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Sade: Heile-heile-Gänschen-Jazz

Vor 40 Jahren erschien Sades Debütalbum »Diamond Life«

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 5 Min.
Sade war keine Billie Holiday, die sich das Leid aus der Seele schluchzen musste.
Sade war keine Billie Holiday, die sich das Leid aus der Seele schluchzen musste.

Es ist schlecht bestellt um den Cocktail und seinen spartanischen Verwandten, den Longdrink. Vor allem der Gin Tonic und der zu »Caipi« verniedlichte Caipirinha sind zu Kneipengetränken geworden. Alkoholisierte Brause für Menschen, denen Bier zu herb ist. Das war mal anders. Damals, 1984, als wie aus dem Nichts Sade auftauchte. Nicht nur für Musikjournalisten war dies ein Fest, sondern auch für die Besitzer von Cocktailbars.

Die Rezensenten gaben dabei gern die Rolle des professionellen Zuhörers auf und beschäftigten sich lieber mit den optischen Merkmalen von Sade. »Welch göttliche Verschwendung – man bestaune die Schönheit dieser Frau! Ein unnahbares und doch verwundbares Gesicht, beherrscht von einer Fleischwunde von Lippen, aus denen bedächtig Gesang hervorblutet«, lechzte Martin Brem im »Musikexpress«. Selbstverständlich vergab der hormonell berauschte Kritiker für das Debütalbum »Diamond Life« die Höchstpunktzahl. Die Barbesitzer hingegen freuten sich darüber, dass Sade ein Musikgenre reanimierte, das wie kein zweites ortsgebunden war: der Bar-Jazz.

Nun ist das mit dem Jazz so eine Sache. Für die Vertreter der reinen Lehre beginnt jenseits des Free Jazz der musikalische Ausverkauf. Die breite Masse hingegen erträgt Jazz nur, wenn er halbwegs harmonisch klingt und großzügig mit Pop verwässert wird. Bar-Jazz erfüllt beide Kriterien. Und doch wäre Sade – ungeachtet ihrer »Fleischwunde von Lippen« – der Durchbruch vermutlich versagt geblieben, hätten ihre Lieder nicht perfekt den Nerv der Zeit getroffen.

Nerv ist dabei wörtlich zu verstehen. Immer mehr Menschen waren von den Chart-Hits jener Tage genervt. Der Synthiepop hatte den Reiz des Neuen verloren. Er klang zunehmend beliebig und schablonenhaft. Die Thompson Twins standen stellvertretend für eine Gattung, die ihren kreativen Höhepunkt überschritten hatte. Man ahnte, es würde noch schlimmer werden (und so kam es dann auch im Jahr darauf mit Modern Talking).

Doch jede Bewegung, die sich totgelaufen hat, ruft eine Gegenbewegung hervor. Bar-Jazz verhielt sich zu Synthiepop wie Punk zu Artrock. Zu viele Menschen hatten sich an den vertrauten Radioklängen sattgehört. Zumindest in ruhigeren Momenten des Lebens wollten sie – statt programmierter Sounds aus der Maschine – klassische Instrumente, gespielt von leibhaftigen Musikern.

Waren diese Klänge authentisch? Genau das bezweifelten viele Popintellektuelle. Sie sprachen Sade die Wahrhaftigkeit ab (so, wie sie bald darauf Simply Red unterstellten, sein Soul habe keine Seele) und verwiesen darauf, dass ihre Musik nur ein Abklatsch des Bar-Jazz längst vergangener Jahrzehnte sei. Gern wurde dabei ihre Biografie ins Feld geführt. Ihr nigerianischer Vater war Dozent für Wirtschaftswissenschaften gewesen. Sie selbst hatte Modedesign studiert und als Fotomodell gearbeitet. Das klang so gar nicht nach einem verpfuschten Leben, das nur im Heroinrausch zu ertragen war, weil an jeder Ecke sexueller Missbrauch und himmelschreiende Ungerechtigkeit lauerten.

Nein, Sade war keine Billie Holiday, die sich das Leid aus der Seele schluchzen musste. Wo Letztere vom Schmerz erdrückt wurde, hatte Erstere nur ein bisschen Aua. Sade lieferte Heile-heile-Gänschen-Jazz. Sie kleidete die Bars mit jener Art von Klangteppich aus, zu dem sich bei einem Old Fashioned in gepflegter Schwermut schwelgen ließ. Melancholie, die gut zum Maßanzug und Kleinen Schwarzen passte (das übrigens auch Cocktailkleid genannt wird).

Und selbst wenn es mal existenzieller wurde, bekam Sade am Ende die Kurve. Da gibt es den Song über ihre verstorbene Freundin »Maureen«. Doch Verzweiflung sucht man in dem Lied vergebens. »Es sollte nicht traurig oder selbstgefällig klingen, sondern die Freude und schöne Zeit widerspiegeln, die wir miteinander hatten«, beschreibt Sade ihr Lieblingsstück auf ihrem zweiten Album »Promise«. Daher strahlt der Song eine angenehm prickelnde Wehmut aus, so bittersüß wie ein Negroni. Das Leben geht weiter, aber: »Du wirst nie meine neuen Freunde kennenlernen.«

Das klingt im Englischen natürlich abgründiger: »You’ll never meet my new friends.« Es finden sich in den Kompositionen von Sade immer wieder solche Zeilen, die mit wenigen Worten emotionale Schluchten andeuten. »But something in his smile made them feel like strangers« (In seinem Lächeln jedoch lag etwas, wodurch sie sich wie Fremde fühlten) heißt es in »Clean heart« auf ihrem dritten Album »Stronger Than Pride«.

Aber es bleibt bei Andeutungen. Die neonkalten 80er waren keine gute Zeit für Blues und Soul, also für Musik, die einen emotionalen Striptease hinlegt. Ideal sangen: »Das ist gefährlich, lebensgefährlich, zu viel Gefühl!« Nie hätte man zugegeben, dass einen dieses überdrehte, mit unerwarteten Wendungen vollgepackte Jahrzehnt bisweilen überforderte.

Auch deshalb erlebten Bars ein Comeback. Sie waren ein Refugium. Hier konnte man ein paar Cocktails lang vergessen, dass die Welt dort draußen doch nicht so lupenrein perfekt war, wie einem Werber und Filmemacher (was aufs Gleiche hinauslief, weil viele Regisseure als Werbefilmer begonnen hatten) vorzugaukeln versuchten.

Und Sade wird dies ähnlich empfunden haben. Unter der makellosen Oberfläche ihrer Songs vibriert es spürbar. Deshalb ist der damals geäußerte Vorwurf, ihre Musik sei nicht authentisch, auch Quatsch. Das Gegenteil ist richtig: Keine Künstlerin – nicht mal Madonna – verkörpert die 80er derart glaubwürdig wie Sade. In einer Welt, die keine Zeit für große Emotionen hatte (weil man sich entweder der Karriere oder dem Kampf gegen atomare Waffen und Kraftwerke widmete), lieferte sie genau die Gefühlsdosis, die man nach Feierabend verkraften konnte, ohne zu sehr aufgewühlt zu werden oder gar sein Leben infrage zu stellen.

Sade war nicht Hermann Hesse. Dafür eine herausragende Songwriterin. Es bereitet Freude, ihre drei Werke aus den 80er Jahren wiederzuhören. Die Coolness, die sie und ihre Musiker an den Tag legen, entpuppt sich als ziemlich heiße Angelegenheit. Man spürt die Hingabe, ja Begeisterung, die in den zeitlosen Stücken steckt. Und es liegt ein Trost darin, dass ihre Lieder heuer – da die Cocktailkultur auf den Hund gekommen ist – auch ohne Bars und Mixgetränke funktionieren.

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