Arbeit in Berlin: Der Mindestlohn ist nicht genug

Eine Erhöhung des Berliner Landesmindestlohns gemäß EU-Vorgabe ist nicht in Sicht

Fensterputzer am neuen Abgeordnetenhaus: Wer im Auftrag des Landes Berlin arbeitet, muss mindestens 13,69 Euro pro Stunde verdienen.
Fensterputzer am neuen Abgeordnetenhaus: Wer im Auftrag des Landes Berlin arbeitet, muss mindestens 13,69 Euro pro Stunde verdienen.

Der Mindestlohn liegt gegenwärtig bei 12,41 Euro pro Stunde – brutto. Davon gehen Sozialabgaben und Steuern noch ab. Im Rahmen eines Vollzeitjobs bringt ein Single in Berlin somit etwas mehr als 1500 Euro nach Hause. Zu wenig, befindet das Land Berlin. Das geht aus einer Antwort der Senatsverwaltung für Arbeit auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Christoph Wapler hervor.

»Dass das Land Berlin einen über den Bundesmindestlohn liegenden Landesmindestlohn eingeführt hat und stetig anhebt, zeigt, dass das Land Berlin die bisherigen Anhebungen nicht für ausreichend erachtet«, teilt die Arbeitsverwaltung im Wortlaut mit. Ziel sei es, dass so viele Bürger*innen wie möglich ihren Lebensunterhalt ohne ergänzende Leistungen wie Bürgergeld oder Grundsicherung bestreiten könnten.

Der Landesmindestlohn war zuletzt von 13 Euro auf 13,69 Euro erhöht worden, regelt jedoch nur die Arbeitsverhältnisse, an denen das Land Berlin in irgendeiner Form beteiligt ist, etwa bei direkten Anstellungen, landeseigenen oder beauftragten Unternehmen oder Zuwendungsempfängern.

Der Berliner Landesmindestlohn dürfte allerdings selbst der EU-Mindestlohnrichtlinie zuwiderlaufen. Die besagt, dass die Höhe des Mindestlohns in den Mitgliedstaaten nach festen Kriterien bestimmt wird. Eine Orientierung wäre der Richtlinie zufolge ein Bruttomindestlohn in Höhe von 60 Prozent des mittleren Lohns (Median). Dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zufolge entspräche das in Deutschland etwa 14 Euro. Sollte die Mindestlohnrichtlinie bis zum 15. November 2024 nicht umgesetzt sein, muss der jeweilige Staat einen Aktionsplan darüber vorlegen, wie die Werte erreicht werden sollen.

»Ein Stundenlohn von 14 Euro wäre die absolute Mindesthöhe für Landes- und Bundesmindestlohn, um die zurückliegende Preisentwicklung abzubilden.«

Christoph Wapler (Grüne)

»Ein Stundenlohn von 14 Euro wäre die absolute Mindesthöhe für Landes- und Bundesmindestlohn, um die zurückliegende Preisentwicklung abzubilden«, sagt Christoph Wapler zu »nd«. Die Hauptverantwortung, die EU-Mindestlohnrichtlinie umzusetzen, sieht auch der Grünen-Abgeordnete bei der Bundesregierung und er begrüßt, dass der Berliner Senat den Bundesmindestlohn als klar zu gering einstuft. »Allerdings entnehme ich der Antwort eine Tendenz, sich hinter der Bundespolitik zu verstecken, statt ausreichend eigene Maßnahmen zu ergreifen«, sagt Wapler.

Berlin wolle weiterhin »eine Vorreiterrolle für soziale Gerechtigkeit und gute Arbeit einnehmen«, erklärt die Arbeitsverwaltung. Senatorin Cansel Kiziltepe (SPD) hatte im April selbst einen Mindestlohn oberhalb von 14 Euro gefordert. Den angekündigten Handlungsbedarf für Höhe und Anpassungsmechanismus könne er der vorliegenden Antwort nicht mehr entnehmen, sagt Wapler. »Davon ist nun keine Rede mehr. Stattdessen heißt es, der Spielraum sei voll ausgeschöpft«, sagt der Sprecher für Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik der Grünenfraktion.

Die EU-Mindestlohnrichtlinie sieht weiter vor, dass 80 Prozent aller Arbeitsverhältnisse unter einen Tarifvertrag fallen müssen. 2022 waren bundesweit 51 Prozent der Beschäftigten an einen Tarifvertrag gebunden, in Berlin 44 Prozent. Dass in Berlin die Tarifabdeckung noch geringer ausfällt, läge einerseits sicher an den Betriebsstrukturen – Berlin hat verhältnismäßig viele kleine Betriebe – , »aber auch an vielen Unternehmen, die sich stellenweise dieser Bindung entziehen«, sagt Wapler. Es bräuchte deshalb dringend eine Auswertung der unter Rot-Rot-Grün eingeführten Tariftreueklausel, inwiefern diese sich positiv auf die Tarifbindung ausgewirkt habe. Die Klausel bestimmt, dass Auftragnehmer des Landes Berlin ihre Beschäftigten nicht unter dem üblichen Tarifniveau beschäftigen dürfen.

Im April wurde ein Antrag der Gruppe Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) im Bundestag über eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 14 Euro abgelehnt. Nur BSW und Linke hatten dafür gestimmt. Im Mai hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für eine schrittweise Erhöhung auf zunächst 14 Euro und dann 15 Euro plädiert. In der rot-grün-rot regierten Hansestadt Bremen steigt der Landesmindestlohn ab Februar 2025 auf 14,26 Euro.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal