Kitas in Berlin: Platzmangel war gestern

In einigen Bezirken ist das Überangebot an Kitaplätzen dramatisch

Setzt sich der Trend fort, werden in Berliner Kitas bald weniger Bürsten und Becher zu finden sein.
Setzt sich der Trend fort, werden in Berliner Kitas bald weniger Bürsten und Becher zu finden sein.

Der Kitaplatzmangel in Berlin ist überwunden. Das geht aus Zahlen des noch unveröffentlichten Kita-Entwicklungsberichts der Senatsverwaltung für Bildung hervor, auf die sich das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf beruft. Demnach hat der Kitaplatzausbau im Land Berlin »in den letzten Jahren erheblich an Fahrt aufgenommen und die Zahl der angebotenen Plätze übersteigt erstmals deutlich die Anzahl der nachgefragten Kitaplätze«.

Ein Blick in den Kita-Navigator ergibt: Die überwiegende Mehrheit der Kitas weist freie Plätze aus. Ende 2023 seien berlinweit 15 000 Plätze weniger belegt als angeboten worden, teilt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf mit.

Auch wenn berlinweit die Zahl der Kinder zwischen null und sieben Jahren kleiner wird, schreibt der Bezirk die verbesserte Versorgung den Ausbauanstrengungen zu. »Das Land Berlin hat hier in den letzten acht Jahren die entscheidenden Weichen gestellt und gezielt mit Grundstücken und Förderungen die Ansiedlung neuer, toller Kitaangebote geschaffen«, erklärt Gordon Lemm (SPD), Bezirksstadtrat für Jugend. Einzelne Neubauten werde es auch in Zukunft geben. »Der Fokus in der Kitaplanung wird aber zukünftig in der Ausgestaltung des pädagogischen Angebots, der Einbindung der Eltern und Schaffung besserer Arbeitsbedingungen für Erzieherinnen und Erzieher sein.«

Andreas Wächter ist Geschäftsführer von Pad e.V., einem sozialen Träger, der in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf neun Kitas betreibt. Er weist gegenüber »nd« auf die Notwendigkeit hin, regional zu differenzieren. »In den Innenstadtbezirken hat sich der Mangel aufgelöst, hier besteht für viele Einrichtungen bereits die Herausforderung, dass sie genügend Kinder in die Einrichtungen bekommen«, sagt Wächter. In seiner Region stelle sich das anders dar. Zwar gebe es auch hier eine Entspannung, zugleich wüchsen die Bezirke weiter, in denen Pad Kitas betreibe. »Gerade in den Großsiedlungen in Marzahn-Hellersdorf führen wir Wartelisten.« Zudem hat laut Wächter der Fachkräftemangel keineswegs an Bedeutung verloren. »Für einzelne Einrichtungen fehlt uns die volle Betriebserlaubnis, weil wir nicht genügend Personal finden. Und dieses Problem zieht sich quer durch alle Träger und Bezirke.«

»Eine lokaler Mangel und ein berlinweites Überangebot sind kein Widerspruch.«

Gordon Lemm (SPD)
Bezirksstadtrat Marzahn-Hellersdorf

Im Gespräch mit »nd« ordnet dann auch Bezirksstadtrat Lemm die Mitteilung des Bezirksamtes nochmals ein: »Eine lokaler Mangel und ein berlinweites Überangebot mit sich daraus ergebender Wahlfreiheit für die Eltern sind kein Widerspruch.« Es seien weiterhin unterversorgte Gegenden in Berlin zu finden. Doch ab 2026 werde es selbst in Marzahn-Hellersdorf, dem Bezirk mit dem größten Zuwachs an Null- bis Siebenjährigen, 430 Plätze über dem Bedarf geben. In Pankow hingegen habe es den größten Rückgang gegeben. Zwischen 2019 und 2023 sei der Kitaplatzbedarf dort um 3500 Plätze, um elf Prozent, zurückgegangen. »Insbesondere kleine Träger stellt die Entwicklung schon jetzt vor wirtschaftliche Herausforderungen«, sagt Lemm, »Probleme dieser Art werden die Zukunft der Kitaplatzbemessung bestimmen.« Die Entwicklung biete aber auch eine Möglichkeit, sich künftig an die Gruppengröße zu wagen.

Die längerfristige Entwicklung der Kitaplatzabdeckung berührt auch die Debatte um die Streiks in den landeseigenen Kitabetrieben. Die Gewerkschaft Verdi und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) lassen ab 1. September ihre Mitglieder über unbefristete Erzwingungsstreikmaßnahmen abstimmen. Ziel ist ein Entlastungstarifvertrag, wie es ihn schon in ähnlicher Form in etlichen Krankenhäusern gibt. Die Gewerkschaft will den Betreuungsschlüssel in den Kitas verbessern. An 13 Tagen wurde bisher gestreikt, ohne dass der Berliner Senat von seiner Position abgerückt ist, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen an die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zu richten habe. Das Argument: Berlin fliege sonst aus der Tarifgemeinschaft. Verdi beharrt jedoch auf einem Abschluss auf Landesebene. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) hatte von »Sinnlosstreiks auf dem Rücken der Kinder und Eltern« gesprochen. Ein heißer Herbst mit harten Fronten steht bevor.

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) war bisher noch im Dialog mit den Gewerkschaften. In einer am Montag veröffentlichten Mitteilung wird sie hingegen deutlich. Die andauernden Streikaufrufe seien »unverantwortlich«. »Anstatt nach konstruktiven und rechtlich möglichen Wegen zu suchen, werden Forderungen auf Kosten von Familien gestellt«, so die Senatorin. Die Forderungen seien zudem nur für die landeseigenen Betriebe erhoben worden, somit massiv ungerecht, sie spalteten die Kitaträger-Landschaft.

Gleichzeitig hatte die Senatsverwaltung bekanntgegeben, dass Eltern ihre Kinder vermehrt von den landeseigenen Betrieben ab- und bei Einrichtungen freier Träger anmeldeten. Belastbare Zahlen legt die Senatsverwaltung nicht vor, nennt aber geschätze 700 streikbedingte Ummeldungen. Es sei nicht auszuschließen, dass es bei erneuten Streiks zu weiteren Ummeldungen kommt.

Verdi könne die Zahlen der Senatsverwaltung nicht nachvollziehen, sagt Gewerkschaftssekretärin Josephine Roscher »nd«. Es würden nicht einmal Vergleichszahlen aus den Vorjahren benannt. »Unsere Mitglieder berichten, dass schon vor den Streiks viele Eltern eine Ummeldung erwogen haben, weil sie denken, dass die freien Träger mit Blick auf die Gewährleistung der Betreuung und verlässlicher Öffnungszeiten besser aufgestellt sind«, sagt Roscher. Zudem würden Eltern nicht allein wegen der Streiks die Kitas wechseln und dafür eine neue Eingewöhnungszeit, den neuerlichen Beziehungsaufbau zu den Bezugserzieher*innen und die Umstellung des sozialen Umfelds in Kauf nehmen.

An den Kitas von Pad lägen die Anmeldungen im Normalbereich, sagt Geschäftsführer Andreas Wächter. Die Motivation sei im Einzelnen auch schwer nachzuvollziehen, es gebe viele Gründe für einen Wechsel. »Die entscheidensten Kriterien sehe ich nach wie vor in der Wohn- und Arbeitsplatznähe und in der Bewertung der pädagogischen Qualität.« Für seine Einrichtungen könne er das von der Senatsverwaltung skizzierte Phänomen nicht nachvollziehen. »Die Aussagen aus der Verwaltung halte ich dementsprechend eher für politische Aussagen im Kontext des laufenden Arbeitskampfes zwischen dem Land Berlin und Verdi.«

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