Arno Schmidt: »Das ist doch Energie!«

Arno Schmidts Briefwechsel mit Max Bense, der soeben erstmals erschien, ist vorbildlich ediert und großartig kommentiert

Na? Könnten Sie sich vorstellen, daraus zu essen?
Na? Könnten Sie sich vorstellen, daraus zu essen?

Stuttgart im Sommer 1952: Martin Walser, damals noch Redakteur des Süddeutschen Rundfunks (SDR), hat eine Radiosendung über den modernen und noch sehr unbekannten Schriftsteller Arno Schmidt geplant und ihn dazu eingeladen, ein wenig aus seinem Werk vorzulesen. Auch »ein bisschen über Sie und Ihre Bücher unterhalten« wolle man sich dann im Anschluss, so teilt Walser ihm mit.

Einige Monate später reist Schmidt gemeinsam mit seiner Ehefrau Alice nach Stuttgart. Abends sitzt man zusammen mit Walser und anderen im »Kasino«, der Kantine des SDR, und spricht über Literatur und die Möglichkeiten von Autoren der Gegenwart, Geld zu verdienen.

»Arno, der etwas Kopfschmerzen hatte, trank nur ein Glas mit und bat ansonsten um Bier. Und nun literarisierten wir.«

Alice Schmidt

»A. und ich kriegten eine schöne Bratenplatte vorgesetzt«, schreibt Alice Schmidt am folgenden Tag in ihrem Tagebuch. Klar, das Ehepaar Schmidt ist sehr arm in jener Zeit, von Arnos Schreiben zu leben, ist praktisch unmöglich. Eine schöne Bratenplatte ist da ein Geschenk des Himmels. Später am Abend begibt man sich in eine Weinstube. »Arno, der etwas Kopfschmerzen hatte, trank nur ein Glas mit und bat ansonsten um Bier. Und nun literarisierten wir", so Alice Schmidt.

Mit am Tisch sitzt den ganzen Abend auch der an der Technischen Hochschule Stuttgarts lehrende Philosophieprofessor Max Bense, ein begeisterter Leser der wenigen bisher von Schmidt erschienenen schmalen Bücher. Bense, der naturwissenschaftlich-technische Fragen mit ästhetischer Theorie, Kunst und Literatur verknüpft, ist Mathematiker und Physiker, verfasst aber auch philosophische Texte. Und er ist nur wenige Jahre älter als der von ihm bewunderte, damals 38-jährige Schriftsteller.

»Mit Schmidt teilte Bense die gesellschaftspolitische Haltung. Beide vertraten offen ein atheistisches Weltbild und übten Kritik an der Institution Kirche (…), insbesondere der Politik Konrad Adenauers standen sie kritisch gegenüber«, so kommentiert die Herausgeberin Michaela Nowotnick im Nachwort dieses Bandes das Verhältnis der beiden Männer.

Der Band dokumentiert den mehrere Jahre währenden Briefwechsel zwischen Arno Schmidt und Max Bense. In den Briefen geht es unter anderem um Schmidts Mitarbeit an der sich als avantgardistisch und politisch progressiv verstehenden Literaturzeitschrift »Augenblick«, die Bense damals herausgab und die von kaum mehr als ein paar Hundert Leuten gelesen wurde. Dem Philosophieprofessor gelang es, Arno Schmidt als Autor für die kleine Zeitschrift zu gewinnen. Was kein Wunder ist: Der seinerzeit ebenso heftig um Anerkennung ringende wie bettelarme Schmidt war froh um jeden Zwanzig- oder Fünfzigmarkschein, den er unverhofft verdienen konnte.

Einiges Organisatorisches wird in den Briefen verhandelt, außerdem geht es um Geldfragen, Publikationsmöglichkeiten; ansonsten werden allerlei Höflichkeiten ausgetauscht.

Heute eigentlich unvorstellbar: Mitte der 50er Jahre, im reaktionärsten Adenauer-Deutschland, wurden, ausgerechnet in Stuttgart, zwei Zeitschriften gegründet, die moderne Literatur und Sprache zu ihrem Gegenstand machten: Neben dem »Augenblick«, den Max Bense zu einem »Sammelbecken neuer junger Autoren« und einem »Ort des woanders nicht Druckbaren« machen wollte, gab es obendrein auch noch die Publikation »Texte und Zeichen«, redaktionell betreut vom Schriftsteller und Hörspielmacher Alfred Andersch. Als 1955 in dieser Zeitschrift wiederum Schmidts aus heutiger Perspektive vollkommen harmloser Kurzroman »Seelandschaft mit Pocahontas« abgedruckt wurde, dessen Ich-Erzähler sich zum Atheismus bekennt und über Sexuelles spricht, liefen die katholische Kirche und die Konservativen Amok: In Rezensionen wurde Schmidt als »Gotteshasser« und »Halbstarker« beschimpft, der mit »Geiffer« sexuelle Handlungen beschreibe und sich gar positiv über die DDR äußere, wodurch er »die wahre Heimat« seiner Gedanken enthülle. Karl Korn, der damalige Leiter des Feuilletons der »Frankfurter Allgemeinen«, befand, Schmidts Kurzroman laufe auf »eine dumme, geile und also provinzielle Affaire« hinaus, »in der es unter fadenscheinigen Vorwänden auf nichts weiter als aufs Rammeln ankommt«. Strafanzeigen wegen »Gotteslästerung« und »Pornografie« folgten.

Man darf hier nicht vergessen, dass das fortschrittsorientierte kunst- und wissenschaftsinteressierte Milieu, in welchem Schmidt und Bense sich bewegten, damals in der Bundesrepublik eine kleine Minderheit darstellte. Tatsächlich waren die 50er Jahre eine Zeit, in der noch überall der Geist des Nationalsozialismus wehte und in der der Muff von 1000 Jahren noch tief in sämtlichen Institutionen und Medienhäusern saß. Schmidt wohnte damals in der pfälzischen Gemeinde Kastel, einer »stinkkatholischen Gegend«, und hat »sehr drunter gelitten, in dieser Gegend zu sein« (Max Bense). Von Bense fühlten sich wiederum die Stuttgarter CDU-Politiker derart provoziert, dass sie ihn am liebsten seines Amtes enthoben hätten. Selbstdenker wie diese beiden galten als ideologische Außenseiter und wurden als Sonderlinge beäugt. »Was Kirche, Pfaffen, Bürgertum u.s.w. anbetrifft«, so versicherte sich Bense im September 1953 etwa einmal brieflich bei Schmidt, so hege man ja immerhin ähnliche Ansichten.

1955 schrieb Bense auch an Karl Korn, um ihn zur Mitarbeit an seiner Zeitschrift zu bewegen: »Wenn Sie also irgend wann mal einen scharfen Artikel haben, der in der FAZ nicht möglich ist, so drucken wir ihn mit grösstem Vergnügen im ›Augenblick‹, solange bis das Ding verboten wird.«

Dem eigentlichen, kaum mehr als 100 Seiten umfassenden Briefwechsel zwischen dem aufstrebenden Schriftsteller und dem Stuttgarter Professor folgt in diesem Band die Dokumentation mehrerer Tagebuchauszüge, Korrespondenzen und anderer Texte, die zum besseren Verständnis des Briefwechsels dienen sollen. Darunter findet sich auch ein 1981, zwei Jahre nach Schmidts Tod, geführtes Gespräch mit Max Bense und dessen Ehefrau Elisabeth Walther, das erstmals im »Bargfelder Boten« publiziert wurde, einer kleinen Zeitschrift, die dem Leben und Werk Schmidts gewidmet ist.

In diesem Gespräch, dessen Lektüre Schmidt-Kennern großes Vergnügen bereiten wird, erzählen Bense und Walther die schönsten Schnurren über den »rauhen und borstigen« Eigenbrötler Schmidt. So habe dieser ihnen etwa einmal einen Schinken angeboten, den er, aus Sparsamkeit, fünf Jahre lang in seinem Keller gelagert habe: »Er war ziemlich ranzig, er schmeckte widerlich, aber die Schmidts aßen ihn ganz munter.« Bei einer anderen Essenseinladung hätten sie Suppe in Hundenäpfchen serviert bekommen. Bense berichtet: »Schmidt konnte in Kastel keine Teller kaufen und hat da Hundenäpfchen gekauft. Meine Frau brachte infolgedessen keinen Bissen mehr herunter.«

Des Weiteren ist über den Grumpy Young Man Schmidt zu erfahren: »Er war ja außergewöhnlich menschenscheu. Man muss aber dazu sagen, der Kerl hat nicht nur Lorbeeren verdient, er war arrogant, dieser Kerl, arrogant bis zum Äußersten!« In Angelegenheiten der Literatur habe Schmidt sich für das größte Genie gehalten.

Das Einsiedlerdasein des Schriftstellers im Dörfchen Bargfeld und seinen Widerwillen gegen unfreiwillige Begegnungen und Zusammenkünfte mit anderen betreffend, berichtet Bense: »Auch hatte man ihm, wie er sagte, das Recht gegeben, eine Straße nur allein zu benutzen, die habe er sozusagen gepachtet. Das war wohl 1959 (…) Er zeigte uns diese Straße, diese Allee: ›Das ist die Allee. Das ist meine Allee, da gehe ich spazieren. Die darf nur ich allein benutzen.‹«

Und einmal habe der Schriftsteller auf die Frage, ob er denn gefrühstückt habe, geantwortet: »Ich frühstücke nie. Ich trinke morgens einen Korn.« Auf den Hinweis, dass man davon doch nicht satt werde, habe er erwidert: »Natürlich wird man davon satt. Das ist doch Energie!«

Arno Schmidt: Der Briefwechsel mit Max Bense (Briefe von und an Arno Schmidt, Bd. 6: Hg. v. Michaela Nowotnick). Suhrkamp, 200 S., geb., 48 €.

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