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US-Wahlkampf: Millionen für ein kaputtes System
Für Christoph Ruf ist der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten aus mehreren Gründen ein Problem.
Es gibt Nachrichtenportale, die finden Kamala Harris so faszinierend, dass sie seit fünf Wochen kein anderes Thema mehr kennen. Das ist umso überraschender, als man in den Texten in der Regel nichts, aber auch gar nichts darüber erfährt, was die Frau vorhat. Stattdessen wurde gefragt, ob Donald Trump, der hinterfragt hatte, ob Harris »schwarz« sei, rassistisch sei. Ich habe die Debatte nicht verstanden. Zum einen, weil mir Hautfarben egal sind. Zum anderen, weil für mich Trump eindeutig ein Rassist ist.
Es gab dann eine Debatte darüber, ob Harris künstlich lache oder herzzerreißend offen. Mir ebenfalls wumpe. Dann machte Barack Obama einen Peniswitz über Trump. Für mich kein Problem, ich habe privat einen ähnlich primitiven Humor. Allerdings hat es mich dann doch gewundert, wie nahezu einhellig belustigt das Medienecho ausfiel. Sexismus ist offenbar etwas völlig anderes, wenn er von A. kommt und nicht von B. – so kann man als Aktivistin selbstverständlich verfahren. Wer als Journalist aber immer noch nicht verstanden hat, bis wie tief in die Mitte der Gesellschaft hinein unsere Zunft als einseitig und opportunistisch wahrgenommen wird, hat ein echtes Problem. Wir haben mittlerweile ein Ansehen wie Nacktschnecken zur Erntezeit, auch aufgrund einer Selbstgerechtigkeit, die schlechte Politiker und schlechte Journalisten eint. Wahrscheinlich verstehen sich viele davon deshalb so gut.
Die Wahlen am 5. November 2024 sind für die US-Bürger wie auch den Rest der Welt eine der wichtigsten Richtungsentscheidungen dieser Zeit. »nd« berichtet über die Stimmung und Probleme im Land, über Kandidaten und ihre Visionen. Alle Texte zur US-Wahl finden Sie hier.
Die Meinung, dass die offizielle Politik nicht wirklich korrumpiert sein kann, erscheint mir übrigens als etwas sehr Deutsches: Gerade habe ich »Die Entblößten« von Marion Messina gelesen. Literarisch gesehen leider kein gutes Buch, aber als politische Dystopie brillant. Spoiler: Ein Buch, das man in Frankreich als Buch einer wütenden linken Autorin liest, wird hierzulande in den Feuilletons schon bald als Wegbegleiter des rechten Schwurblertums rezipiert werden. Könnte daran liegen, dass es hierzulande so wenig Linke gibt.
Aber weiter mit Harris. Eine halbe Milliarde US-Dollar hat sie bereits an Spenden eingesammelt. Das soll toll sein, weil es ihre Chancen gegen Trump erhöht, lese ich. Und frage mich, was von einem politischen System zu halten ist, das darauf beruht, dass die Lobbyverbände beider Lager ihre Leute pampern. Das läuft in Brüssel dann doch subtiler ab. Als dann irgendwann Tim Walz als potenzieller Vize nominiert wurde, ging das ganze Gewäsch in die nächste Runde: Ein Football-Trainer, und höret und staunet: kein Milliardär, dafür einer, der den eigenen Sohn auf dem Parteitag zu Tränen rührt.
Ich musste auch heulen, aber nicht aus Rührung. Als ich las, dass die Headquarters beider Parteien allen Ernstes die Frage für wahlentscheidend halten, ob Taylor Swift eine Wahlempfehlung für Harris abgibt, wunderte mich dann gar nichts mehr, und ich beschloss fürderhin, wieder mehr Romane zu lesen. Und dann passierte es – ausgerechnet in der Tram zum Buchladen: Sport und Seite drei hatte ich schon durch, also las ich im Wirtschaftsteil ein Interview mit einem US-Manager. Zentraler Satz: »In Deutschland wäre Harris wahrscheinlich in der CSU.« Jetzt bin auch ich überzeugt: Kamala Harris wäre die optimale Präsidentin für ihr Land.
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