also immer mit, auch an den Konzerten der Konkurrenz (und in den USA hält Live Nation mit seiner Ticketingsparte Ticketmaster eine ähnliche Marktposition).

Warum aber ist der Verkauf von Eintrittskarten derart profitabel? Es hat vor allem mit dem Internet zu tun. Denn auf den Grundpreis der Tickets, der wie oben beschrieben zwischen Musiker*innen und Veranstaltern vereinbart wird, werden noch etliche Zusatzgebühren aufgeschlagen, die zum größten Teil den Ticketingkonzernen zugutekommen: Die Vorverkaufsgebühr (meistens zehn Prozent, nicht selten aber auch mehr), die eigentliche Ticketinggebühr (in der Regel ein bis 1,30 Euro), die Versandgebühren beziehungsweise, wenn die Fans ihre Tickets selbst ausdrucken, eine »Print at Home«-Gebühr von zwei bis drei Euro. Dem Erfindungsreichtum der Ticketingkonzerne im Schröpfen der Fans sind kaum Grenzen gesetzt. Legendär sind die Zusatzgebühren, die CTS Eventim im Jahr 2015 bei einer nicht von ihnen selbst organisierten Tournee auf AC/DC-Tickets erhoben hat: Auf den Grundpreis von 80 Euro kam für den Vorverkauf (VVK) eine Gebühr von 21,55 Euro (mehr als 25 Prozent!), ein sogenannter Premiumversand von 19,90 Euro sowie eine Zahlungsgebühr von 8,72 Euro – am Ende bezahlten die Fans bis zu 130,17 Euro für ein 80-Euro-Ticket (die Verbraucherzentrale NRW mahnte CTS wegen der »Abzock-Entgelte« ab; CTS Eventim bezeichnete die Gebühren als »marktüblich und rechtskonform«).

Beim bereits erwähnten Rolling-Stones-Konzert 1982 betrug die VVK-Gebühr lediglich zwei DM, also 5,26 Prozent. Das reichte damals offensichtlich den VVK-Stellen aus, die noch reale »analoge« Kosten hatten: Miete der Verkaufsstellen, Personal, Werbung usw. Die mittlerweile etablierten VVK-Gebühren von zehn Prozent sind historisch genau zu diesem Zweck entstanden. Doch in Zeiten, da die meisten Tickets online gekauft werden, sind die VVK-Gebühren im Grunde obsolet und die Ticketingkonzerne müssten eigentlich mit ihrer Ticketinggebühr auskommen. Stattdessen streichen sich CTS Eventim und Co. die VVK-Gebühren einfach ein, ein weitgehend leistungsloser Gewinn der »Mitesser«, der Plattformen. So wird das Ticketing zum höchst profitablen Geschäft: Im aktuellen Geschäftsbericht für das Jahr 2023 weist die CTS Eventim AG für ihre Ticketingsparte einen Gewinn (EBITDA) von sage und schreibe 53,6 Prozent aus, während das eigentliche Veranstaltungsgeschäft gerade einmal 6,7 Prozent Gewinn macht. Der Umsatz allein der Ticketingsparte ist im letzten Jahr um fast ein Drittel gestiegen, die Internet-Ticketingmenge beträgt mittlerweile 82,9 Millionen. Insgesamt hat CTS Eventim im Jahr 2023 »mehr als 300 Mio. Tickets« über seine Systeme »vermarktet«. Wer mag, kann diese Zahl ja mal zum einen Teil mit den Standard-Versandgebühren von 5,90 Euro (bei einem Briefporto von 0,85 Euro), zum anderen Teil mit den Print-at-Home-Gebühren multiplizieren.

Konzertkonzerne zerschlagen

Die Großkonzerne des Konzertgeschäfts jammern gerne über die drastisch gestiegenen Kosten, um ihre exorbitanten Ticketpreise und Gebühren zu rechtfertigen. Allerdings: Im Vergleich mit 2019, dem Jahr vor der Pandemie, sind die Preise um 35 Prozent gestiegen. Bei Clubkonzerten bewegen sich die Kostensteigerungen tatsächlich in etwa diesem Bereich, bei Großkonzerten machen sie einen deutlich geringeren Anteil an den gesamten Produktionskosten aus. Wenn in einem Stadion 65 000 Menschen nur einen Euro mehr bezahlen, sind bereits 65 000 Euro in der Kasse der Veranstalter. Gestiegene Energie- oder Personalkosten können nicht für die explodierenden Superstar-Ticketpreise verantwortlich gemacht werden.

Die exorbitanten Rekordgewinne der beiden börsennotierten Weltmarktführer belegen, dass die hohen Ticketpreise nicht nur Musiker*innen, sondern vor allem Konzernen zugutekommen. Live Nation konnte 2023 eine Steigerung des Betriebsergebnisses (»operating income«) um 46 Prozent auf 1,07 Mrd. Dollar bekannt geben. Allein im ersten Quartal 2024 kletterte der Gewinn um weitere 15 Prozent auf 367 Mio. Dollar. Interessant ist, dass die Ticketingsparte Ticketmaster weltweit zwar 13 Prozent mehr Tickets als im Vorjahr verkaufen konnte (620 Mio.), der Umsatz jedoch um 32 Prozent und die Erträge gar um 35 Prozent zugelegt haben – das Ergebnis extrem hoher Ticketpreise.

CTS Eventim konnte 2023 ähnliche Trends verzeichnen, nur auf deutlich geringerem Level: 22 Prozent Umsatzsteigerung und das 18. Rekordjahr, was Umsatz und Ergebnis angeht. Das EBITDA stieg um 32 Prozent auf 501,4 Mio. Euro. Längst ist CEO Klaus-Peter Schulenberg durch seinen CTS Eventim-Konzern zum Milliardär geworden und wird von »Forbes« seit Jahren zu den reichsten Deutschen gezählt. Und wer hat diesen unermesslichen Reichtum bezahlt? Klar: die Fans.

Kann vielleicht nicht tanzen, weiß aber, was sich gehört: Herbert Grönemeyer
Kann vielleicht nicht tanzen, weiß aber, was sich gehört: Herbert Grönemeyer

Die US-Regierung und 30 amerikanische Bundesstaaten haben aufgrund dieser »doppelten« horizontalen und vertikalen Monopolstellung eine Kartellklage gegen Live Nation eingereicht mit dem Ziel, den Konzertriesen aufzuspalten. »Es ist an der Zeit, Live Nation zu zerschlagen«, sagte US-Justizminister Merrick Garland. Das Unternehmen ersticke den Wettbewerb und habe seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, um Preise nach oben zu treiben und Wettbewerber vom Markt zu verdrängen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Klage erfolgreich sein wird, denn es gibt ein historisches Vorbild: Unter dem Druck von Öffentlichkeit und Politik sah sich Clear Channel 2005 gezwungen, seine Konzertsparte aus dem Konzern herauszulösen und in ein eigenständiges Unternehmen zu überführen. Dessen Name: Live Nation.

Wann dürfen wir einen deutschen Justizminister mit der Forderung erleben, CTS Eventim müsse zerschlagen werden? Wird die Bundesregierung jemals entsprechend ordnungspolitisch aktiv werden, um die Tickets günstiger zu machen? Was dem kapitalistischsten Staat der Erde recht ist, sollte der BRD eigentlich billig sein. Man wird ja noch träumen dürfen.

Wem gehören Live Nation und CTS Eventim? Beides sind Aktiengesellschaften, und Aktionäre haben gemeinhin keine kulturellen Interessen, sondern wollen Gewinne sehen, Dividenden ausgezahlt bekommen und vom Kursanstieg der Aktien profitieren. Entsprechend sind heute laut MarketScreener acht der zehn größten Aktionäre von Live Nation Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften, also die Kapitalorganisatoren des Neoliberalismus wie BlackRock oder Vanguard, die beiden weltgrößten »Finanzdienstleister«. Dazu kommt der CEO des Konzerns, Michael Rapino, mit einem aktuell mit 342 Mio. Dollar bewerteten Aktienpaket, aber als größter Aktionär mit über 30 Prozent Anteilen die Liberty Media Corp., deren Mehrheitsaktionär der Multimilliardär und ausgewiesene Libertäre John C. Malone ist. Malone ist Förderer von Donald Trump und hat 2017 für dessen Amtseinführung 250 000 Dollar gespendet; weitere 750 000 Dollar für Trump kamen von Greg Maffei, Präsident von Liberty Media und Vorsitzender des Direktoriums von Live Nation. Auch neun der zehn größten Aktionäre von CTS Eventim sind Kapitalorganisatoren, darunter die Select Equity Group, die zu den Großaktionären von Live Nation gehört. Größter Aktionär von CTS Eventim ist mit über 38 Prozent ihr Gründer und CEO Schulenberg.

Sollte Trump im November zum Präsidenten gewählt werden, dürfte die Kartellklage gegen Live Nation beerdigt werden. In den USA haben die Konzertfans also die Möglichkeit, auch über die Entwicklung des Konzertwesens abzustimmen. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass auch die Künstler*innen in der Lage wären, für günstigere Ticketpreise zu sorgen. Natürlich weniger die kleineren und mittleren Bands, wohl aber die Stars und Superstars. Der Umsatz der Eras-Welttournee von Taylor Swift wird auf 1,4 Mrd. Dollar geschätzt. Davon dürften für die Musikerin 500 bis 600 Mio. Dollar Gewinn übrigbleiben. Wie wäre es, wenn die Milliardärin Swift einen Teil ihrer Tickets für einen deutlich geringeren Preis anböte? Dann blieben vielleicht »nur« 250 bis 300 Mio. Gewinn. Oder wie wäre es, wenn der von »Forbes« erstmals zum Milliardär erklärte Bruce Springsteen auf seine zum Teil obszön hohen Ticketpreise verzichten würde? Er dürfte kaum verarmen.

Die Musiker*innen haben die Macht! Die Konzert- und Ticketingkonzerne benötigen »Content«, wie CTS Eventim-Boss das nennt, wenn er von einer »Content-Pipeline« spricht (wir dagegen sprechen immer noch von Musik). Die Musiker*innen könnten von den Konzernen verlangen, keine absurd hohen Gebühren auf die Ticketpreise aufzuschlagen, und sie können auch dafür sorgen, dass die Karten bezahlbar bleiben, wie es Grönemeyer, Patti Smith oder Die Ärzte tun. Die Berliner Band bietet für ihre Heimkonzerte sogar Sozialtickets an: Statt 80 Euro bezahlen Menschen, die den Berliner Sozialpass haben, nur 19,90 Euro. Geht doch. Segregation ist kein Naturgesetz, die Verhältnisse bleiben veränderbar.

Berthold Seliger ist seit über 36 Jahren Konzertagent und Tourneeveranstalter und arbeitet u. a. mit Patti Smith, Tortoise, Bonnie »Prince« Billy und Rufus Wainwright zusammen. In seinem Buch »Vom Imperiengeschäft« beschreibt er detailreich die Entwicklung des Konzertbetriebs.

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