Jugendknast: Das freie Wort hinter dicken Mauern

Im Podcast »Zweidrittel FM« geben junge Straftäter Einblicke in ihren Alltag im Berliner Jugendknast

  • Susanne Gietl
  • Lesedauer: 4 Min.
Sie sind wissensdurstig und neugierig, im Knast-Podcast können die Jugendlichen das ausleben.
Sie sind wissensdurstig und neugierig, im Knast-Podcast können die Jugendlichen das ausleben.

Etwa 400 männliche Jugendliche und junge Erwachsene sitzen in der Jugendstrafanstalt Berlin (JSA) ein. Sie haben schwere Straftaten wie Körperverletzung, Betrug oder Diebstahl begangen, andere sind Wiederholungstäter. Im Podcast »Zweidrittel FM« teilen sie ihre Gedanken und geben Einblicke in ihre Gefängniswelt.

Sie führen Interviews, bauen Beats und rappen. Unterstützt wird der Podcast von einem Team aus Journalist*innen und Lehrer*innen der gefängniseigenen Helmuth-Hübener-Schule. Die Themen bestimmen die Jugendlichen selbst. Sie sprechen über Freiheit, Freundschaften und Vertrauen und widmen sich auch schwierigen Themen wie Sucht oder Gewaltprävention im Vollzug.

Dabei findet »Zweidrittel FM« eine gute Balance zwischen informativen und persönlichen Elementen. Wenn die Häftlinge Philo, Hewal und Batek über die Nächte in ihren Zellen reden, dann wirkt es, als hätte einfach jemand ein Mikro in die Knastzellen gehalten. Sie tauschen sich über die erste Nacht im Knast aus und darüber, wie schwer es ist, zu realisieren, dass man jetzt wirklich hinter Gittern lebt: »Sobald die Tür zu ist, sobald es Nacht ist, wird dir klar, dass du alleine bist«, merkt einer von den dreien an. Die anderen stimmen zu. Auch der Podcast-Titel ergibt sich aus der Gefängnisrealität.

»Zweidrittel FM« entspringt einer Vision, die viele miteinander teilen. Die Zwei-Drittel-Strafe besagt, dass man nach zwei Dritteln der Haftzeit für die restliche Zeit auf Bewährung entlassen wird. Dass es gar nicht so einfach ist, den Weg zurück in den Alltag zu finden, erfährt man in »Startpunkt – und nach der Haft?«, wo sich der Häftling Jelo mit Martin Liebegut und Matthias Gutjahr vom Verein Gangway zusammensetzt. Sie begleiten Jugendliche und junge Erwachsene vor und nach der Haftentlassung auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Trotzdem wird jeder zweite Jugendliche in den darauffolgenden drei Jahren erneut straffällig. Jelo, der in einem Jahr aus der Haft entlassen werden soll, hinterfragt die Gründe.

Er will von den beiden Straßensozialarbeitern wissen, worauf man achten muss, damit man nicht wieder im Knast landet, und warum viele Menschen verschuldet sind, wenn sie in den Knast kommen. Einige schließen zahlreiche Handyverträge ab, um günstig Handys zu bekommen, die sie für Drogen verticken, erfährt er; andere überziehen ihre Bankkonten, tilgen Gerichtskosten und Schmerzensgelder aus Straftaten. Bei Obdachlosen langt die Krankenkasse zu, wenn sie nicht im Sozialsystem erfasst waren. Ein trauriges Bild.

Die jungen Insassen sind wissensdurstig. Sie interviewen in weiteren Episoden einen Vollzugsbeamten zu seiner Sicht auf das Gefängnis, unterhalten sich mit einer Jugendrichterin über starre Strukturen der Justiz und mit dem Rechtsanwalt Alexander Gorski über Migrationsrecht und Abschiebung von Leuten, die bereits in Deutschland Fuß gefasst haben.

»Logistisch gesehen« sei es für Behörden einfacher, Menschen aus der Haft heraus abzuschieben. »Hört sich irgendwie krass an. Als wären wir irgendwie Ware«, merkt einer der Hosts an. Gorski gibt Tipps, wie man von Abschiebung betroffene Menschen unterstützen kann. Tony, einer der Hosts, ist einer von ihnen. Er wurde in Bremen geboren, ist aber kein deutscher Staatsbürger, erklärt er Lucky.

Birgit Lang, die Leiterin der Helmuth-Hübener-Schule der JSA, gibt in der Folge »Wiedergutmachung« Einblicke in das Projekt »Restorative Justice« (Wiederherstellende Gerechtigkeit). Dabei werden Täter nach Gesprächen mit Psychologen mit Opfern zusammengeführt, die eine ähnliche Straftat erlebt haben. Ein Insasse berichtet kurz von seinen eigenen Beobachtungen, im Anschluss spielt die Redaktion den selbst geschriebenen Song »Trauma, Trauer, Tränen«. Im Song geht es um Vergebung.

Bei »Zweidrittel FM« stehen nicht die Straftaten der Jugendlichen im Fokus, sondern ihre Gedanken, die sie wertungsfrei äußern können. Durch die Arbeit am Podcast lernen sie ihre Umwelt besser kennen – und ihre Umwelt sie. Je länger man zuhört, umso vollständiger wird das Bild der Menschen, die auf ihrem Weg falsch abgebogen sind und doch mitten im Leben stehen.

Verfügbar auf allen gängigen Podcast-Plattformen.

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