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Berlin: Hitlergruß und Hakenkreuz in Marzahn-Hellersdorf

Das Register Marzahn-Hellersdorf verzeichnet einen großen Anstieg der Zahl extrem rechter Vorfälle

Blick vom Kienberg auf Marzahn-Hellersdorf: In der ersten Jahreshälfte wurden so viele rechte Vorfälle wie im Gesamtjahr 2023 gemeldet.
Blick vom Kienberg auf Marzahn-Hellersdorf: In der ersten Jahreshälfte wurden so viele rechte Vorfälle wie im Gesamtjahr 2023 gemeldet.

Montagabend um 20.30 Uhr im Kienbergpark in Marzahn-Hellersdorf: Zwei junge Erwachsene spazieren über die Grünfläche und unterhalten sich. Eine Anhöhe am Rande des Parks ist ein beliebter Treffpunkt zum Picknicken oder für ähnliche Zusammenkünfte. Die beiden Freund*innen gehen an einer Gruppe junger Leute vorbei, ohne diese gesondert wahrzunehmen. Bis aus der Gruppe heraus zwei Frauen die Arme heben und ihnen den Hitlergruß zurufen. Danach ist aus der Gruppe heraus Gelächter zu hören.

Diesen Vorfall erlebte Luna* mit einem Freund in der vergangenen Woche. »Ich habe es erst so richtig realisiert, als ich schon dran vorbei war«, sagt sie »nd«. Weil sich der Hitlergruß direkt an sie gerichtet habe, vermutet sie ein rassistisches Motiv: Anders als ihre Begleitung ist Luna nicht weiß, sondern eine Person of Colour.

Luna meldete den Vorfall beim Register Marzahn-Hellersdorf, Teil der Berliner Register. Die Register dokumentieren diskriminierende Vorfälle und extrem rechte Aktivitäten in allen Berliner Bezirken. Luna lebt selbst in Marzahn-Hellersdorf. Sie erfährt, dass solche Vorfälle wie der ihr gezeigte Hitlergruß in den vergangenen Monaten vermehrt gemeldet worden seien. »Die Situation war natürlich superunangenehm. Aber noch mehr schockiert hat mich die Aussage der Registerstelle, dass die Anzahl an Vorfällen, insbesondere von jungen Menschen ausgehend, stark zunimmt in der Ecke«, sagt Luna.

»Für das erste Halbjahr dieses Jahres lässt sich feststellen, dass bereits über 500 Vorfälle registriert wurden«, sagt Anne Schönfeld vom Register Marzahn-Hellersdorf zu »nd«. Im gesamten Jahr 2023 seien es 531 rechte oder diskriminierende Fälle gewesen, die Anzahl habe sich also von 2023 auf 2024 verdoppelt. »Noch nie wurden so viele extrem rechte Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf registriert.« Einerseits liege das daran, dass mehr Menschen aufmerksam seien und Vorkommnisse meldeten. »Zum anderen steigt die Präsenz von neonazistischen Gruppen und Aktivitäten im Bezirk«, sagt Schönfeld.

Der Großteil der Vorfälle falle in die Kategorie »neonazistische Propaganda«, so Schönfeld. Das seien etwa Graffiti, Aufkleber und Plakate, darunter besonders häufig großflächige Hakenkreuze und Aufkleber mit positivem Bezug zum Nationalsozialismus. Solche extrem rechten Aktivitäten lösten bei vielen, die sich bei der Registerstelle melden, Ängste und Unsicherheiten aus, wenn sie etwa »an den Anzeigetafeln der U-Bahnhöfe jeden Tag ›I love Hitler‹ lesen müssen, während am Eingang mehrere Reichsfahnen kleben«.

Auch würden viele rassistische Vorfälle im öffentlichen Raum gemeldet. »Dreimal wurde uns im Juni 2024 gemeldet, dass junge rechte Gruppen ›Ausländer raus‹ singend durch den Bezirk zogen. Menschen wurden beim Spazieren angepöbelt, Hitlergrüße werden gezeigt«, sagt Schönfeld. Sie befürchtet, dass rassistische Gewalt mit der wachsenden Präsenz und Aktivität von Neonazis in Marzahn-Hellersdorf weiter ausufert.

Zusätzlich nimmt das Register vermehrt Einschüchterungsversuche und Gewalt von jungen Neonazis gegen andere junge Menschen wahr. »Es lässt sich ein Revival neonazistischer Jugendgruppen erkennen, das an die Baseballschlägerjahre erinnert«, sagt Schönfeld. Gewalt treffe dabei vor allem Menschen, die von Rassismus betroffen sind, und Jugendliche, die sich gegen rechts engagieren. »Ein großes Feindbild der Neonazis sind ebenfalls queere Menschen

»Noch nie wurden so viele extrem rechte Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf registriert.«

Anne Schönfeld
Register Marzahn-Hellersdorf

Dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf sei bekannt, dass der Registerstelle seit Monaten »massive Bedrohungen durch junge Neonazigruppen« gemeldet werden, sagt Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) zu »nd«. »Ich kann als Bezirksbürgermeisterin an dieser Stelle jeden einzelnen dieser widerwärtigen Vorfälle scharf verurteilen.«

Im Bezirk gebe es viele Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Die Koordinierungsstelle für Demokratieentwicklung unterstütze Initiativen, mache Öffentlichkeits- und Beratungsarbeit und organisiere Bildungsangebote. Über das Bundesprogramm »Demokratie leben!« würden Kampagnen und lokale Projekte finanziert, die sich gegen rechtsextreme Ideologien und Strukturen wenden. Es würden Projekte an Schulen durchgeführt, öffentliche Veranstaltungen organisiert und werde mit Mobilen Beratungsteams zusammengearbeitet.

So findet am Samstagnachmittag ab 14 Uhr das Fest »Schöner leben ohne Nazis« auf dem Alice-Salomon-Platz unter der Schirmherrschaft Zivkovics statt. Solche Veranstaltungen spielten »eine bedeutende Rolle bei der Bekämpfung rechtsextremer Strukturen und Einstellungen«, sagt die Bezirkschefin. Mit dem Fest setzten die Bürger*innen ein »sichtbares Zeichen« gegen »Fremdenfeindlichkeit und für ein demokratisches Miteinander«. Durch das Fest würden unter anderem Mobilisierung gegen Rechtsextremismus und deren öffentliche Sichtbarkeit gestärkt. »Diese Sichtbarkeit kann andere dazu ermutigen, ebenfalls aktiv zu werden und sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu stellen«, sagt Zivkovic.

Auch das Register Marzahn-Hellersdorf sieht das Fest »Schöner leben ohne Nazis« als ein Zeichen gegen Neonazis. Es vernetze und motiviere Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Um die Verbreitung von extrem rechten Einstellungen und die Organisierung junger Neonazis, vor allem über die sozialen Netzwerke, zu bekämpfen, brauche es neue Strategien, sagt Anne Schönfeld. »Jugend- und Sozialarbeit, Schule und Bezirksamt müssen ebenso eingebunden werden, wie es neue Methoden braucht, um in den sozialen Netzwerken attraktive Angebote für Jugendliche zu schaffen.« Das Fest könne ein Ort sein, »um darüber ins Gespräch zu kommen, welche Strategien es braucht«.

*Name redaktionell geändert

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