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Kriegsminister Pistorius schmunzelt über Protest
Friedenskundgebung vor dem Berliner Wahlkreisbüro des SPD-Abgeordneten Michael Müller
Das Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Michael Müller (SPD) im Berliner Ortsteil Charlottenburg ist am Dienstagabend sehr voll. Einige der 100 Gäste müssen stehen. Als ehemaliger Regierender Bürgermeister ist Müller nicht irgendwer – und so folgte früher schon Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seiner Einladung in das Büro an der Bleibtreustraße. Nun findet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) seinen Weg zu Müller. Thema: »Zeitenwende – Herausforderungen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in einer Welt im Umbruch«. Weil Pistorius aber gefordert hat, Deutschland müsse »kriegstüchtig« werden, ruft sein Auftritt die Friedensbewegung auf den Plan, die ihn einen »Kriegsminister« nennt.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-VdA hatte eine Kundgebung mit 60 Teilnehmern angemeldet. Angesichts großer Hitze sammeln sich allerdings gegen 19 Uhr nur rund 20 Menschen auf dem Gehweg vor Müllers Büro. Einige fächeln sich Luft zu. Drinnen tun es Zuhörer von Pistorius und Müller ihnen gleich.
Der Bezirksverordnete Rüdiger Deißler (Linke) verliest eine Rede, die Friedensaktivist Lühr Henken am 1. September, dem Weltfriedenstag, auf dem Alexanderplatz bei der Friedenskoordination Berlin gehalten hat. »Auch ich bin dagegen, dass Russland in der Lage ist, ein Nato-Land anzugreifen«, hat Henken dort gesagt. Aber das aktuelle Kräfteverhältnis zwischen Russland und der Nato weise ein drastisches Übergewicht zugunsten der Nato aus. »Ein Angriff Russlands auf Nato-Gebiet käme seinem Untergang gleich.«
Die Nato, so Henken, verfüge bereits heute über ausreichendes Abschreckungspotenzial. Trotzdem schürten SPD, FDP, Grüne und CDU Angst und drehten an der Rüstungsspirale. Wenn es nach Minister Pistorius ginge, würden die deutschen Rüstungsausgaben von derzeit 70,6 Milliarden Euro jährlich auf 150 Milliarden steigen, sagt Henken. Eine Halbierung von Bürgergeld und Grundsicherung sowie eine Kürzung der Renten um bis zu 20 Prozent könnten sich daraus ergeben, rechnet er vor.
Der Bezirksverordnete Deißler liest das nicht nur vor, sondern macht auch einige persönliche Bemerkungen. »Ein Saulus kann noch ein Paulus werden«, sagt Deißler. Pistorius stamme schließlich aus Osnabrück, der Stadt des Westfälischen Friedens, der 1648 den 30-jährigen Krieg beendete.
Gegen 19.30 Uhr löst sich die Kundgebung auf. Aber einige Teilnehmer stehen noch auf dem Gehweg, als die Veranstaltung im Wahlkreisbüro endet und Boris Pistorius herauskommt. »Blut an Ihren Händen«, wird skandiert. Pistorius schmunzelt nur und steigt in ein Auto, das schnell abfährt. Es kommen noch andere Menschen aus dem Wahlkreisbüro. »Putin-Freunde«, zischelt eine Frau im Vorbeilaufen. Solche Vorwürfe kommen allerdings nicht nur von Sozialdemokraten, sondern sie werden auch innerhalb der Friedensbewegung erhoben. So sagt der Landesverband der Friedensgesellschaft DFG-VK, die Initiative »Nie wieder Krieg!« instumentalisiere die Friedensbewegung für Putin-Propaganda. Man solle nicht an deren, übrigens von Lühr Henken und mehreren Bundestagsabgeordneten der Linken unterstützten, Demonstration am 3. Oktober in Berlin teilnehmen, sondern mit der DFG-VK Leichensäcke vor der russischen Botschaft ablegen.
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