Hellseatic-Festival: Hauptsache massiv

Raue Zeiten: Das Bremer Hellseatic-Festival feierte unter erschwerten Bedingungen die Heavy Music

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Fast schon hippiesk: das Hellseatic-Festival
Fast schon hippiesk: das Hellseatic-Festival

Das Schicksal des Bremer Hellseatic-Festivals ist exemplarisch für viele kleine und mittelgroße Festivals zurzeit. Seit dem Bruch, den die Pandemiejahre für die Veranstaltungsbranche bedeuten, hat sich die Kluft zwischen Großveranstaltungen und dem idealistischen Rand schlagartig vergrößert, verstärkt noch durch weitere Krisenphänomene allerorten. Auf Veranstalterseite wird alles teurer, dementsprechend gehen die Ticketpreise durch die Decke, die Gagen für die Zugpferde unter den Bands haben sich mehr und mehr in teils absurde Höhen geschraubt, und immer größere Teile des Einkommens der Festivalgänger*innen gehen für die Miete und im Supermarkt drauf. In der Krise überlegen auch naturgemäß kauffreudige Metal-Fans, ob sie ihr Geld nicht besser nur bei einer einzigen Großveranstaltung im Jahr lassen.

Das Hellseatic setzt auf die Entdeckungsfreude des Publikums und hat überwiegend Bands im Programm, die noch nicht sonderlich bekannt sind oder einen Mini-Legendenstatus in den Ecken der Nischen der Subgenres haben. Das wäre, zumindest was die Finanzierung angeht, fast schiefgegangen, zumal die Förderung vonseiten der Stadt Bremen bei der dritten Ausgabe des Hellseatic ausblieb. Mitte Juli schickte das ausnahmslos ehrenamtlich tätige Veranstalterteam einen SOS-Ruf in die Welt: »Es sind raue Zeiten für Festivals, erst recht für junge, experimentelle und Herzblut-getränkte Exemplare wie das Hellseatic!« Noch im Juli müssten 300 Tickets verkauft werden, damit alles über die Bühne gehen könne. Das mit den 300 Tickets zusätzlich hat dann nicht ganz geklappt, das Hellseatic konnte trotzdem stattfinden, mit der finanziellen Rückendeckung von Freund*innen.

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Die sehr gute Idee des Festivals: nicht einfach zwei, drei zugstarke Headliner einkaufen und den Rest mit günstig buchbaren Mittelbau-Bands zu füllen, was wohl eine sichere Bank gewesen wäre. Sondern stattdessen ein Programm, das Bands, die eher an den erfinderischen Rändern der zahllosen Metal-Subgenres unterwegs sind, in Beziehung zueinander setzt. Wobei die Veranstalter*innen den Begriff Metal eigentlich nicht mehr verwenden wollen, wie sie im Interview mit dem Bremer Stadtmagazin »Z« erklärten, und lieber von »Heavy Music« sprechen. Damit kann das Programm dann im Prinzip alles umfassen, was gitarrenlastig und wahlweise massiv und schwer oder massiv und hektisch klingt.

An den Bands, die an den zwei Tagen im Kulturzentrum Schlachthof auf die drei Bühnen gehen (eine vierte Bühne, die Open Air sein sollte, wurde aus finanziellen Gründen gestrichen), kann man in der Zusammenschau sehr schön nachvollziehen, in welcher Weise die nicht konservativen Spielarten des Metal sich weiter und weiter öffnen. Agriculture zum Beispiel schafften es, Black Metal so zu spielen, dass die Musik klang wie ein Hippiefest. Die Band selbst nennt es »ecstatic black metal«. Alles Düstere, Nihilistische ist durchgestrichen. Die Wut, die in der Stimme der Sängerin Leah B. Levinson Real mitschwingt, hat nichts Destruktives mehr, sondern suggeriert Befreiung und Urschrei.

Auf der entgegengesetzten Seite des Geschwindigkeitsspektrums ist die Doom-Metal-Band Ahab unterwegs, die in den letzten 20 Jahren sechs Konzeptalben über Seefahrt, Wale und das Meer produziert hat. Alles tief und nahezu maximal langsam gestimmt, so langsam, dass die Musik zumindest passagenweise an die Zeitlupenästhetik von Bands wie Bell Witch oder Earth heranreichte.

Beide Bands folgen einer Tendenz im Genre, die der ganzen Veranstaltung sehr guttut. Die Ästhetik verschiebt sich, zumindest bei den Metal-Bands, die in Kontakt mit Postrock getreten sind – weg von einem Sound, der vor allem hart und krass sein soll, hin zu einem Sound, der zuallererst massiv sein will. Das ist kein kleiner Unterschied.

In Hinblick auf das Festivalprogramm heißt das, das viele der Bands hier nicht mehr genretypisch verpanzert klingen, sondern einen Sound produzieren, bei dem Zuhörerin und Zuhörer mitfließen können. Und denen es – Stichwort Postrock oder eben Postmetal – weniger um klassische strukturierte Songs geht als vielmehr um einen Sound oder auch um einen Zustand. Der ekstatische Black Metal von Agriculture klingt ozeanisch, die lang anhaltenden Gitarrendrones und das Donnerschlagzeug von Ahab wie ein drückendes Gewitter. Und die Kölner Black-Metal-Band Ultha produzierte mit den drei langen Stücken, die sie spielte, einen schönen Shoegaze-Nebel.

Die Abkehr von traditionellen Härte-Idealen macht die Musik interessanter und sie lässt diverse Stimmen zu. Die belgische Band Predatory Void zeigte, dass es ausgerechnet in den extremsten Metal-Spielarten, Death Metal und Black Metal, sehr egal ist, ob eine Sängerin oder ein Sänger kreischt und röhrt. Alle kriegen letzten Endes alle Frequenzen hin, die Zuordnung der Stimme zu einem klar definierten Geschlecht ist obsolet.

Diese musikalische Offenheit findet ihre Entsprechung in einem Festivalpublikum, das vor allem Respekt sowie eine schon fast hippieske Friedfertigkeit ausstrahlt und sich über den Riot-Grrrrl-Punk von den Bands The Pill und 24/7 Diva Heaven genauso freut wie über eine instrumentale Stoner-Rock-Band wie Rotor oder den elegischen, leider sehr ausgewalzten sinfonischen Postrock von ef oder Monkey3.

Alles zusammengenommen ergibt das den Beweis, dass es bei zwei Tagen mit Experimentierfreude und Spaß am Krach zusammengestelltem Programm mehr zu entdecken gibt als, sagen wir, beim Wacken-Festival, wo fast nur spielt, was man als Metal-Fan ohnehin schon seit Langem auf dem Schirm hat.

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