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Jenny Schlenzka: »Nur im Spiel ist der Mensch frei«
Jenny Schlenzka, Direktorin des Gropius-Baus, über das neue Programm ab September und ihre Rückkehr aus New York nach Berlin
Wie fühlen Sie sich nach einem Jahr in diesen ehrwürdigen Gemäuern?
Ich fühle mich wirklich sehr gut! Ich muss sagen, dass ich ein ganz tolles Haus und ein tolles Team übernommen habe. Es überwiegt das Gefühl, dass ich hier in Zukunft eine Menge bewegen kann.
Was hat Sie im letzten Jahr schon inspiriert?
Alle Ausstellungen, die ich übernommen habe, gefielen mir sehr gut. Besonders »Radical Playgrounds« der Berliner Festspiele war faszinierend und hat uns schon Begegnungen mit einem anderen Publikum gebracht.
Was wird ab September neu sein?
Mit einem Satz gesagt: die Öffnung des Hauses für ein breiteres, größeres Publikum.
Das scheint ja die Aufgabe aller großen Häuser zu sein.
Für mich ist das Thema Spiel zentral. Wir leben gerade in einer Zeit, in der die Fronten sehr binär und starr sind. Niemand möchte sich aus einer konträren Position auf andere zubewegen. Spielen hat aber mit Bewegung im geistigen Sinn und mit Flexibilität zu tun. Insbesondere das freie Spiel, bei dem die Regeln selbst erfunden und immer wieder verändert werden, könnte ein Modus sein, der uns allen guttut. Es ist für Kinder und Erwachsene interessant.
Jenny Schlenzka ist seit September 2023 Direktorin des Gropius-Baus Berlin. In Berlin geboren, studierte sie Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie lebte mehr als 20 Jahre in New York und startete ihr Berufsleben 2008 als Assistentin von Klaus Biesenbach am MoMA, wurde dann erste Kuratorin für Performancekunst am MoMA PS1. Von 2017 bis 2023 war sie Leiterin des Performance Space New York.
Hier haben Sie Räume unterschiedlicher Größe und Stimmung, wo findet was statt?
Die Künstlerin Kerstin Brätsch installiert einen dauerhaften Spielort im Westflügel des Erdgeschosses. Das zweite Obergeschoss wird völlig freigeräumt für Künstler*innenateliers. Kunstmachen ist auch eine spekulative Arbeit ohne die strengen Regeln der Realität. Der Prozess treibt sich selbst voran, ganz ähnlich wie beim Spiel. Das ganze Haus wird also von dieser Idee verändert werden.
Wo liegt die Grenze zwischen Kunst und pädagogischem Angebot?
Ich mache da keinen Unterschied. Die Trennung kommt noch von der klassischen Museumsidee aus dem 19. Jahrhundert her. Eine Ausstellung, die sich nicht auch selbst vermittelt, ist für mich uninteressant. Im Übrigen arbeiten hier Kurator*innen und Vermittler*innen im gleichen Team.
Dient die ständige Erweiterung des Kunstbegriffs einer Aufmerksamkeitskultur bis in die Museen hinein, obwohl sich ein Großteil des Publikums noch immer nach lesbarer Kunst im klassischen Rundgang sehnt?
Die Künstler*innen heute arbeiten anders, weil sich die Welt verändert hat. Rirkrit Tiravanija zum Beispiel ist ein großartiger Künstler aus Thailand, der in Berlin und New York lebt. Seine Kunst basiert auf Interaktion. Sie entsteht mit dem Publikum. Im September starten wir hier mit einer großen Ausstellung seiner Arbeiten. Auch BAUBAU, unser Spielort für Kinder, ist Kunst!
Worin besteht für Sie der Unterschied zu anderen Kunsthäusern, etwa zur Neuen Nationalgalerie?
Zunächst ist es offensichtlich, dass wir keine eigene Sammlung haben. Das macht den eigentlichen Unterschied. Es ist eine enorme Verantwortung, mit einer Sammlung zu arbeiten. Ich habe das ja am MoMA in New York erlebt. Wir hier sind ein Ausstellungshaus und können mehr experimentieren.
Ab und an waren Sie im Gropius-Bau als Besucherin – hatten Sie da schon den Blickwinkel, hier arbeiten zu wollen?
Nie! Ich wollte lange Zeit gar nicht aus NY weggehen. Mein Interesse begann mit der Arbeit von Stephanie Rosenthal, meiner Vorgängerin. Sie hat mit viel Kraft Türen eingerannt und ein neues Konzept durchgesetzt, auf dem ich jetzt aufbauen kann.
War Corona der Anlass, nach Berlin zu kommen?
Es war eine Mischung. Corona, das eigene Älterwerden, die Kinder im Grundschulalter, das Älterwerden der Eltern, die in Berlin leben – und dann die berufliche Möglichkeit. Es passte alles.
Nach 20 Jahren den Wechsel zu wagen, klingt mutig.
Ich bin ja in Berlin aufgewachsen. Die Mentalität hier ist mir nicht fremd, das Deutsche nicht und das Berlinische auch nicht. Aber ich habe noch nie in einer deutschen Kulturinstitution gearbeitet und mein Erwachsenenleben bisher nur in New York City verbracht. Ich finde es gerade spannend, auf meine eigene Kultur auch eine Außensicht zu haben.
Gab es von Ihren Eltern eine Art »kulturelle Mitgift«?
Meine Eltern sind oft mit mir in Ausstellungen gegangen, übrigens auch schon in den Martin-Gropius-Bau, wie er damals noch hieß. Mehr Anregung kam aber von meiner Tante. Sie ist Kunsthistorikerin und hat freiberuflich Filme gemacht. Sie hat mich oft zur Biennale nach Venedig mitgenommen.
Sie haben als Kind aus dem Wedding den Mauerfall erlebt, wie fühlte sich das an?
Ich war ein Teenager in den frühen 90ern. Plötzlich war alles größer. Anfangs bin ich hauptsächlich nachts nach Ostberlin gefahren. Ich kannte es, weil wir einmal im Jahr ein Visum beantragt haben und zu meiner Familie in den Osten gereist sind. Meine Eltern sind sehr offen und interessiert – »Achtundsechziger«! Sie verkauften uns die DDR als das »bessere Deutschland«.
Was macht Ihnen jetzt hier am meisten Kopfzerbrechen?
Die Finanzen! Um dauerhaft ein ambitioniertes Programm zu realisieren, stellt sich immer die Frage nach den finanziellen Mitteln.
Feministische Positionen, Geschlechterdebatte, Rassismus im Alltag – nicht nur auf der Sprachebene scheint der gesellschaftliche Prozess überhitzt. Woran orientieren sie sich?
»Staying with the Trouble« von Donna Haraway hat mich stark beeinflusst. Wenn man Institutionen verändern will, oder Bevölkerungsgruppen einbeziehen, die bisher ausgeschlossen waren, dann kommt es zu Reibungen. Diese Brüche sind Teil der Arbeit – es sei denn, man macht so weiter wie immer.
Welche Erfahrungen haben Sie in New York sammeln können? 20 Jahre in drei Stichpunkten, bitte!
Ich hatte an allen drei Kulturinstitutionen, an denen ich tätig war, mit Veränderung zu tun. Am MoMA habe ich zusammen mit Klaus Biesenbach, jetzt Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, Performances ins Museum gebracht. Das versteht man heute nicht mehr, dass es sowohl Unkenntnis als auch völliges Unverständnis dafür gab, diese Kunstform zu sammeln. Am MoMA PS1 gab es dann schon ein zeitgenössisches Programm, und ich habe dort mit einem Live-Programm Musikperformances installiert und sehr interdisziplinär gearbeitet. Als Direktorin am Performance Space konnte ich noch sehr viel freier arbeiten. Die Institution spiegelt das wider, was die diverse Bevölkerung in New York City ausmacht. Sehr spannend!
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Gab es Widerspruch?
Mehr als genug! Während meiner Zeit am Performance Space formierte sich die Black-Lives-Matter-Bewegung und machte sehr schnell klar, dass auch neue Arbeitsweisen nötig wurden. Selbstverständlichkeiten der Herrschaftskultur mussten ja erst mal erkannt und dann verändert werden. Das galt beispielsweise im Umgang mit trans Künstler*innen oder betraf erst recht die Arbeit mit Kindern, die teilweise auf der Straße lebten. Sie kamen zur Probe, und man wusste gar nicht, ob sie an diesem Tag schon etwas gegessen hatten.
Was hat Sie motiviert?
Ich wollte nicht nur ein gutes Programm auf die Beine stellen, sondern dahin gehen, wo die spannendsten Sachen passieren.
Was haben Sie aus dem Studium für Ihr neues Projekt mitgenommen?
Viele Denkansätze aus der Spieltheorie und den klassischen Satz von Schiller: »Der Mensch ist nur frei, wenn er spielt!«
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