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»Rock'n Roll Ringo«: Immer feste druff
Regisseur Dominik Galizia zeigt mit »Rock’n’Roll Ringo« eine faszinierende Milieustudie des Rummelboxens
Vor gerade einmal zwei Jahren gelang Regisseur Dominik Galizia ein Überraschungserfolg mit seinem kleinen, ohne großes Budget per Crowdfunding und ohne Filmförderung finanzierten Film »Heikos Welt«. In diesem Juwel unter den Berlin-Filmen spielte Martin Rohde den titelgebenden Heiko, der ohne größeren (Lebens-)Plan durch Weddinger Eckkneipen tingelt und versucht, durch Dartspielen zu etwas Geld zu kommen. Überraschend war daran, mit welcher Nonchalance der Film alle gängigen Konventionen des sozialen Realismus unterlief und mit einer lässigen Unaufgeregtheit daherkam, die im deutschen Film eher selten ist.
Inzwischen ist Galizia im deutschen Filmfördersystem angekommen. Das hat seinem neuen Film »Rock’n’Roll Ringo« allerdings nicht geschadet, wie man erleichtert feststellen darf, ganz im Gegenteil. Alles ist nun ein bisschen größer und aufwändiger, aber die einzigartigen Charaktere, die Galizia auf die Leinwand zaubert, sind geblieben.
Offenkundig muss man aber nicht immer die üblichen Institutionen durchlaufen haben, um aufregendes Kino zu machen.
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Statt im rauen und ungehobelten Wedding sind wir diesmal im Ruhrpott, wo die Menschen ganz ähnlich gestrickt sind. Wo sonst als im Pott (und im Wedding) kann man noch echte Vokuhilas und deren Träger bewundern? Martin Rohde passt mühelos auch in dieses Milieu. Er spielt den 33-jährigen Ringo Fleisch, der mit einer natürlichen Freundlichkeit und geradezu kindlicher Naivität ebenso planlos und stoisch durch das Leben stolpert wie schon sein Heiko aus »Heikos Welt«.
Den Job als Gerüstbauer hat er gerade durch eigene Dämlichkeit verloren, was ihn höchstens deshalb anficht, weil nun der Urlaub mit seiner gehörlosen Tochter Mia (Tuba Seese) in Frage gestellt ist. Der Zwölfjährigen, die bei der Mutter lebt, hatte er eine Bootsreise auf der Nordsee versprochen. Geld muss her, und so fängt Ringo fürs erste auf der Kirmes als Kartenabreißer bei der Achterbahn an. Gedreht wurde auf der Cranger Kirmes in Herne, dem größten Volksfest in Nordrhein-Westfalen, auf dem über 500 Schausteller ihre Fahrgeschäfte, Stände und Buden aufbauen.
Schon bald wirft Fränkie, der Chef des benachbarten »Fight Club« ein Auge auf ihn und überredet Ringo, als Kirmesboxer bei ihm anzuheuern. Er lockt mit schnellem Geld und einem gewissen Star-Appeal in der lokalen Szene. Aus Ringo Fleisch wird »Rock’n’Roll Ringo«.
An dieser Stelle muss unbedingt etwas über die Schauspieler gesagt werden. Neben Martin Rohde, der selbst eigentlich nur gelegenheitsschauspielender Amateur ist, sind einige Haupt- und viele Nebenfiguren des Films Laiendarsteller. Es grenzt an ein Kunststück, wie es Galizia gelingt, sie so gut zu führen, dass man ihrem Spiel nichts Laienhaftes anmerkt, und sie trotzdem so authentisch und echt wie nur möglich zu belassen. Kein professioneller Schauspieler hätte wohl die Street Credibility, den Fränkie so zu spielen wie es Charly Schultz tut, seines Zeichens selbst Schausteller und Boxlegende und seit über drei Jahrzehnten auf den Rummelplätzen des Landes mit dem »Fight Club« unterwegs.
Das Prinzip seines Geschäfts ist einfach: Allabendlich präsentieren sich die Boxer, die Fränkie in seine »Familie« aufgenommen hat, dem Publikum. Wer mindestens 18 Jahre alt und nüchtern ist, kann einen Faustkämpfer herausfordern (auch Boxerinnen gehören dazu). Wenn der Herausforderer gewinnt, kassiert er oder sie eine vorher bekanntgegebene Prämie. Der Boxkampf ist dann die eigentliche Show.
Schausteller, früher auch fahrendes Volk genannt, verkörperten stets das Fremde und den Einbruch des Exotischen in die bürgerliche Welt. Die Mischung aus »Familie« und Freiheit und die Abgeschlossenheit des Milieus übten und üben eine Faszination auf Außenstehende aus, auch wenn sich Schausteller heutzutage längst vom fahrenden Volk zu mittelständischen Unternehmern entwickelt haben. Trotzdem ist die Anziehungskraft des Rummels als Arbeitsplatz und Freizeitort auf Randexistenzen, Gescheiterte und Menschen, denen sonst nicht allzu viele Chancen in der bürgerlichen Gesellschaft offenstehen, immer noch groß.
Daraus zieht »Rock’n’Roll Ringo« seinen erheblichen Schauwert. Die Kirmes als Tummelplatz für Außenseiter und Outlaws – erinnert Sie das an etwas? Klar, wir haben es hier mit einem modernen Ruhrpott-Western zu tun. Im klassischen Western steht als Stilelement der gute, zuweilen naiv wirkende, aber wehrhafte Held seinem Konterpart, dem skrupellosen Bösewicht gegenüber. Zwischen den Akteuren gibt es meist eine Frau, um die ein Kampf ausgetragen wird. Ort der Handlung ist das Fort oder die kleine Stadt samt Saloon, Whisky und Kartenspiel. Die Kirmes als kleine Welt für sich, mit eigenen Regeln und sogar eigenem Seelsorger bedient das Westernklischee vollauf. Darüberhinaus hat Galizia das vergleichsweise üppige Budget dazu benutzt, statt mit einer digitalen Kamera auf analogem 35mm-Film in Breitwand zu drehen. Das verleiht dem Film seine ganz eigene Ästhetik und eine Brillanz und Tiefe der Farben, die ihn nicht zufällig wie einen klassischen Spaghettiwestern aussehen lassen.
Ringo ist tatsächlich einiger Erfolg als Boxer vergönnt, was ihm in der Szene allerdings nicht gerade Freunde verschafft. Als auch noch Jenny (Larissa Sirah Herden), die Schwester des Autoscooter-Betreibers, Interesse an ihm zeigt, er sich mit ihr ungewollt auf Abwege ins kriminelle Milieu begibt, und schließlich im »Fight Club« einen Herausforderer ins Koma schlägt, hat er endgültig die gesamte lokale Halbwelt gegen sich aufgebracht. Wie im Western steuert alles auf das finale Duell zu. Dummerweise steht wie angekündigt seine Tochter auf dem Bahnhof und wartet darauf, abgeholt zu werden, um den gemeinsamen Urlaub anzutreten. Ohne dass er weiß, wie und warum es ihm geschieht, steht Ringo zwischen allen Fronten.
Nun ließe sich mäkeln, dass die letzte halbe Stunde und das Finale arg konstruiert und wenig plausibel sind. Das mindert das sinnliche Vergnügen aber keineswegs, gerne folgt man Galizias Lust am Fabulieren und an großem Kino. Seine Berufserfahrung aus Werbefilmen und Musikvideos ist »Rock’n’Roll Ringo« deutlich anzumerken beziehungsweise zu -sehen.
Rasante Kamerafahrten, eine flotte Montage sowie der treibende Soundtrack bringen erheblichen Schwung in das so gar nicht betuliche Geschehen und zeugen von Galizias handwerklichem Können. Dabei hat der Regisseur nie ein Filmstudium absolviert, sondern war stets ein Mann der Praxis, der seine Laufbahn nach der Schule als Stunt-Choreograf im Disneyland Paris begann und sich dem Film später als Seiteneinsteiger näherte.
Zu behaupten, Galizias unkonventionelle Herangehensweise, das Bodenständige und die Lebensnähe seiner Figuren verdanke sich eben der Tatsache, dass er keine Filmhochschule von innen gesehen hat und entsprechend unverbildet ist, wäre gewiss gewagt. Offenkundig muss man aber nicht immer die üblichen Institutionen durchlaufen haben, um aufregendes Kino zu machen.
»Rock’n’Roll Ringo«: Deutschland 2024. Regie: Dominik Galizia. Mit: Martin Rohde, Larissa Sirah Herden, Erwin Leder. 101 Minuten, Start: 5.9.
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