US-Demokraten: Kritische Stimmen sind unerwünscht

Beim Parteitag der Demokraten ist eine Strategiediskussion nicht vorgesehen

  • Max Böhnel, Chicago
  • Lesedauer: 5 Min.
Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris wird überall gefeiert, ob in Chicago oder wie am Dienstag in Wisconsin.
Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris wird überall gefeiert, ob in Chicago oder wie am Dienstag in Wisconsin.

Lichtblitze, dominantes Blau, minutenlanger Jubel und vorfabrizierte Winkelelemente – auch der zweite Tag des Chicagoer Demokraten-Konvents war von Showelementen geprägt. In einem zeremoniellen Verfahren bestätigten die Delegationen aus sämtlichen US-Bundesstaaten Vizepräsidentin Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei. Der Prozess, ein sogenannter Roll Call, war rein symbolischer Natur. Bereits Anfang des Monats waren Harris und ihr Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz per elektronischer Abstimmung als Spitzenkandidaten der Partei nominiert worden. Es gab keine Gegenkandidat*innen, auch nicht solche, die Harris davor ausgestochen hätte, und die jetzt klein beigeben und ihr ihre Unterstützung zusagen würden.

Die Zusammenkunft der Demokraten im »United Center« wird von Zurschaustellung von Einheit geprägt. Von 17 Uhr bis Mitternacht hält seit Montag vier Tage lang ein Unterhaltungs- und Redenprogramm die Tausenden von Delegierten, Politiker*innen, Medienvertreter*innen und Besucher*innen in Stimmung. An der Decke der Mehrzweckhalle, die den Profi-Basketballern Chicago Bulls seit 30 Jahren als Heimstätte dient, warten Hunderte von blauen, roten und weißen Luftballons auf den Moment, in dem sie nach unten fallen dürfen: Wenn Kamala Harris am Donnerstagabend den letzten Satz ihrer Parteitagsrede ausgesprochen hat und sich ein Konfettiregen über die Bühne ergießt.

Die Demonstranten haben nicht unrecht

Die Chicagoer Polizei, der Secret Service und das Sicherheitspersonal der Partei selbst verstärkten am Dienstag die Einlasskontrollen. Ebenso verstärkten Bauarbeiter den Sicherheitszaun, der das Gelände umgibt. Denn am Montag hatten sich sowohl im »United Center« wie außerhalb »Free-Palestine«-Demonstranten störend bemerkbar gemacht. Während der Rede von Präsident Joe Biden hatten drei Delegierte ein Transparent mit der Aufschrift »Stop arming Israel« entfaltet, bevor Sicherheitspersonal die Sicht auf sie versperrte und sie aus der Halle drängte. Am Rande einer Demonstration, an der rund 10 000 Menschen das Ende der US-Waffenlieferungen an Israel forderten, hatten mehrere Dutzend den Bauzaun durchbrochen. Doch auch sie wurden von Polizei im Kampfausrüstung abgedrängt.

Am Dienstagabend prallten abseits der Parteitagshalle in der Nähe des israelischen Konsulats Polizei und Demonstrant*innen aufeinander. Als etwa 100 pro-israelische Gegendemonstrant*innen auf die Menge zumarschierten, stellten sich Hunderte von Sicherheitskräften dazwischen. Es kam zu wütenden Sprechchören und mehreren Festnahmen. Der linke Journalist Juan Gonzales, der sich zwischen Parteitag und Demonstranten hin- und herbewegte, äußerte den Eindruck, die Demokraten »wünschten sich, dass das Thema einfach von selbst wieder verschwindet«. Gleichwohl sprachen sowohl die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als auch Joe Biden am Montag und Bernie Sanders am Dienstag in ihren Reden die Gaza-Problematik an. Biden blieb vage und sprach »von sehr vielen Opfern auf beiden Seiten«, betonte aber auch, dass »die Demonstranten nicht unrecht haben.

Neu ist beim Demokraten-Parteitag die große Zahl an Influencern aus sozialen Medien. Neben gut 15 000 Vertretern herkömmlicher Medien beteiligen sich zweihundert geladene «Content Providers». Sie machen Selfies mit prominenten Politiker*innen und drehen kurze Videos. Die Parteitagsorganisatoren haben dafür Interview- und Produktionsräume bereitgestellt. Die Zahl der Influencer soll sich in den kommenden Wochen bis zu den Wahlen am 5. November auf 5000 erhöhen, hieß es. Die Demokraten befinden sich gegenüber Trump und den Republikanern, was die Präsenz in sozialen Medien angeht, weit im Hintertreffen. Von daher ist die neuerliche Fokussierung auf Influencer zu erklären. Trump hat 90 Millionen Follower auf X und wird von dessen Besitzer Elon Musk massiv unterstützt. Harris hat dagegen nur 21 Millionen Follower. Auf Tiktok führt Trump mit 10,4 zu 4,6 Millionen, auf Instagram mit 26 zu 17,6 Millionen.

Kritische Stimmen sind Randerscheinung

Neben den Gaza-Demonstrant*innen sind im Rahmen des Parteitags trotz des dominierenden Einheitsspektakels auch andere kritische Stimmen zu hören. Bei einer sehr viel kleineren Veranstaltung der «Progressive Democrats of America» im Gebäude der Chicago Teachers Union, der Lehrendengewerkschaft, wurde tiefer geblickt. Eine Ärztin und Delegierte aus Wisconsin beschrieb beispielsweise die scharfe Abtreibungsgesetzgebung in ihrem Bundesstaat. Um an eine Abtreibungspille zu kommen, seien zwei Arztbesuche und eine Wartezeit von 24 Stunden vorgeschrieben. Sie vermisse eine Strategie der Demokraten, wie dagegen vorzugehen sei, klagte sie. Die linke Politikerin Nina Turner aus Ohio warnte vor dem Einfluss von Lobbyistengeldern, die über nicht nach vollziehbare Kanäle auch in der Demokratischen Partei fließen. Turner selbst war 2022 in parteiinternen Vorwahlen für einen Sitz im Washingtoner Repräsentantenhaus mithilfe von Millionensummen, die an ihre eher konservative Konkurrentin flossen, aus dem Rennen geworfen worden. Gruppierungen wie die Israel-Lobby AIPAC, die Waffenlobby NRA und die private Gesundheits- und Versicherungsindustrie würden in der Partei massiv mitmischen. Mit Blick auf das rechtsautoritäre «Project 2025» der Republikaner fragte Turner: «Wo ist eigentlich unser Demokraten-Projekt 2025?»

Den Finger in die Wunde legte vor den Tausenden von Delegierten als einziger prominenter Redner der demokratische Sozialist und Senator aus Vermont, Bernie Sanders. Am Dienstagabend lobte er zunächst die Politik und die Hilfen der Biden-Regierung zur Bewältigung der Coronakrise. «Wenn der politische Wille vorhanden ist, dann kann die Regierung für die Bevölkerung schnell etwas tun», sagte er, um dann zu betonen, dass es nicht radikal sei, eine allgemeine Krankenversicherung, die Erhöhung des Mindestlohns und Organisationsfreiheit für Gewerkschaften zu fordern und durchzusetzen. Aber einen solchen Fortschritt würden politische und wirtschaftliche Interessengruppen mit «dark money» (Geld aus schwarzen Kassen) sowohl bei Republikanern als auch bei Demokraten verhindern. Zuallererst müsse es darum gehen, «das Geld aus unserem politischen System zu entfernen».

Am Mittwochabend Ortszeit(nach Redaktionsschluss) wird «running mate» Tim Walz seine Rede halten, am Donnerstagabend kommt es mit Kamala Harris zum Höhepunkt des «DNC2024».

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