Leben mit dem doppelten Stigma

Der Verein Looks bietet in Köln Beratung für trans Prostituierte an. Nikki ist dort regelmäßig, denn niedrigschwellige Unterstützung ist selten

  • Fabian Dombrowski
  • Lesedauer: 7 Min.
Nikki möchte anonym bleiben, und eigentlich empfängt sie ihre Kunden lieber in ihrer Wohnung, weil sie sich dort sicher und wohlfühlt.
Nikki möchte anonym bleiben, und eigentlich empfängt sie ihre Kunden lieber in ihrer Wohnung, weil sie sich dort sicher und wohlfühlt.

Mit ihrem ersten Klienten ist sie direkt in die Eifel zu dessen Ferienhaus gefahren. Wie eine Jägerhütte habe das ausgesehen, erinnert sich Nikki, urig und gemütlich, viel Holz, Naturfarben. Klar sei sie nervös gewesen, mit einem fremden Mann mitzufahren, und dann noch weit ab vom Schuss. Doch ihre Bedenken habe sie abgelegt. »Er war etwas älter, aber sehr gepflegt und charmant«, erzählt sie. Das Geld habe er ihr direkt zu Beginn überreicht, so wie sie es verlangt hatte, 150 Euro für eine Stunde. »Wir hatten dann eine superschöne Zeit zusammen.«

2021 war das. Seitdem arbeitet Nikki, die eigentlich anders heißt, als Sexarbeiterin. An einem heißen Sommertag sitzt sie auf dem Sofa in den Räumen des Kölner Vereins Looks. Sie trägt ein kurzes dunkles Kleid, Strumpfhose, schwarze Stiefel. Looks hat seinen Sitz in einem unscheinbaren Haus nahe dem Heumarkt, zwischen Schwulenbar und Sexkino. Der Verein dient vor allem männlichen Prostituierten als Anlaufstelle, jungen Männern, die für Geld mit anderen Männern schlafen. Mittlerweile richtet er sich auch an trans Prostituierte wie Nikki. Mehrere Hundert Klientinnen und Klienten betreuen die Mitarbeitenden von Looks im Jahr. Nikki besucht den Verein ein- bis zweimal pro Woche. Sie kann sich bei Fragen und Problemen an die Mitarbeitenden wenden und sich mit anderen Sexarbeitenden austauschen. Auch ein warmes Mittagessen bekommt sie hier. Auf dem Tisch stehen Schüsseln mit Obst, Gemüse und kleinen Snacks. Nikki nimmt hastig einen Schluck Kaffee und fängt an zu erzählen.

Vor drei Jahren sei sie über eine Bekannte zur Sexarbeit gekommen, in einer Zeit, in der sie sich sexuell mehr habe ausprobieren wollen. Sie meldet sich auf Online-Plattformen wie kaufmich.de und Hunqz an, über die Interessierte den Escort ihrer Wahl direkt kontaktieren und buchen können. Vor dem ersten Treffen spricht Nikki mit ihren Klienten schon mal telefonisch über deren Wünsche und Erwartungen. »Und natürlich will ich ausschließen, dass ich es mit einem Fake zu tun habe«, sagt sie. Das Ferienhaus in der Eifel war aber doch eher die Ausnahme: Am liebsten empfängt sie ihre Klienten in ihrer eigenen Wohnung. »Da fühle ich mich sicher und kann mich auch gut vorbereiten.« Denn auch die Atmosphäre ist ihr wichtig: polierte Weingläser auf dem Tisch, flackernde Kerzen, manchmal spielt sie Bach auf ihrem Piano.

Doch so gediegen wie bei den Treffen von Nikki geht es nicht bei allen Sexarbeitenden zu. Jede und jeder Prostituierte habe eine eigene Geschichte, sagt Sabine Reinke, seit mehr als 25 Jahren Leiterin von Looks. »Für die meisten, die uns aufsuchen, geht es erst mal ums schiere Überleben. Viele gehen zum Beispiel auch Flaschen sammeln, und wenn sie Glück haben, finden sie einen Freier, der ihnen ein bisschen Geld zahlt oder bei dem sie übernachten können.«

»Für die meisten, die uns aufsuchen, geht es erst mal ums schiere Überleben.«

Sabine Reinke Leiterin Looks e. V.

Nikki fällt es schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. »Man hat mir immer das Gefühl gegeben, dass ich als trans Person für den ersten Arbeitsmarkt nicht geeignet bin«, sagt sie. Einige Hundert Euro im Monat verdient sie mit der Sexarbeit, sie erhält außerdem Erwerbsminderungsrente. Ihre Ausbildung hat sie ursprünglich im Maschinenbau absolviert. Doch der Job und das Umfeld passten nicht zu ihr, die Arbeit in der Fabrik wurde ihr schnell zu eintönig. »Irgendwann hatte ich mein Leben in Deutschland satt und wollte was anderes sehen«, sagt sie. 2017 geht sie nach Mexiko; der Vater ihres damaligen Freundes hatte dort eine Ranch. Drei Monate arbeitet sie auf den Feldern des 60 Hektar großen Grundstücks.

In Mexiko-Stadt lernt sie schließlich eine Frau kennen, mit der sie zweieinhalb Jahre zusammenbleibt. Um ihr Leben zu finanzieren, stellt sie sich mit einem Bierstand auf den Markt oder übernimmt Ton- und Lichttechnik auf Messen. »Nach und nach wurde mir bewusst, dass ich eigentlich trans bin«, sagt sie. »Allerdings konnte ich es nicht ausleben und mein Leben wurde dort sehr schwierig.« Mit Opioiden versucht sie, sich zu beruhigen und abzulenken. Erst als sie wieder in Deutschland ist, outet sie sich vor ihrer Familie und ihren Freunden. Doch auch sie selbst braucht Zeit, mit ihrer Transidentität klarzukommen. »Ich habe mir massenweise Amphetamine und Opiate eingeworfen. Auch mit Therapie brauchte ich Jahre, um dort wieder rauszufinden.«

Sexarbeit kann mann-männlichen und transidenten Prostituierten helfen, ihre eigene sexuelle Orientierung oder Identität zu akzeptieren – schließlich werden sie von ihren Klienten so begehrt, wie sie sind. Da viele auch Stammfreier haben, die sie seit Jahren kennen, entstehen darüber auch soziale Bindungen, wie Sabine Reinke schildert. »Mir macht der Job Spaß, ich lerne viele interessante Männer kennen«, sagt Nikki. Seit einiger Zeit hat sie auch einen Sugar Daddy, also eine fortlaufende Beziehung mit einem Mann, der sie dafür finanziell vergütet. »Das hat mit Verliebtsein zwar erst mal nichts zu tun, aber er ist für mich trotzdem eine sehr vertraute Person, die mir guttut.«

Laut Statistischem Bundesamt waren zum Jahresende 2023 in Deutschland insgesamt rund 30 600 Prostituierte angemeldet. Von ihnen besaß rund ein Fünftel die deutsche Staatsangehörigkeit. Geschlecht und sexuelle Orientierung sind in der Statistik nicht konkret erfasst. Sowieso liegt die Dunkelziffer noch weitaus höher. Denn die Menschen, mit denen die Sozialarbeiterin Sabine Reinke zu tun hat, wenden sich kaum an eine Behörde, um sich dort offiziell als Sexarbeiter oder -arbeiterin anzumelden. Dies ist seit Einführung des sogenannten Prostituiertenschutzgesetzes im Jahr 2017 aber eigentlich verpflichtend.

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Mit der Anmeldung ist auch ein Beratungsgespräch verbunden, in der Regel beim örtlichen Gesundheitsamt. In diesem Gespräch sollen die Betroffenen über Themen wie Krankheiten, Schwangerschaft und Drogenmissbrauch aufgeklärt werden, aber auch über ihre Rechte und weitere Hilfsangebote. Anschließend erhalten sie vom zuständigen Ordnungsamt eine Anmeldebescheinigung. Doch es gibt deutliche Kritik: Laut Sabine Reinke geht das Gesetz an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei.

»Die meisten gehen anschaffen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, Geld zu verdienen. Sich bei den Behörden zu melden, hilft niemandem weiter.« Außerdem würden sich Sexarbeitende schnell strafbar machen, etwa wenn sich ein vermeintlicher Freier auf einmal als Polizist entpuppt, der die Anmeldebescheinigung kontrollieren will. So werde eher noch zusätzlicher Druck auf die Sexarbeitenden ausgeübt. Nikki ist ebenfalls nicht als Sexarbeiterin gemeldet – zu groß ihre Sorge, dadurch erst recht die Behörden auf sich aufmerksam zu machen. »Nachher steht noch die Polizei vor der Tür und macht eine Hausdurchsuchung«, befürchtet sie.

In einer aktuellen Studie hat die Deutsche Aidshilfe (DAH) die Situation und Bedürfnisse von Sexarbeitenden genauer untersucht. Dabei machte sie vier Kernprobleme aus, die das Leben der Prostituierten prägen: Gewalterfahrungen und die Angst vor Gewalt, die prekäre finanzielle Situation, psychische Belastung sowie die häufig fehlende Legalität. Daraus leitet die DAH eine Reihe an Empfehlungen ab, die helfen sollen, die Situation der Sexarbeitenden zu verbessern. Eine davon: Beratungsangebote stärken, insbesondere solche, die sich direkt an trans Frauen sowie migrantische Frauen und Männer richten. Dem pflichtet Reinke bei. »Es gibt Aussteigerprogramme, bei denen die Teilnehmenden schriftlich zusichern müssen, in der Zeit nicht anschaffen zu gehen. Das hilft aber nicht weiter. Die Betroffenen brauchen gute, niedrigschwellige Beratung – nicht den moralischen Zeigefinger.«

Im Vergleich zu weiblichen Prostituierten werden mann-männliche und transidente Prostituierte noch mal deutlich stärker stigmatisiert. Nahezu täglich erlebt Nikki transfeindliche Beleidigungen, wird auf offener Straße beschimpft. Sie leidet sichtlich darunter. Im vergangenen Jahr wollte sie eigentlich ihr Fachabitur nachholen, im Bereich Gesundheit und Soziales. »Es hat drei, vier Monate gedauert, dann wurde ich von der Schule runtergemobbt.«

Sowohl Nikki als auch Reinke sorgen sich um die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Reinke sieht nicht, dass die Gesellschaft in den vergangenen Jahren offener geworden ist. Als Beispiel nennt sie das immer wieder auch in Deutschland diskutierte Sexkaufverbot. Nach dem sogenannten Nordischen Modell sollen nicht die Prostituierten selbst bestraft werden, sondern diejenigen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Das Europäische Parlament hat sich im vergangenen Jahr wiederholt für das Nordische Modell ausgesprochen. »Wenn es um die Akzeptanz von Sexarbeit geht, erleben wir gerade ein massives Rollback«, stellt Reinke fest.

»Ich habe in letzter Zeit so viel Hass abbekommen, direkt nach Corona war es noch nicht so schlimm«, meint Nikki. Der Hass, den sie erlebe, habe sich in den vergangenen ein, zwei Jahren noch verstärkt. In Zukunft möchte Nikki sich selbst mehr engagieren und andere queere Menschen, die zum Beispiel Gewalt erlebt haben, beraten. »Mir ist es sehr wichtig, dass Queersein nicht mehr verteufelt wird und die Toleranz in unserer Gesellschaft steigt.«

Und wie stellt sie sich ihr eigenes Leben vor? »Ich will einen schönen Körper haben, einen Mann, der mich liebt, und vielleicht ein bisschen mehr reisen. Dann wäre ich eigentlich schon zufrieden.«

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