»Verfassungsgerichte nicht ausreichend vor der AfD geschützt«

Rechtsexperte Andreas Fisahn erklärt, wie Ampel und CDU das Bundesverfasungsgericht stärken wollen – und warum die Pläne nicht weit genug gehen

Würde die AfD mehr als 33,3 Prozent erhalten, könnte sie die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren. Ampel und CDU wollen das BVerG für ein solches Szenario wappnen.
Würde die AfD mehr als 33,3 Prozent erhalten, könnte sie die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren. Ampel und CDU wollen das BVerG für ein solches Szenario wappnen.

Besteht die Gefahr, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerG) von rechten Kräften ausgehebelt wird?

Noch kommt die AfD glücklicherweise weder auf eine Zweidrittelmehrheit, geschweigedenn auf eine absolute Mehrheit. Aber: Was nicht ist, kann noch werden. In Thüringen und Sachsen könnte die AfD die 30 Prozent knacken und dann mit ihrer Sperrminorität die Neuwahl von Verfassungsrichtern blockieren. Auf dieses Szenario muss man sich vorbereiten. Bisher ist nicht geregelt, was bei einer solchen Blockade passiert – weder auf Bundes- noch auf Länderebene.

Ampel- und Union wollen das BVerG durch eine neue Gesetzesinitiative stärken. Dabei verweisen sie mehrfach auf das Beispiel Polen. Was ist dort passiert?

Da kann man viele Beispiele heranziehen, etwa Donald Trump in den USA, Victor Orbán in Ungarn oder Benjamin Nethanjahu in Israel – in allen rechtsgerichteten Regierungen wird versucht, Verfassungsgerichte gefügig zu machen. In Polen ist aber folgendes passiert: Die rechte PiS-Regierung verkürzte die Amtszeit der Richter per Gesetzesänderung so, dass Richterstellen frei wurden. Diese konnte die Regierung dann nach ihrem Gusto neu besetzen.

Wie wollen Ampel und CDU einen solchen Fall verhindern?

Sie wollen Bestimmungen, die bisher nur im Verfassungsgerichtsgesetz stehen, im Grundgesetz verankern. Ein normales Gesetz kann man nämlich schon mit einfacher Mehrheit ändern, für eine Änderung des Grundgesetzes braucht es eine Zweidrittelmehrheit – die Hürde ist also deutlich höher. Irgendwie ist es schon lustig: Wenn man sich die Änderungen genau anschaut, macht die CDU hier einen Vorschlag für den Fall, dass sie selbst in eine Koalition mit der AfD geht. Es gab in der gesamten Geschichte der Bundesregierung noch nie eine Ein-Parteien-Regierung. Eine Koalition mit der CDU wäre aktuell das einzige Szenario, indem die AfD mitregieren könnte. Das passiert hoffentlich nicht, aber nur in diesem Fall wäre das überhaupt relevant.

Interview
Foto: Uni Bielefeld

Andreas Fisahn ist seit 2004 Professor für Rechtstheorie an der Universität Biele­feld. Seine Schwerpunkte sind die kritische Staats- und Rechts­theorie, Demo­kratie­theorie sowie Euro- und Umweltrecht.

Was steht denn im Verfassungsgerichtsgesetz und was soll nun geändert werden?

Darin sind verschiedene Formalien bezüglich des Richteramts festgelegt. Zum Beispiel, dass die Amtszeit von Verfassungsrichtern auf zwölf Jahre begrenzt ist oder dass die Altersgrenze bei 68 Jahren liegt. Auch die Zahl der Richterinnen und Richter ist in dem Gesetz auf 16 und die Zahl der Senate auf zwei festgeschrieben. Wenn die AfD regiert, könnte sie zum Beispiel die Altersgrenze so runtersetzen, dass ihnen politisch unliebsame Richter ihr Amt früher abgeben müssen, oder die Anzahl der Richter so erhöhen, dass neue Richter ins Amt kämen. Für eine Neubesetzung bräuchten sie trotzdem eine Zweidrittelmehrheit. In der Regierung hätten sie aber natürlich Einfluss auf die Entscheidung.

Sie haben zu Beginn von einer möglichen Blockade der Richterwahlen gesprochen. Wie will man damit umgehen?

Ja, das ist eigentlich das dringendste Problem, denn es ist viel wahrscheinlicher, dass die AfD auf 33,3 Prozent kommt und mit Sperrminorität die Wahl blockieren könnte, als dass die AfD mitregiert – zumindest wenn man davon ausgeht, dass die Brandmauer der CDU hält. Derzeit ist es wie gesagt so, dass in beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte die Stellen von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt werden. Für ein Blockadeszenario haben sich Ampel und CDU darauf verständigt: Wenn sich im Bundestag keine Zweidrittel-Mehrheit findet, entscheidet der Bundesrat – wenn es im Bundesrat keine Zweidrittel-Mehrheit gibt, entscheidet der Bundestag.

Warum wird diese Einigung kritisiert?

Ausgerechnet diesen entscheidenden Punkt wollen Union und Ampel nicht im Grundgesetz verankern, sondern nur im Verfassungsgerichtsgesetz. Genau wie die wichtige Regelung, dass Verfassungsrichter mit einer Zweidrittel-Mehrheit gewählt werden müssen. Das heißt also wieder: Diese wichtigen Punkte können mit einer einfachen Mehrheit geändert werden. Dass man in dem einen Fall sagt, man verankert ihn im Grundgesetz, um das BVerG vor einer möglichen AfD-Regierung zu schützen, in diesen wichtigen Punkten aber nicht – das ergibt eigentlich nicht viel Sinn.

Hat die Regelung irgendwelche Auswirkungen auf die Verfassungsgerichte in den Ländern? Sie sagten, in Sachsen und Thüringen ist die Gefahr am größten ...

Nein, und das ist genau das Problem. Man hofft jetzt wohl, dass die Länder in dieser Frage nachziehen. Aber darauf hat der Bund natürlich keinen direkten Einfluss, denn das ist Ländersache. Bisher ist mir nicht bekannt, dass es in Thüringen und Sachsen ähnliche Vorhaben gibt.

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