Banken und Berge

Briefe aus Liechtenstein (1): Die Miniatur eines idealen Staates?

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
In Liechtenstein konkurrieren die Banken mit den Bergen.
In Liechtenstein konkurrieren die Banken mit den Bergen.

Ist Liechtenstein groß oder klein – und wo liegt es überhaupt? Das ist wie alles im Leben eine Frage der Perspektive. Wollte man die 24 Kilometer, die das Fürstentum lang ist, von der Schweizer Grenze von Sargans bis zur österreichischen in Feldkirch zu Fuß gehen, wäre dies eine Tagesreise. Man kann aber auch mit einem der landeseigenen froschgrünen Busse fahren oder nur bis zur Hauptstadt Vaduz, die auf halber Strecke liegt, das dauert nur eine halbe Stunde.

Was ich hier zu suchen habe? Ich bewohne für drei Monate ein Turmhaus in Balzers, das aus dem 13. Jahrhundert stammt und meterdicke Mauern und einen Gewölbekeller besitzt. Es zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit Rainer Maria Rilkes letzter Zuflucht im Schweizer Muzot, ebenfalls ein Turmhaus aus dem 13. Jahrhundert, in dem er seine letzten fünf Jahre verbrachte. Vielleicht wegen dieser Ähnlichkeit und weil ich gerade über Rilke in der Schweiz etwas schreiben will, hielt man es für passend, mir das Turmhaus eine Zeit lang zu überlassen.

Hier kann ich nun Rilkes Schreibkrisen und dichterischen Höhenflüge wie in einem Simultan-Versuch nachvollziehen. Jeden Tag ab morgens 7 Uhr. Da läutet die Glocke der kleinen Kapelle gegenüber Sturm – danach ist an Schlafen nicht mehr zu denken. Denn sofort beginnen die Liechtensteiner – hier herrscht Vollbeschäftigung – ihren Werktag: Rasen mähen, Intensivreinigung des Straßenpflasters, Müll ab- und Post ausfahren, prophylaktische Reparaturen an allen Ecken ... Das geht bis zum Mittag so. Erst dann hört man in der einkehrenden Stille wieder die Glocken der Kühe oben auf der Alm.

Das Zentrum von Vaduz erweist sich als überschaubar. Der Raum etwa, in dem das Parlament tagt, erinnert eher an einen Gemeindesaal. Ist Liechtenstein die Miniaturausführung eines idealen Staates, so wie ihn sich Campanella mit dem »Sonnenstaat« oder Thomas Morus mit »Utopia« vorstellte – der Fürst und seine 37 000 Untertanen in freundschaftlicher Symbiose?

Von 11 bis 15 liechtensteinischen Banken ist die Rede, wie viele es genau sind, bleibt unklar. Vielleicht ist das ihr Schlüssel zum Erfolg, denn hier gilt noch das Bankgeheimnis. Die mittelständische Industrie floriert, und das Land braucht mehr Arbeitskräfte, als es überhaupt Einwohner hat. An Einbürgerung ist dabei jedoch nicht gedacht. Die Gastarbeiteridee de luxe erinnert an die Bundesrepublik der sechziger Jahre: Österreicher und Schweizer kommen hierher zum Arbeiten – fahren anschließend aber wieder nach Hause. Da Wohnen in Liechtenstein teurer ist als anderswo, funktioniert das auch.

Für Kunst sorgt nicht zuletzt das Fürstenhaus persönlich, das eine der weltweit größten Kunstsammlungen besitzt. Auch auf Werke, auf deren Wertsteigerungspotenzial ich keine Wetten abschließen würde, stößt man dabei. Aber sie zeugen vom Sinn für Ironie der Liechtensteiner, die darauf bestehen, zugleich treue Untertanen des Fürsten (offizielle Anrede: Seine Durchlaucht!) und selbstbewusste Demokraten zugleich zu sein. Das schärft das Widerspruchsbewusstsein. So wie ich die liechtensteinische Staatsidee einer Erbmonarchie auf parlamentarischer Basis verstanden habe, hat das Parlament das Recht, den Fürsten abzusetzen, und dieser kann im Gegenzug das Parlament auflösen. Funktioniert seit Langem sehr gut. Das Einkommensniveau der Lichtensteiner übersteigt schließlich noch das der Schweizer. Vielleicht auch darum, weil man auf so entbehrliche Dinge wie eine eigene Armee verzichtet.

Die Liechtensteiner sind stolz, Untertanen und Demokraten zugleich zu sein.

An einem Gebäude weist eine Tafel darauf hin, dass Goethe auf der Rückreise aus Italien vom 1. auf den 2. Juni 1788 hier übernachtete. Unweit davon steht eine 3,80 Meter hohe Skulptur von David Cerný, die einen Tabant 601 auf Elefantenbeinen zeigt. Man darf sogar zwischen seinen Beinen hindurchgehen. Auf der Rückseite von Trabant und Elefant lese ich auf einem Schild: »Quo vadis?«

Über dem mit witzigen Exponaten bestückten Mini-Zentrum thront das riesige Schloss, dunkel und geradezu drohend wie bei Kafka. Es besitzt 130 Zimmer und darin wohnt bis heute die Fürstenfamilie. »Drohnen verboten«, ist auf Schildern rundherum zu lesen. Geht man den steilen Weg bergauf, steht man unweigerlich vor verschlossenen Toren. Nein, hier kommt man nicht hinein, an keinem Tag des Jahres und zu keiner Uhrzeit. Was verbirgt sich hinter den Schlossmauern? Märchenhafte Reichtümer oder eher funktionale Kargheit, schließlich ist der geschäftsführende Erbprinz Alois selbst ein gelernter Banker?

Ich kannte diesen Ort bislang nur als fiktiven Ort »Vadutz« aus Clemens Brentanos Märchen »Gockel, Hinkel und Gackeleia«, worin es heißt, er habe dieses Ländchen »von Jugend an wegen seines kuriosen Namens lieb gehabt«, ohne jedoch zu wissen, wo es eigentlich liege. Er habe auch »nie danach gefragt, um nicht aus einem jener Träume zu kommen, welche die Pillen der sogenannten Wirklichkeit vergolden«. Das ist die romantische Perspektive auf das sagenhafte Fürstentum Liechtenstein, das gerade so viele Einwohner hat wie die deutschen Provinzstädte Schönebeck oder Naumburg.

Wie konnte dieser wehrlose Flecken zwischen der Schweiz und Österreich als eigenständiges Staatengebilde bis heute überdauern? Durch Klugheit und Realitätssinn! Für eine romantische Idee, wie sie Eduard Mörike andichtete mit »Du bist Orplid, mein Land! Das ferne leuchtet« ist das wohl die einzige Chance. Unterworfen hat man sich nie, aber diplomatisch mit seinen Nachbarn geeinigt immer aufs Neue.

Wie viel Geld in den Tresoren der liechtensteinischen Banken gehortet wird, ist nicht bekannt. Wie schon gesagt: Hier gilt immer noch das Bankgeheimnis. Es verwundert indes nicht, dass der Internationale Währungsfonds gern Einsicht in die Bankunterlagen hätte. Darüber entbrennt gerade eine Debatte, die ich in der einzigen Zeitung Liechtensteins »Das Vaterland« verfolge. Einige neoliberale Ökonomen fordern, dass sich Liechtenstein dem IWF öffne, damit es von dort Hilfe erhalte, falls das kleine Land einmal in finanzielle Bedrängnis gerate. Da sei Erbprinz Alois vor! Denn sitzt erst der IWF mit am Tisch, ist es vorbei mit dem sozialen und kulturellen Schlaraffenland Liechtenstein.

Von Geld spricht hier übrigens niemand. Die Banken, deren Namen man außerhalb des Landes nicht unbedingt kennt, residieren nicht in Palästen, sondern sitzen in unscheinbaren Gebäuden. Nur wenn mal eine Bank plötzlich von der Bildfläche verschwindet, wie jetzt die Havilland Bank, von der es heißt, sie habe 1,6 Milliarden Franken an Kundengeldern verwaltet, ist das hier eine, wenn auch knappe, Meldung wert: »Die Bank Havilland gibt ihre Banklizenz in Lichtenstein ab und liquidiert ihren Betrieb. Die Ursache dafür ist in Luxemburg zu suchen.«

Fall erledigt, eine Bank in Liechtenstein weniger, das fällt kaum auf.

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