Bodo Ramelows schwerster Kampf

Zum fünften Mal ist Bodo Ramelow Spitzenkandidat der Linken in Thüringen. Diesmal geht es weniger um den Wahlsieg, sondern vor allem um die Demokratie

Auch wenn die Lage in Thüringen ernst ist, lässt es sich Bodo Ramelow nicht nehmen, im Wahlkampf mit »Fröhlichkeit und Gelassenheit« durchs Land zu gehen. Hier bei der Eröffnung des Volksfestes Rudolstädter Vogelschießen.
Auch wenn die Lage in Thüringen ernst ist, lässt es sich Bodo Ramelow nicht nehmen, im Wahlkampf mit »Fröhlichkeit und Gelassenheit« durchs Land zu gehen. Hier bei der Eröffnung des Volksfestes Rudolstädter Vogelschießen.

Die Anfahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ein paar Tage vorher hatten 2000 Menschen dem AfD-Mann Björn Höcke den Weg zum Stadtteilzentrum »Lisa« in Jena-Lobeda versperrt. Die Demonstranten blockierten trotz eines ruppigen Polizeieinsatzes die Straße; der Rechtsextremist, den man Faschist nennen darf, trat den Rückzug an, seine Wahlkampfveranstaltung fiel aus.

Gegen Bodo Ramelows Auftritt hatte niemand etwas. Jedenfalls ließ sich kein Demonstrant blicken, als er zur Wahldebatte ins Stadtteilzentrum im Jenaer Neubaugebiet kam. Nebenan tagte ein BSW-Stammtisch, dabei eine frühere Landtagsabgeordnete der Linken. Einige BSWler lauschten, nachdem ihre Angelegenheiten besprochen waren, noch ein Weilchen dem Linke-Spitzenkandidaten. Friedliche Koexistenz unter Ex-Genossen.

Ramelow ist schon seit Wochen unterwegs. Vormittags Regierungsgeschäfte, nachmittags Tour durchs Land. Denn er hat etwas zu verteidigen: sein Amt, seine Regierung, seinen Ruf und sein Selbstverständnis als Bollwerk für Demokratie und gegen rechts.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Er ist das mit Abstand prominenteste Gesicht der Linken in Thüringen. Unterwegs stößt man auf Plakate, die ihn zeigen, dazu den Slogan »Christ, Sozialist, Ministerpräsident«. Aber kein Logo seiner Partei. Warum, wird er gelegentlich gefragt, versteckt er seine Partei? Jeder wisse doch, erklärt er, dass er ein Linker ist und dass, wer ihn als Regierungschef behalten wolle, Die Linke ankreuzen muss. Und dann erzählt er, dass es Leute gebe, die Stein und Bein schwören, das Parteilogo auf dem Plakat entdeckt zu haben. »Also«, sagt Ramelow und lehnt sich lächelnd zurück, »was gibt es da zu verstecken?«

In diesem Wahlkampf wirft Ramelow sein ganzes Gewicht in die Waagschale. Auch im Wortsinn. Er wolle so viele Kilo abnehmen, wie seine Partei braucht, um wieder in die Vorhand zu kommen, kündigte er im Februar an. Acht Kilo hatte er da schon abgespeckt. Die Umrechnung von Kilo in Prozente hat bislang kaum funktioniert; Ramelow hat abgenommen, die Partei aber nicht zugelegt. Jedenfalls nicht so, wie er sich das wünscht. Außerhalb Thüringens leidet sie sogar weithin unter Magersucht. Mit seinen persönlichen Beliebtheitswerten hängt Ramelow Die Linke weit ab. Aber immerhin hat er sich fit gemacht für den Wahlkampfmarathon. Der Mann ist 68 und sagt etwas kokett: »Ich bin ein hoch motivierter Kampfrentner.«

Die Umrechnung von Kilo in Prozente hat bislang kaum funktioniert; Ramelow hat abgenommen, die Partei aber nicht zugelegt.

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Das kann jeder spüren, der ihn in diesen Wochen erlebt. Wo er auch zu Besuch ist, in Firmen, Sportvereinen, Sozialinitiativen, Start-ups: Er hört zu, erweist sich als sattelfest auf diversen Politikfeldern, kennt sich aus mit Behördenfragen, bietet Hilfe an, wo es möglich ist, verspricht aber nicht das Blaue vom Himmel. Politik und Heimat – das volle Landesvaterprogramm. Ramelow kommt zugute, dass er verschiedene Seiten der Auseinandersetzungen kennt: Er war erst lange Gewerkschafter, dann Oppositionsführer im Landtag, dann Regierungschef. Und zwischendurch vermittelte er in mehreren großen, verfahrenen Tarifkonflikten.

Wenn man ihn reden hört, könnte man glauben, dass er schon jeden Ort Thüringens besucht hat. Er gilt längst als Vollblut-Thüringer; dass er aus dem Westen stammt, interessiert höchstens noch die Journalisten. Unter anderen Umständen könnte die Wahl ein Schaulaufen für ihn sein.

Doch in diesem Wahlkampf spricht so ziemlich alles Denkbare gegen Ramelows Partei, und um die Lage schwierig zu machen, hätte es nicht auch noch die Vorwürfe der Kinderpornografie gegen einen Fraktionskollegen gebraucht. Ramelows rot-rot-grüne Koalition kommt in den Umfragen gerade noch auf den halben Stimmenanteil im Vergleich zur Wahl 2019. Ein Absturz, an dem Die Linke einen erheblichen Anteil hat. Sie quält sich mit der BSW-Abspaltung und mit sich selbst. Die Partei taumelt, von den Auseinandersetzungen mit Wagenknecht und von eigenen Defiziten schwerer angeschlagen, als die allermeisten vermuteten. Gerade sucht sie eine neue Führung, ein neues Selbstbewusstsein sowieso. Eigentlich müsste Ramelow, der vor etwa 20 Jahren die Gründung der Linkspartei maßgeblich mit eingefädelt hat, allmählich verzweifeln, doch er diktiert demonstrativ das Gegenteil: »Ich gehe mit Fröhlichkeit und Gelassenheit durchs Land.«

Der Weg zum Ministerpräsidenten

Bodo Ramelow ist jetzt zum fünften Mal Spitzenkandidat seiner Partei in Thüringen. Aus zwei Wahlen ging er als Ministerpräsident hervor. Das »nd« hat ihn durch diese wechselhaften zwei Jahrzehnte begleitet. Texte dazu finden Sie hier:

Auf der Regierungsstraße – Fünf Jahre mit Bodo Ramelow als Ministerpräsident haben die Thüringer LINKE nicht entzaubert. Im Gegenteil

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Gern würde er lauter und öfter über die 100 Thüringer Firmen reden, die in ihrem Segment Weltmarktführer sind. Oder darüber, dass Thüringen dringend Migranten als Arbeitskräfte braucht. »Andere tun so, als wäre Migration das größte aller Probleme. Nein«, hält er dem entgegen, »Nichtmigration wird das größte aller Probleme, wenn wir uns nicht um Fachkräfte kümmern.« Oder er würde gern darüber sprechen, dass seine Regierung in den letzten zehn Jahren 600 Millionen Euro in Bildung investiert hat – dreimal so viel wie die Vorgänger in den zehn Jahren davor. Aber gefragt wird er regelmäßig nach der Krise seiner Partei, nach der neuen Konkurrenz vom BSW, nach der rechten Gefahr namens AfD.

Diese Stichworte bestimmen die Schlagzeilen. Wenn der AfD-Frontmann Höcke brülle, die EU müsse sterben, »dann macht er damit auch wirtschaftliche Erfolge Thüringens in Europa kaputt«, sagt Ramelow. Vom rechten Ungeist ganz abgesehen, den er auch an aggressiver werdenden Drohungen gegen sich selbst ablesen kann. Die Hemmschwelle ist inzwischen sehr niedrig. Kürzlich haben unbekannte Täter in einem Dorf in Ostthüringen eine gerade erst aufgestellte Bank mit der Aufschrift »Kein Platz für Rassismus!« zersägt. Vor der Kirche, mitten im Ort. Solche Nachrichten machen Ramelow wütend, er spricht überall davon und erinnert an die Wahl in Thüringen vor genau 100 Jahren. Eine Schicksalswahl, weil danach erstmals in Deutschland Faschisten Einfluss auf eine Regierung bekamen. Heute würde fast jeder Dritte Thüringer die rechtsextreme AfD wählen.

»Ich bekämpfe keine Parteien«, sagt Ramelow, »sondern die Normalisierung des Faschismus.« Umso weniger versteht er, dass seine Ex-Genossin Katja Wolf – die zum BSW ging, um die AfD zu schwächen – sich mittlerweile vorstellen kann, AfD-Vorschlägen zustimmen, weil es ja um »die Kraft des Arguments« gehe. »Ich wundere mich, wie geschmeidig sie ihre Positionen verändert«, sagt Ramelow.

Wolf war zwölf Jahre Eisenachs Oberbürgermeisterin mit Linke-Mandat; dass sie nun der rot-rot-grünen Landesregierung vorwirft, die Städte vernachlässigt zu haben und für Bürgermeister kaum erreichbar gewesen zu sein, nennt Ramelow »hanebüchenen Unsinn«. Als Rathauschefin sei Wolf vom Land »extrem begleitet worden«, unter anderem nach dem Großbrand im Theater der Stadt. Aber so ist Wahlkampf; für Ramelow ist es immerhin ein gewisser Trost, »dass es Bürgermeister aus anderen Parteien gibt, die sich im Wahlkampf nicht vor mir drücken«.

Wie geht er damit um, dass sein Plädoyer für Waffenlieferungen an die Ukraine immer wieder genannt wird, wenn es um Gründe für den Austritt aus der Linken und den Wechsel zum BSW geht? Da schaltet er auf dezenten rhetorischen Gegenangriff. Man könne den Ukrainern doch nicht sagen, sie sollten sich einfach ergeben; das wäre ein russischer Siegfrieden. »Das Grundprinzip ist klar: Man überfällt keinen Staat.« Insofern verstehe er »intellektuell nicht, dass Sahra Wagenknecht die russische Seite komplett ausblendet«. Am liebsten wäre Ramelow ein baldiger Waffenstillstand, vermittelt durch China. »Und dann müsste Deutschland den Arsch in der Hose haben, Bundeswehrsoldaten als Blauhelme zwischen die Fronten zu schicken.« Noch so ein Satz, der für Diskussionen sorgen dürfte in der Linken.

Bodo Ramelow ist jetzt zum fünften Mal Spitzenkandidat seiner Partei. Beim ersten Mal, 2004, war er der Außenseiter. Beim zweiten Mal, 2009, gab es schon eine rot-rot-grüne Mehrheit, aber Die Linke verprellte bei den Koalitionsverhandlungen in Siegerlaune die möglichen Partner. Beim dritten Mal, 2014, machten sie es besser und verabschiedeten die CDU aus der Erfurter Staatskanzlei. Beim vierten Mal, 2019, blieb Rot-Rot-Grün ohne Mehrheit, aber weil die Verhältnisse wegen einer erstarkten AfD schwierig waren, bildeten sie eine Minderheitsregierung. Mit Startschwierigkeiten, denn bei der Ministerpräsidentenwahl im Landtag ließ sich zunächst Thomas Kemmerich, ein Strohmann von der FDP, mithilfe von CDU und AfD ins Amt hieven. Dem Proteststurm hielt er nur ein paar Tage stand, dann kam Ramelow zurück und führte die schwierige Konstellation erstaunlicherweise über volle fünf Jahre.

Das hat auch mit seiner Fähigkeit zu tun, ebenso entschieden wie kompromissbereit zu sein, in der Koalition und gegenüber der CDU-Opposition. Die er für Mehrheiten im Parlament brauchte. 146 Gesetze und Verordnungen haben sie in der zu Ende gehenden Wahlperiode gemeinsam beschlossen, davon 22 von der CDU vorgeschlagene. Umso mehr ärgert Ramelow die Behauptung des CDU-Kontrahenten Mario Voigt, im Lande herrsche Stillstand.

Nun, bei der fünften Spitzenkandidatur, steht mehr auf dem Spiel als üblicherweise. Es geht um Thüringen und es geht um die Demokratie. Um Bildungsfragen und Menschlichkeit, um Buslinien und gesellschaftlichen Zusammenhalt, um Krankenhäuser und ein Bollwerk gegen den Faschismus. Irgendwie geht es um alles. Ramelow hat von Offensive auf Defensive umgeschaltet. Fragt man ihn nach seinem Wahlziel, dann kommt zuerst: dafür zu sorgen, dass die AfD von der Macht ferngehalten wird und auch nicht mit mehr als einem Drittel der Landtagsmandate wichtige Entscheidungen etwa in Verfassungsfragen verhindern kann. Ramelow will seinen Teil dazu beitragen, dass die AfD »nicht in Schlüsselpositionen gelangt und andere nicht erpressen kann«.

Dafür tourt er durchs Land. Bis zum Wahlsonntag um 18 Uhr werde er »mit Kampfgrinsen unterwegs sein«, erklärt er den Zuhörern im Jenaer Stadtteilzentrum. »Ab 18.01 Uhr fange ich an, darüber nachzudenken, wie wir eine demokratische Regierung zustande kriegen.« Es bringt ihn auf die Palme, »wenn westdeutsche Zeitungen schreiben: In Thüringen ist alles blau.« Blau wie AfD. »Was die dabei vergessen: die 70 Prozent, die nicht AfD wählen.« Diese 70 Prozent möchte er stärken, »und wir wollen uns von den 30 Prozent nichts diktieren lassen«. Ramelow will etwas für Thüringen tun und seiner Partei aus der Patsche helfen. Der Mann hat sein Leben lang gekämpft. Aber das ist wohl sein schwerster Kampf.

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