Macher und Gewinner

Neonazis sind keine »Verführten« und die Medien haben große Mitschuld an den Wahlerfolgen der AfD

Der Faschist Björn Höcke wird medial immer wieder höflich herausgeputzt.
Der Faschist Björn Höcke wird medial immer wieder höflich herausgeputzt.

Den schönsten, weil wahrsten und gleichzeitig lustigsten Satz sprach, bereits im Februar dieses Jahres, der Edeka-Markt-Betreiber Peter Simmel aus: »Durch den Austausch mit unseren Kunden habe ich gelernt, dass sich viel mehr Menschen mit dem Wort Nazi identifizieren, als ich dachte.« Es war eine Mischung aus unterwürfigem Wirtschaftspsychologie- und Kundenschmeicheljargon (»durch den Austausch mit unseren Kunden habe ich gelernt«) und dem unbeholfenen Versuch zu verschleiern, dass viele von Simmels Kunden Neonazis sind (»Menschen, die sich mit dem Wort Nazi identifizieren«), die den Satz geradezu leuchten ließ, ihn zu unfreiwilliger Poesie machte.

Simmel führt eine regionale Edeka-Ladenkette mit mehr als 20 Filialen in Sachsen, Thüringen und Bayern und rund 1000 Mitarbeitern. Anfang des Jahres hatte er mit dem Slogan »Für Demokratie – Gegen Nazis« für seine Supermärkte geworben, bis es zu Protesten und Boykottaufrufen zahlreicher Kundinnen und Kunden kam, die sich offenbar an dem Spruch störten. Antifaschismus hin oder her: Simmel, Geschäftsmann, der er ist, hörte auf die Stimme des Volkes, distanzierte sich von dem Slogan (der im Grunde nichts anderes als den Minimalkonsens halbwegs zivilisierter Menschen beschreibt) und entschuldigte sich öffentlich bei seiner Kundschaft, die ihre Nazi-Gesinnung auch weiterhin mit Stolz tragen wollte.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die ganze Episode kann als eine Demonstration des in der gesamten Region herrschenden Geistes betrachtet werden sowie als ein Beweis dafür, dass die nach der sogenannten deutschen Wiedervereinigung entworfene rechtsextreme Strategie der »national befreiten Zonen« sich als äußerst erfolgreich erwiesen hat. So konnten die während der »Baseballschlägerjahre« aufgewachsenen Täter von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, die heute um die 50 Jahre alt sind, ihren Nachwuchs ungestört auf NPD-Dorffesten großziehen, während Oma und Opa die eigene Provinzialität und die Feindseligkeit gegenüber allem Urbanen, Modernen, Progressiven als xenophobe Wutbürger oder Hobby-Verschwörungsideologen im Internet auslebten.

Analysiert man die jüngsten Landtagswahlergebnisse (inklusive Nichtwähleranteil) stellt sich rasch heraus, dass mindestens 50 Prozent der 16- bis 30-Jährigen in Thüringen ein halbwegs gefestigtes rechtsextremes Weltbild haben. Jedes Unternehmen, das sich unter diesen Voraussetzungen künftig in Thüringen oder Sachsen ansiedelt, gibt also – ob nun bewusst oder nicht – ein politisches Statement ab.

Doch leider haben wir es mit dem dauerhaften und hartnäckigen Unwillen und der Unfähigkeit der Medien zu tun, all diese Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, angemessen einzuschätzen und kritisch zu begleiten. Denn am Abend des Tages, an dem in Sachsen und Thüringen Landtagswahlen stattfanden, konnte man, wenn man die erforderlichen Nerven hatte, zum x-ten Mal in den vergangenen 20 bis 25 Jahren zum Zeugen der katastrophalen Leistung des journalistischen Personals und der Moderatoren von ARD und ZDF werden (von den Privatsendern ganz zu schweigen): Während die AfD tags zuvor noch die ungehinderte Berichterstattung von ihrer Wahlparty unterbunden und einfach alle Journalisten ausgeladen hatte (wohl, damit die dortige Stimmung und die damit zwangsläufig verbundenen Begleiterscheinungen einer größeren Öffentlichkeit verborgen bleiben), durften am Wahlabend die Funktionäre der rechtsextremen Partei bei ARD und ZDF ungehindert und frohgemut ihre Propaganda und Hetze verbreiten.

Unterdessen standen die Journalisten unverbindlich und freundlich lächelnd neben ihnen und hielten ihnen die Mikrofone vor den Mund. Auch das politische Personal der sogenannten demokratischen Parteien stand während der obligatorischen Quatschinterviews, in denen die handelsüblichen Nullsätze heruntergeleiert werden, wie immer einträchtig neben seinen Neonazi-Kollegen herum, schüttelte Hände und redete denselben Stuss wie gewohnt: »Wir bedanken uns bei unseren Wählern«, »Wir haben einen guten Wahlkampf gemacht«, »Das werden die Beratungen in den Gremien zeigen«, »Es ist uns nicht gelungen, unsere erfolgreiche Politik zu kommunizieren« und »Wir haben ein Vermittlungsproblem«. So wie bei sämtlichen Wahlsendungen der vergangenen Jahre auch.

Bei den Kurzgesprächen mit AfD-Politikern kam es weder zu kritischen Nachfragen noch zu Widerspruch seitens der Medienvertreter, die den Rechtsextremen bereitwillig Sendezeit einräumten. So übernahmen etwa nahezu sämtliche Medien nicht nur die pathetischen AfD-Floskeln vom angeblich »historischen Moment« und dem »historischen Erfolg«, der bei den Wahlen erzielt worden sei. Noch die dümmsten Selbstvermarktungsslogans (»die blaue Welle«) und simpelsten Selbstmotivationssprücheklopfereien ohne jeden Informationswert (»Insgesamt muss es natürlich darum gehen, dass wir irgendwann auch auf Bundesebene stärkste Kraft werden«) wurden tags darauf von Zeitungen zitiert und blieben weitgehend unkommentiert.

Auch die sächsische »Freie Presse« nannte die Neonazis beschönigend »die Blauen« und übernahm das AfD-Reklameschlagwort von der »blauen Welle«. Pressefotos zeigen AfD-Personal vor riesenhaften AfD-Logos. Und das »Handelsblatt« bezeichnete den Faschisten Höcke als den »starken Mann der AfD«: Derlei dient der Mythisierung und festigt vor allem das von den Rechtsextremen erwünschte Image als den Lauf der Geschichte bestimmende Macher und Gewinner.

Zum wiederholten Mal zeigte sich, dass viele Journalisten weder über ein Mindestmaß an politischer Analyse- und Kritikfähigkeit noch über Wissen in politischer Theorie verfügen, geschweige denn Minimalkenntnisse der Sprach- und Ideologiekritik besitzen. Vielmehr spulen sie bei Interviews immer dieselben banalen Fragen ab und geben zu erkennen, dass sie sich mit dem Gedankengut und der Ideenwelt der Faschisten nicht auskennen. Was in den Äußerungen von AfD-Politikern immer wieder auftaucht – versteckter NS-Jargon, aggressiver Geschichtsrevisionismus, freche Lügen, implizite Drohungen an demokratische Institutionen, rhetorische Ablenkungsmanöver – wird häufig weder erkannt, noch wird dem etwas entgegengesetzt.

Statt etwa die Wahlerfolge der Neonazis klar als solche zu benennen, griffen viele TV-Journalisten zu leeren Phrasen, die vor allem zur Verschleierung und Beschönigung der Wahlergebnisse dienten (»die deutsche Parteienlandschaft ist in Bewegung«). Die in den Wahlgrafiken verwendeten Balken, die die Ergebnisse der AfD anzeigen sollen, sind, statt in Braun, ausgerechnet in jenem Blau eingefärbt, das die Reklamefarbe der Partei ist. Nach wie vor etikettierten die Journalisten – entgegen allen empirischen Untersuchungen – die AfD als »Protestpartei«, wodurch sie sie gleichzeitig entpolitisieren und mythisieren. Darüber freut sich die Partei, denn das dient der längst bekannten und hervorragend gelingenden Strategie der Selbstverharmlosung, die von geschulten Funktionären seit Jahren eingeübt wird.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Wer noch in der Wahlnacht oder am nächsten Morgen die Kommentare aus den verschiedenen Medienhäusern las, stieß, wie bei früheren Wahlberichterstattungen, fortwährend auf dieselben längst widerlegten Mythen und Entschuldigungsstrategien, mit welchen die AfD-Wähler zum hundertsten Mal zu verwirrten oder besorgten Bürgern und unwissenden Schäfchen zurechtgelogen werden. So bezeichnete etwa Bettina Schausten, Chefredakteurin des ZDF, in ihrem Kommentar das BSW und die AfD als »Protestangebote« und schrieb: »Mehr als 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Thüringen und in Sachsen haben rechtsextrem gewählt. Zum allergrößten Teil sind das keine Neonazis.« Und Gabor Halasz von der ARD teilte in seinem Kommentar apodiktisch mit: »AfD-Wähler sind keine Nazis.«

Wie kommen Schausten und Halasz darauf? Woher wissen sie das? Waren sie bei allen AfD-Wählern zu Hause und haben mit ihnen gesprochen? Ist es ein so abwegiger und bizarrer Gedanke, dass die Wähler von rechtsextremen Parteien Rechtsextreme sind?

Der Satiriker Wiglaf Droste stellte vor über 30 Jahren fest: »Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht – das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. Eine der unangenehmsten deutschen Eigenschaften, das triefende Mitleid mit sich selbst und den eigenen Landsleuten, aber macht aus solchen Irrläufern der Evolution arme Verführte, ihrem Wesen nach gut, nur eben ein bisschen labil.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.