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So kluge Technik, so brave Menschen

Die Internationale Funkausstellung (IFA) feiert ihren 100. Geburtstag in Berlin

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 6 Min.
Welches High-Tech-Gerät in altertümlichem Design begeistert hier Bundeskanzler Olaf Scholz (r.), Berliner Bürgermeister Kai Wegner (l.) und Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (vorne)?
Welches High-Tech-Gerät in altertümlichem Design begeistert hier Bundeskanzler Olaf Scholz (r.), Berliner Bürgermeister Kai Wegner (l.) und Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (vorne)?

Deine Zimmerpflanzen lieben dich! Sie können es nur nicht so gut zeigen. Damit du weißt, wie wichtig du ihnen bist, braucht es ein bisschen Technik. Hello Tomorrow Incorporated aus der Stadt Pawtucket im US-Bundesstaat Rhode Island hat Pflanzentöpfe entwickelt, die dafür Sorge tragen, dass ein Schnurren erklingt, wenn du dich deinen Blümlein näherst; sie machen Blubbergeräusche, wenn mal wieder Wasser nötig wird, damit sie nicht tränenlos weinend eingehen; zu guter Letzt: Streichle ein Blatt und ein Sensor lässt das Pflänzchen sich vor Glück schütteln.

Die Töpfe sind auch auf den zweiten Blick gruselig, gehören aber sicher zu den harmlosesten Produkten der diesjährigen Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin. Die Messe feiert ihren 100. Geburtstag, aber der Glanz alter bundesrepublikanischer High-Tech-Zeiten hat abgenommen. Das Fernsehen überträgt nicht mehr live aus dem Westen der Hauptstadt, hier und da gibt es sogar leere Flächen an den Rändern der Hallen. »Trotzdem viel, viel besser als letztes Jahr«, meint ein alter Aussteller-Hase aus Schwaben. Seit 2023 wird die IFA von der IFA Management GmbH verantwortet, die wiederum ein global tätiges Joint Venture des Rechteinhabers gfu und des Event-Veranstalters Clarion ist. Wie’s scheint, war die Übergabe vom vorherigen Veranstalter an die IFA Management GmbH nicht sonderlich gründlich – praktisches Wissen aus Erfahrung wurde nicht weitergegeben, Chaos herrschte, Aussteller konnten oft niemanden erreichen. 

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Das Eröffnungskonzert vom alten Stromgitarren-Star Bryan Adams (64 Jahre) sei übrigens »bombastisch« gewesen, so der Schwabe … oder Franke? Anfänglich sprach er Business-Englisch. Der freundliche Herr arbeitet für eine britische Start-Up-Plattform, die unter anderem eine Firma fördert, welche den Trend zur freiwilligen Selbstüberwachung durch Smartwatches aufnehmen und mit den Allmachtsfantasien von Herr-der-Ringe-Fans kombinieren will: Der »revolutionäre Smart-Ring« OURA erinnert an Gollums Objekt der Begierde. Dessen Gestalt und Seele sind kein gutes Omen für den post-smarten Menschen der Zukunft.

Vermutlich kommen dann die humanoiden Roboter zum Einsatz, die ums Eck präsentiert werden: Sie sollen uns im Alltag beim Dinge-von-A-nach-B-Bringen unterstützen. Dann haben Verwandte und Freunde ihre Ruh. Abkapseln ist eh wichtig. Die Firma Quoob vermietet »private spaces« in Form von Raumschiffkapseln, in denen man arbeiten, lernen, telefonieren oder, so steht’s an der Eingangstür, »rechargen«, also sich wieder aufladen kann.

Der Fernsehhersteller Telefunken wurde vor vielen Jahren von einem chinesischen Unternehmen geschluckt und hat nur einen kleinen Stand zu bieten, der kaum 20 000 Euro Miete kosten dürfte. Sein Slogan: »Serious. German. Fun«. Die Gesichter der drei Angestellten im Anzug mit Namensschild vermitteln keine Begeisterung, wobei jedes laute Gähnen, jedes Augenrollen der Hostessen, Sales Manager, Experten ein wohltuendes Lebenszeichen ist. Der Körper wehrt sich gegen die antisoziale Mensch-Maschine-Installation Technikmesse.

Die Riesenfirmen werden nicht dafür sorgen, dass das Essen für alle reicht.

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Ein paar Meter weiter hat sich Tesla sein kleines Reich aufbauen lassen. Tesla hat in diesem Fall nichts mit Elon Musks Elektroautos zu tun, sondern ist ein serbisches Allround-Unternehmen, das Computerspielbildschirme, Küchengeräte, Haushaltskram unter Strom anbietet, und das alles in China, Bulgarien und der Türkei herstellen lässt. Musks Weltraum-Firma SpaceX ist allerdings auch vertreten: Sie stellt eine Technologie vor – irgendwas in silbernen Platten –, die dafür gut ist, dass man auch in der Pampa, fernab jeglicher Zivilisation, in Wüste und Tundra, Gott sei Dank, Internetempfang hat.

Kleiner Horror-Trip zwischendurch: Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr ließ an seinem Stand eine Telefonzelle errichten, in der Minister Volker Wissing (FDP) als Avatar erscheint. Der KI-Bot, der er ist, soll dem Wahlvolk Fragen beantworten. Erinnert an Star-Wars-Hologramme, aber eher von den Bösen.

Der SpaceX-Stand ist unweit einer Fläche platziert, auf der allerlei chinesische Anbieter von angenehm profanen Dingen untergebracht sind wie etwa Handys für ältere Semester mit extra großen Icons oder hochmoderne Zahnbürsten, die sich so komplex bewegen, dass keine Ausrede für Karies mehr zählt.

Die meisten der Anbieter kommen aus der chinesischen Mega-Metropole Shenzhen. Die sollte auch den deutschen Business-Boys und -Girls Vorbild sein. Das meint zumindest ein Speaker auf der von der Elektrohandelskette Mediamarkt-Saturn bereitgestellten Bühne für Vorträge über die Zukunft der technologischen Welt voller Profit-Orientierter. In Shenzhen gibt es so große Konkurrenz, dass der »Fortschritt« rasend schnell vonstattengeht und immer neue, Verzeihung, geile Scheiße auf den Markt geworfen wird.

Der Mann vom Fach konstatiert, dass Einkaufen im Westen zu langweilig ist, weil man ewig lang nur auf Effizienz aus war. Finde flink, was du willst, lass es dir liefern, fertig. Stattdessen sollte es beim Online-Shoppen um Erfahrung gehen. Das heißt, Produkte müssen lebendiger präsentiert werden. Das heißt, statt Foto von Kleid, Video von normschönem Model im Kleid beim freudigen Hopsen. Das heißt auch, Statik ist der Feind, Online-Kataloge sind over, besser also, wie bei Tiktok, von Clip zu Clip auf dem Handy wischen, wobei jedes Video für ein Produkt wirbt, welches man mittels Berührung ratzfatz ordern kann. Das funktioniert in China, das brauchen wir auch!

Der in China wohl berühmteste Deutsche wurde auch zur IFA geschleppt: Timo Boll, Tischtennislegende. Ihm oblag in wenigen Worten für die hierzulande aufgrund von Apples und Samsungs Marktmacht weniger bekannten Smartphones der Firma Honor zu werben. Die kann man aufklappen für einen extragroßen Bildschirm, sie haben außerdem auch zugeklappt auf der Vorderseite einen Bildschirm und sind außerdem quasi unkaputtbar.   

Hoch sicher, aber auch maximal machtlos fühlt man sich in der Welt der Künstlichen Intelligenz, die Samsung, der langjährige Arbeitgeber des neuen IFA-Chefs Leif-Erik Lindner, in seiner Halle präsentiert. Samsung hat für uns »Samsung Town« gebaut. Im Zuhause der Zukunft weiß die Waschmaschine, wann besonders effizient und umweltfreundlich gewaschen werden kann, erinnern smarte Gerätschaften an die täglichen Yoga-Sessions, weiß der Kühlschrank, dass die Milch alle ist und bestellt neue, entfernt der Staubsauger jeden Krümel, bevor er auf den Boden fällt. »AI for All«, also »Künstliche Intelligenz für alle« ist das Motto. IFA steht international auch für »Innovation For All« (Innovation für alle). KI zerstört alle möglichen Arbeitsplätze, das ist klar. Auf der Berliner Messe soll man sich ja aber nicht als alltäglich versehrter Lohnabhängiger fühlen, sondern als allmächtiger Konsument der Zukunft.

Antidot am Ende: Bei den deutschen Traditionsunternehmen AEG und Miele kann man semi-prominenten Köchen zuschauen, wie sie dank bester Ausstattung durch die deutschen Traditionsmarken kinderleicht und im Handumdrehen feinste Speisen zubereiten. Wirklich üppige Portionen dürfen sie aber nicht servieren, sodass das Gedrängel vor den Häppchen auf Pappe zu groß wird. Futterneid bleibt anthropologische Konstante. Die Riesenfirmen werden nicht dafür sorgen, dass es für alle reicht.

Die IFA läuft noch bis zum 10. September auf dem Berliner Messegelände

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