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Eve Babitz: Die lieben Freunde
Eve Babitz und ihr Memoir aus den wilden Sechzigern »Sex & Rage«
Eve Babitz’ Karriere beginnt mit einem kalkulierten Skandal. Anlässlich einer Marcel-Duchamp-Retrospektive im Pasadena Art Museum, die ihr damaliger Liebhaber Walter Hopps kuratiert, lässt die 20-Jährige sich vom »Time«-Fotografen Julian Wasser nackt mit dem alternden Künstler beim Schachspielen ablichten. Das Foto »Duchamp Playing Chess with a Nude (Eve Babitz)« erlangt bald Weltruhm. Zunächst sieht man ihr Gesicht nicht, auf weiteren Bildern der Session dann aber schon. So musste man das in den frühen 60ern als ambitionierte, talentierte Frau offenbar anstellen, um in der US-Kunstszene einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Dass man sie später, als sie längst eine eigene Karriere als Schriftstellerin vorzuweisen hat, immer noch gern als so eine Art Edelgroupie zu belächeln versucht und ihren vielen Affären mindestens so viel Aufmerksamkeit schenkt wie ihrem eigentlichen Werk, hat mit diesem Auftakt zu tun. Aber auch damit, dass sie die gezielte Indiskretion nicht scheut und über ihre Beziehungen zu Berühmtheiten wie Harrison Ford, Steve Martin, Ed Ruscha und Jim Morrison offen Auskunft gibt.
Eve Babitz weiß also von Anfang an, wie man sich in Szene setzt, und nutzt dieses Talent. Sie kommt als Cover-Künstlerin für Ahmet Ertegüns Atlantic-Label unter und gestaltet Plattenhüllen für die Byrds und Buffalo Springfield, feiert dann aber vor allem Erfolge mit ihren autobiografischen Geschichten und Reportagen im »Rolling Stone« oder »Esquire«. Man vergleicht sie sogar mit Joan Didion, aber wir wollen es mal nicht übertreiben. In den USA wird ihr Werk seit ein paar Jahren wiederentdeckt, weil man in Babitz ein weibliches Role Model zu erkennen vermeint, das sich mit Kalkül und Frechheit in der misogynen US-Kulturszene jener Jahre durchsetzen konnte.
Sie spielt mit und bereut nichts, das zeigt sich auch in »Sex & Rage«, ihrem Schlüsselroman über die 60er.
In den USA wird ihr Werk wiederentdeckt, weil man in Babitz ein weibliches Role Model zu erkennen vermeint, das sich mit Kalkül und Frechheit in der misogynen US-Kulturszene jener Jahre durchsetzen konnte.
Babitz’ Alter Ego Jacaranda Leven ist ein phänotypisches kalifornisches Surfergirl der späten 60er. Aber sie entstammt eben auch einer wohlsituierten Künstlerfamilie – Igor Strawinsky kommt zu ihrem 16. Geburtstag und ihre Patentante ist eine ehemalige Hollywood-Diva. Diese Mischung aus knackig braungebranntem Pragmatismus und ästhetischer Verfeinerung macht sie interessant für die Westcoast-Rockszene, später auch für den durchgeknallten US-Jetset. »Eine echte Angeleno, aufgewachsen am Rande der USA, die Füße im Meer und den Kopf in den brechenden Wellen, mit einem Bücherregal, dessen Inhalt sie mit dem Rest der Welt in Verbindung brachte … Die Idee der ›Sünde‹ war ihr fremd, Manieren ebenso. Sie war, wie sie war, weil die Levens sie alles hatten lesen lassen, und in Los Angeles kannte sie sich aus wie eine Beduinin auf ihren eigenen fünftausend Quadratkilometern wegloser Einöde«, schreibt Babitz.
Die Superreichen lassen Jacaranda mitspielen, und ein paar Jahre widmet sie diesem Spiel alles, was sie hat. Ihre »lieben Freunde« nehmen ihr allerdings übel, dass sie nicht an einer Überdosis stirbt, wie ihre vielen Vorgängerinnen, sondern gelangweilt von der ritualisierten Protzerei und dem routinierten Sarkasmus untereinander Interesse fürs Schreiben entwickelt. Man rät ihr dringend ab, und dieses Buch zeigt dann auch ziemlich genau, was sie befürchten mussten – eine detaillierte Innenansicht ihres Soziotops, das keine moralischen Skrupel kennt und an seiner forcierten Überinszenierung schier erstarrt.
Dennoch fehlt diesem Buch jede Bitterkeit. Im Gegenteil, Babitz gräbt hier noch einmal ihren ganzen juvenilen Enthusiasmus für einen Lebensstil frei, der die eigene Existenz wie ein Kunstwerk zu überformen sucht. Und auch wenn sie weiß, dass sie noch mal davon gekommen ist, dass ihr hedonistischer Lebenswandel und vor allem ihr Spaß an allerlei Marschierpülverchen, Stimmungsmachern und bunte Farben erzeugendem Blubberlutsch auch ein schlimmes Ende hätten nehmen können – die leicht nostalgisch angekränkelte Wehmut darüber, dass die wilden Tage unwiederbringlich vorbei sind, schimmert hier ebenso durch.
Die zweite Hälfte des Buches widmet sich dann ihrer kurzen Zeit in New York, wo sie endlich aufhört zu saufen und beginnt, ihre Karriere als Schriftstellerin voranzutreiben. Während Los Angeles den Spaß verkörpert, ist New York Synonym fürs Business. Hier trifft sie sich mit ihrer Agentin, spricht bei Zeitschriftenredaktionen vor und nimmt mit ihrem Lektor die erste Buchpublikation in Angriff, einen Sammelband ihrer Zeitschriftengeschichten, der im wirklich Leben den Titel »Eve’s Hollywood« (1974) trug. Sie skizziert ein durchaus plastisches Bild der Ostküsten-Egghead-Szene, deren Ernsthaftigkeit und Intellektualität ihr gehörige Angst einflößen, bis sie auch hinter diese Fassade blickt.
»Sex & Rage« ist Babitz’ eigene Geschichte, das manifestiert sich auch ästhetisch in ihrer ungezügelten Auskunftsfreudigkeit. Sie erzählt immer etwas mehr als für die Story notwendig wäre, einfach weil alles so passiert ist. Das Faktische beansprucht seinen Raum und das macht diese autofiktionale Prosa umso wahrhaftiger.
Eve Babitz: »Sex & Rage«. S. Fischer Verlag, 269 S., geb., 24€.
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