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Buch über AfD-Regierung – wie ein Horrorfilm
Maximilian Steinbeis zeigt in seinem neuen Buch, wie Rechte die Demokratie benutzen können
Die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, laut der die AfD mit 30 Prozent deutlich stärkste Kraft in Thüringen würde, ist erst ein paar Tage alt. Eine von der AfD geführte Regierung ist nicht ausgeschlossen. Von einer Sperrminorität ist die extrem rechte Partei nicht weit entfernt. Spätestens jetzt ist ein guter Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen, was denn droht, wenn die AfD entweder durch ihre Größe im Parlament wichtige Entscheidungen blockieren oder in Regierungsverantwortung ihre eigene Agenda durchsetzen kann. Das von Maximilian Steinbeis 2009 gegründete Verfassungsblog hat sich mit diesen Fragen in den letzten Monaten ausführlich beschäftigt. In ihrem »Thüringen Projekt« haben Steinbeis und seine Kolleg*innen über Monate recherchiert, welche Möglichkeiten autoritäre Populist*innen in Thüringen hätten. Die Ergebnisse haben sie unter anderem in dem Ende Juli erschienenen Buch »Die verwundbare Demokratie« zusammengetragen.
Steinbeis und Kolleg*innen gehen systematisch vor, sie schauen sich mögliche Vorbilder der AfD an. Wie hat Viktor Orbán Ungarn umgebaut? Was hat die PiS in Polen getan, um die Justiz umzubauen? Wie ist das alles mit Deutschland vergleichbar? Damit wird vermittelt, was das Thema des Buches ist. Denkt man in Deutschland an Nazis an der Macht, dann denkt man oft direkt an Auschwitz. Denkt man an die extreme Rechte, schweifen die Gedanken von Rostock-Lichtenhagen über den NSU bis nach Hanau. Steinbeis und Mitautor*innen haben im Blick, was autoritäre Populisten, im deutschen Fall die AfD, mit Mitteln der parlamentarischen Demokratie tun können.
Selbst Posten, die im politischen Alltag in Deutschland sonst eher eine untergeordnete Rolle spielen, könnten in der Hand der AfD zu gefährlichen Waffen werden. Ein Beispiel: Nach der Landtagswahl bekommt Thüringen einen neuen Landtagspräsidenten. Zu den Gepflogenheiten gehört es, dass eine Person aus der stärksten Fraktion diesen Posten besetzt. Das wird in Thüringen wohl die AfD sein. Gibt man ihr den Posten, kann sie ihn nutzen. Wählt der Landtag jemanden von der AfD, könnte die sich sogar eine kleine Parlamentspolizei gönnen, die nur ihr verpflichtet ist. Herrin über den Landtag wäre sie sowieso. Neurechte Kongresse mit Götz Kubitschek und Martin Sellner im Landtagsgebäude – es wäre wohl schwierig, dagegen vorzugehen.
In ihren Beispielen steigern sich Steinbeis und Co. langsam. Am Ende steht die Frage, was getan werden kann, wenn autoritäre Populist*innen regieren und sich weigern, das Bundesrecht durchzusetzen. Das nicht fernliegende Beispiel: Thüringer Behörden, die in Sachen Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrecht den Rechtsweg verlassen und so versuchen, Thüringen wieder »deutsch« zu machen. Was könnte die Bundesregierung gegen sie tun? Es gibt ein Mittel, den Bundeszwang. Er wurde bisher nie angewandt; ihn zu erwirken ist kompliziert und langwierig und der Bundesrat muss damit einverstanden sein. Immerhin, theoretisch könnte die Bundesregierung dafür sorgen, dass in einem von der AfD regierten Bundesland wieder rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen. Ob eine Bundesregierung diesen weiten Weg gehen würde, halten Steinbeis und seine Mitautor*innen allerdings für fraglich.
Wenig fraglich ist für die Autor*innen, dass den Rechten von der etablierten Politik allerlei Vorlagen geliefert wurden, mit denen es für sie leicht wird, ihre Ziele durchzusetzen. In Bayern und Nordrhein-Westfalen etwa wurden Polizei- und Versammlungsgesetze in den letzten Jahren rapide verschärft. Präventivgewahrsamnahmen, wie sie die bayerische Polizei etwa gegen Klimaaktivist*innen angewandt hat, könnten für einen AfD-Innenminister zu einem breit genutzten Repressionsinstrument werden. Unter dem Deckmantel, »Clankriminalität« zu bekämpfen, könnte eine rechte Landesregierung Migrant*nnen das Leben zur Hölle machen. Es gibt genug von Parteien der Mitte verabschiedete Gesetze, die das ermöglich.
Auch die Missachtung von Gerichten, die bei autoritären Populist*innen weltweit sehr beliebt ist, wird in Deutschland schon geübt. Beispiele kommen im Buch wieder aus Bayern und aus NRW. Wo 2018 ein Islamist trotz noch laufender juristischer Auseinandersetzung abgeschoben wurde und CDU-Innenminister Herbert Reul das rügende Gericht darauf hinwies, dass Gerichte das »Rechtsempfinden« der Bevölkerung im Blick behalten müssten. Die Erzählung von den bösen Eliten, die das Volk nicht mehr repräsentieren, im Miniaturformat.
»Die verwundbare Demokratie« bietet keine einfachen Lösungen. Es gibt nicht eine Handvoll Gesetze, die geändert werden müssen und schon ist die Demokratie immun gegen Attacken. Verfassungen und Gesetze sind immer Kompromisse. Man kann an der einen oder anderen Stellschraube drehen. Wichtig ist am Ende aber, wie Demokratie gelebt wird. Ob Menschen sich füreinander einsetzen, juristische Unterstützung organisieren und auf die Straße gehen und die vielfältige Gesellschaft verteidigen. Anlässe dafür könnte es bald wohl genügend geben.
Maximilian Steinbeis: Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme. Hanser, 304 S., geb., 25 €.
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