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Ist Boris Palmer denn niemals still?
Krass oder wie er die Welt sah: Eine Podcastserie über Boris Palmer
Boris Palmer, der parteilose Oberbürgermeister der zwischen Dußlingen und Walddorfhäslach gelegenen schwäbischen Kleinstadt Tübingen, der bis zum Jahr 2023 eine erfolgreiche Karriere als inoffizieller Rechtsaußen bei der streng opportunistischen Spaßpartei Die Grünen absolvierte, wird wohl auch künftig, so ist zu befürchten, keine Ruhe geben. Vielmehr ist er omnipräsent.
Stets hofft man, er werde sich einmal zwei Tage lang nicht äußern, doch man hofft immer vergebens. Das geht schon seit vielen Jahren so. Selbst er, denkt man, wird doch mal schlafen und dann, wenn auch nur kurz, still sein müssen, wenigstens für ein paar Stunden. Doch dann schlägt man die Zeitung auf, wirft einen flüchtigen Blick ins Internet, schaltet für eine Minute den Fernsehapparat an: Palmer ist immer schon da, gibt wahlweise vor Kameras und Mikrofonen den ramenternden Wutbürger oder den pragmatischen Verwaltungsbeamten, tut alles dafür, um das Klischee vom selbstgerechten »alten, weißen Mann« mit Leben zu füllen, und – nicht zu vergessen – redet über Palmer. Denn »in Wahrheit geht es Palmer vor allem um Palmer« (Leo Fischer).
Keine Woche vergeht daher, ohne dass Palmer wieder eine Hand voll Palmer-Sätze in die jederzeit empfangsbereiten und dankbaren Medien hineinspricht. Oder er schreibt, wie neulich geschehen, in seiner offenbar großzügig bemessenen Freizeit »offene Briefe« an Neonazis, um sie zur Wahl der Konkurrenzpartei CDU zu bewegen: »Geben Sie Friedrich Merz die Chance, ein normales Leben in Deutschland herzustellen.« Ein Satz wie dieser, ein typischer stockreaktionärer, brummdummer Palmer-Satz, dem es weder an Nichtigkeit noch an anbiederungsfreudiger Gleitfähigkeit (oder gleitfähiger Anbiederungsfreude?) mangelt, sollte in einer halbwegs aufgeklärten Gesellschaft eigentlich nicht beanspruchen können, als bedeutsam wahrgenommen zu werden. Oder besser: überhaupt wahrgenommen zu werden.
Weil aber deutsche Medienmacher meinen, dass in den deutschen Medien noch immer nicht genug Palmer-Content stattfindet, hat der Südwestrundfunk (SWR) nun einen fünfteiligen Podcast produzieren lassen, in dem das Phänomen Palmer noch mal erschöpfend abgehandelt wird. Mit seinen viereinhalb Stunden Spieldauer stellt die Podcast-Serie sicher, dass allen Palmer-Masochisten die volle Palmer-Dosis verabreicht wird: »Stunk. Palmer bringt die Welt in Ordnung«. Nicht nur der Titel, mit dem offenkundig die alle Wunschvorstellung vom Durchgreifer und Law-and-Order-Hausmeister, der mit eisernem Besen die verschmuddelte Welt durchfegt, evoziert werden soll, ist Reklame für Palmer. Auch im Ankündigungstext des SWR, der die Serie bewirbt, werden die erbärmlichsten Politphrasen ausgebreitet, um die deutsch-schwäbische Kleinbürgerfantasie vom »starken Mann« und die Ärmel hochkrempelnden Problemlöser zu bedienen: Palmer sei einer, der »anpackt«, wenn er ein Problem erkennt, heißt es dort etwa.
Auch im weiteren Verlauf des Textes wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Er sei »sehr intelligent« und »der Gegenentwurf zum glatten Politiker«, kann man da lesen. Auch wenn es kaum möglich scheint, »glatter« und populistischer durch den Politzirkus zu glitschen als eben explizit er, Palmer, der sich mit nahezu jeder seiner öffentlichen Äußerungen in der Schleimspur bewegt, die die AfD und die CDU bei ihrem letzten gemeinsamen Rechtsrutsch hinterlassen haben. Für den SWR sind das »provokante Äußerungen«. Allgemein scheint »provokant« das neue Journalisten-Codewort dafür zu sein, wenn jemand mit seinen gesammelten Ressentiments den Stammtisch bedient.
Hat man die Lektüre dieses liebedienerischen Ankündigungstexts halbwegs überstanden und hört sich die erste Podcast-Folge an, wird rasch klar, mit was für einer Sorte Journalismus man es hier zu tun hat. »30 Stunden Interviews« habe man geführt, so teilen die beiden verantwortlichen Autorinnen und Hosts, Sandra Kolnik und Alexandra Müller, mit. Es handele sich um Gespräche mit Leuten, »die etwas über Boris Palmer zu sagen haben«. Also zum Beispiel Patrick, Palmers Bruder, von dem wir erfahren, dass Boris mit 18 einmal ein Grönemeyer-Konzert besuchte. Oder der Ex-Maoist und heutige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, der seinen Spezi Boris Palmer so charakterisiert: »Ein leidenschaftlicher Verkehrspolitiker mit unglaublicher Sachkenntnis. Der intelligenteste Politiker, den ich überhaupt kennengelernt habe.« Oder Volker Kefer, bis 2016 Mitglied im Vorstand der Deutschen Bahn AG, der auch angetan von Palmer ist: »Auf der emotionalen Ebene sympathisch, lustig, inspirierend, aufgeweckt, mit einem Ziel vor Augen, jederzeit fair, sehr intelligent, enorm schlagfertig.«
Doch nicht nur Volker Kefer, auch Kolnik und Müller finden den als »wahnsinnig klugen Kopf bekannt gewordenen« Palmer, »diesen irgendwie krassen Oberbürgermeister«, anscheinend krass inspirierend, haben sich, wie sie bekennen, aber auch die Frage gestellt, »warum wir uns so krass an Boris Palmer abarbeiten«. Ja, krasse Sache, krasser Typ. Krasse Recherche von zwei krass kompetenten Podcasterinnen. Viele der Wortbeiträge und eingespielten O-Ton- und Interview-Schnipsel werden obendrein mit quälendem Instrumentalrock von der Stange unterlegt. Vermutlich sollen so Jugendliche angesprochen werden, von denen man anzunehmen scheint, dass sie keine Halbsekunde Stille mehr ertragen können.
In der zweiten Podcast-Folge geht es übrigens um Helmut Palmer, den in den 70er Jahren als »Remstal-Rebell« bekannt gewordenen Vater von Boris Palmer. Die höre ich mir aber nicht an. Denn dass der ein »irgendwie krasser« Typ war, weiß ich schon. Dafür benötige ich keinen Podcast.
»Stunk. Palmer bringt die Welt in Ordnung«, ARD-Audiothek
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