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»Notizen einer Hinrichtung«: Der Täter als Nebenfigur

Die New Yorker Autorin Danya Kukafka rückt in ihrem Roman »Notizen zu einer Hinrichtung« dem gängigen Narrativ des Serienkillers zu Leibe

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Von dem Klischee des bestialischen, aber genialen Triebtäters ist im Roman nichts zu finden.
Von dem Klischee des bestialischen, aber genialen Triebtäters ist im Roman nichts zu finden.

Geschichten über Serienmörder gibt es in Literatur und Film jede Menge und die üben dabei anscheinend auch eine gewisse Faszination aus. Aber nicht selten werden die männlichen Täter als verkappte Genies dargestellt, wie etwa Hannibal Lecter in »Das Schweigen der Lämmer« oder auch mal ironisch wie in der Serie »Dexter«.

Die Geschichten der weiblichen Opfer und wie sehr sie im Leben anderer Menschen fehlen, spielen für die Narrative der Kulturindustrie kaum eine Rolle. Ganz anders ist das in Danya Kukafkas außergewöhnlichem Roman »Notizen zu einer Hinrichtung«. Die 32-jährige New Yorker Autorin, die bei Colson Whitehead Creative Writing studiert hat, erzählt nicht nur vom Serienmörder Ansel Packer, der mehrere Frauen umbringt und jahrzehntelang als tickende Zeitbombe durch die Gegend läuft, bis er wieder zuschlägt. In Kukafkas Roman geht es vor allem um die Geschichten der Frauen, die mit dem Täter im Lauf der Jahre konfrontiert werden. Dabei zeichnet sie kein plattes oder eindimensionales Bild des in der Todeszelle sitzenden Mittvierzigers, dessen ganze Lebensgeschichte erzählt wird, vom sozial randständigen White-Trash-Amerika über diverse Pflegefamilien bis hin zu einer gescheiterten Ehe. Viel mehr Platz wird in diesem Roman den Biografien der drei Frauen gegeben, die mit Ansel Packer immer wieder zu tun haben und deren Leben von seinen Taten geprägt wird.

Zum einen ist das Ansels Mutter Lavender, die vor der Brutalität ihres Redneck-Ehemanns flieht und ihr kleines Kind allein auf einer heruntergekommenen Farm mit dem Säuglings-Bruder zurücklässt. Es geht um ihre frühe Heirat, die Flucht in eine kalifornische Frauenkommune und die lange, schmerzvolle Arbeit, sich der eigenen Verantwortung zu stellen.

Dann ist da Hazel, deren Zwillingsschwester mit Ansel verheiratet ist und die ungewollt zu einer wichtigen Zeugin für spätere Ermittlungen wird. Die führt die Polizistin Saffy, die als Waisenkind mit Ansel in einer Pflegefamilie war und nicht nur mit ihrer Traumatisierung aus dieser Zeit zu kämpfen hat. Denn die indischstämmige Saffy ist an ihrem Arbeitsplatz fortwährend rassistischen und sexistischen Anfeindungen der zumeist männlichen Kollegen ausgesetzt.

»Notizen zu einer Hinrichtung« ist vielmehr ein empowerndes und bis zur letzten Seite ungemein spannendes Buch, das der Geschichte des Täters die Handlungsmacht der Frauen entgegenhält.

»Notizen zu einer Hinrichtung« fächert die Lebensgeschichten dieser drei Frauen auf, wobei es nicht nur um den Mörder oder die Verbrechen als verbindendes Element geht, auch wenn das natürlich im Zentrum der Erzählung steht. Danya Kukafka schreibt in diesem Roman über Teenager-Sehnsüchte, sexuelles Begehren, Beziehungsunfähigkeit, gescheiterte Lebensentwürfe, Drogenkarrieren, das Arbeitsleben, persönliche Hoffnungen, tiefsitzende Ängste und den immer wiederkehrenden Kampf ums Überleben.

Familiäre Zugehörigkeit und die in dieser Geschichte dazugehörigen disruptiven Brüche werden zu den zentralen Motiven dieses Buches. Denn auch Saffy ist auf der Suche nach ihrem Vater, den sie nie kennengelernt hat, so wie für Ansel die Erinnerung an seine Mutter kaum abrufbar ist. Auf die 350 Seiten dieses literarisch dichten Textes packt die Autorin dabei verblüffend viel Handlung aus den verschiedenen, kunstvoll miteinander verknüpften Erzählsträngen aus den Leben dieser drei Frauen.

Dazwischen geht es auch immer wieder in die Todeszelle und zur titelgebenden Hinrichtung. Die verbleibenden Stunden bis dahin werden wie bei einem Countdown heruntergezählt, während Ansel Packer selbstmitleidig sein Leben Revue passieren lässt und fortwährend in seinem eher niveaulosen Manifest über Gut und Böse liest. Dabei stellt er sich auch immer wieder die Frage: Was wäre gewesen, wenn er in bestimmten Momenten eine Tat nicht verübt hätte? Diese Option spielt auch Saffy fortwährend durch, die mit einem der Opfer eng befreundet war. Wie hätten sich die Biografien dieser drei Frauen entwickelt?

Am Ende werden auch diese fiktiven Lebensgeschichten kurz angerissen und wie in einem Epilog durchgespielt. Wobei Danya Kukafka eine Viktimisierung ihrer Figuren vermeidet. »Notizen zu einer Hinrichtung« ist vielmehr ein empowerndes und bis zur letzten Seite ungemein spannendes Buch, das der Geschichte des Täters die Handlungsmacht der Frauen entgegenhält.

Danya Kukafka: Notizen zu einer Hinrichtung, Blumenbar-Verlag, 348 S., geb., 22 €.

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