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Printkrise: »Wir tanzen gerne auf dem Drahtseil«
Die Printkrise hat auch die »Graswurzelrevolution« getroffen – trotz großer Solidarität der Lesenden. Redakteur Bernd Drücke im Interview
Die »Graswurzelrevolution« erscheint seit 1972. Sie ist die dienstälteste und auflagenstärkste anarchistische Zeitung im deutschsprachigen Raum. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Das Geheimnis behalten wir natürlich für uns. Ich denke, es gibt mehrere Gründe für den Erfolg. Die »GWR« ist seit 52 Jahren ein Sprachrohr aus den und für die sozialen Bewegungen. Sie möchte dazu beitragen, dass die gewaltfreie Bewegung anarchistisch und die anarchistische Bewegung gewaltfrei wird. Anderseits ist sie eine gut gemachte, redaktionelle Zeitschrift, die aus einer Perspektive »von unten« berichtet, oft außergewöhnliche Artikel veröffentlicht und damit Menschen auch außerhalb der anarchistischen und gewaltfreien Szene erreicht. Die »GWR« ist basisdemokratisch organisiert, unabhängig und finanziert sich durch die Abos. Vor ein paar Tagen hat ein Abonnent angerufen und gesagt, dass er sich seit 20 Jahren immer wieder darauf freut, wenn zum Monatsanfang die neue Ausgabe in seinem Briefkasten liegt: »Ihr seid die letzte antimilitaristische und anarchistische Stimme in Zeiten der Militarisierung. Bitte weitermachen!«
Bernd Drücke ist Soziologe und gewaltfreier Anarchist. Seit 1998 ist er – mit kurzer Unterbrechung – Koordinationsredakteur der »Graswurzelrevolution«. Daneben hat er eine Reihe von Büchern zum Themenkomplex Anarchismus publiziert.
Um weiterzumachen, brauchen Sie Spenden.
Ja, und unsere aktuelle Spendenkampagne zeigt, dass die »Blattbindung« groß ist. Wir haben die Leser*innen mit einer Beilage um 10 000 Euro Spenden gebeten, um über die alljährliche Sommerpause zu kommen. Nach vier Wochen wurden schon über 20 000 Euro gespendet und viele haben ihr Abo in ein Förderabo umgewandelt. Diese Solidarität begeistert uns. Wir machen weiter und versuchen, eine Zeitschrift zu machen, die die Menschen zu direkten gewaltfreien Aktionen und zum Träumen von einer solidarischen, nicht-kapitalistischen Gesellschaft inspiriert. Wir agitieren für eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden. Manchmal gelingt es uns, eine kleine Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Seit dem Wegbrechen anderer anarchistischer Medien, sei es des »Schwarzen Fadens« (SF) oder der »Direkten Aktion« (DA), scheint die »GWR« auch als Sammelbecken für unterschiedliche Strömungen des Anarchismus zu dienen. Wie gehen Sie mit dem Balanceakt um, ein eigenständiges Profil zu erhalten und gleichzeitig solidarisch Genoss*innen aus dem anarchistischen Spektrum eine Plattform zu bieten?
Wir tanzen gerne auf dem Drahtseil. Seit der Einstellung der beiden anderen großen anarchistischen Zeitschriften versuchen wir, die Lücke zu schließen und gleichzeitig unser Profil als »Monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft« nicht zu verlieren. Viele ehemalige Autor*innen von »SF« und »DA« schreiben für uns, aber auch junge Aktivist*innen. Die »GWR« bekommt mehr Exklusivtexte als hineinpassen und erscheint deshalb inzwischen mit 24 bis 28 statt 20 Seiten im Berliner Tageszeitungsformat. Ich freue mich, wenn es kontroverse Diskussionen in der »GWR« gibt.
Die »GWR« ist ja nicht nur eine anarchistische Zeitung, sondern sie verortet sich explizit im gewaltfreien Anarchismus. Welche Rolle spielt die Zeitung heute für eine antimilitaristische und pazifistische Bewegung in einer Zeit, in der wir eine Vielzahl von Kriegen und gewaltsamen Konflikten erleben?
Wir lassen in der »GWR« vor allem Gruppen zu Wort kommen, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, jenseits von Staat, Militarisierung und Gewalt. Die »GWR« ist Mitglied der War Resisters’ International (WRI) und in die Kampagne #ObjectWarCampaign involviert, die Deserteur*innen und Kriegsdienstverweiger*innen aller Kriegsparteien unterstützt, zum Beispiel aus Russland, Belarus und der Ukraine. Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Deshalb wollen wir jeden Krieg sabotieren und der Militarisierung den Boden entziehen. Wir fordern das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung und Asyl für alle Deserteure.
Was sind die Gründe dafür, dass sich die Zeitschrift gerade in der Krise befindet?
Die Inflation, die Printmedien- und Wirtschaftskrise machen uns zu schaffen. Wir brauchen mehr Geld, mehr Abos und mehr jüngere Aktivist*innen, die Aufgaben im »Projekt Graswurzelrevolution« übernehmen. Im generationsübergreifenden »GWR«-Herausgeber*innenkreis sind im Moment etwa 30 ehrenamtlich Aktive, aber nur wenige junge.
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Das Printmedium als solches wird seit langem für redundant, gar für tot erklärt. Warum halten Sie daran fest? Wäre es nicht sinnvoll, ein anderes Format zu wählen, um Ihre Inhalte zu verbreiten und so vielleicht auch andere Leser*innenschaften zu erreichen?
Ich bin Fan des gedruckten Wortes und hoffe auf eine Renaissance der Printmedien. Texte, die wir in einem Buch oder einer Zeitschrift lesen, können wir intensiver verarbeiten und es ruiniert nicht die Augen. Für uns ist es ein Problem, dass viele Menschen fast nur noch am Handy oder Computer lesen. Wir können noch kein »richtiges« Online-Abo anbieten und diskutieren gerade, wie wir das ändern können. Dadurch, dass wir nur Erstveröffentlichungen abdrucken und davon nur wenige Beiträge als Appetithäppchen auf graswurzel.net stellen, haben wir proportional weniger Print-Abos verloren als zum Beispiel die »Taz«. »Unter den Kleinen eine der Größten«, hat »nd« mal über die »GWR« geschrieben. Das stimmt noch immer. Momentan werden rund 3000 Exemplare im Monat verkauft.
Wie viele Abos werden derzeit benötigt, um das Weitererscheinen der »GWR« dauerhaft zu sichern?
Wir brauchen 200 Neuabos und weitere Spenden, um die Kosten zu decken und einen Relaunch der Homepage zu machen. Wir wünschen uns Mitstreiter*innen, Anarchie und Glück!
Auf der Website www.graswurzel.net lassen sich Abos abschließen. Dort findet sich auch die Adresse des Spendenkontos.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
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