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Herzschwäche füllt Kliniken
Herzbericht: Wenig Prävention und absehbare Probleme durch die Klinikreform
Unser Herz pumpt das Blut durch den Körper: Das erkannten selbst Ärzte und Anatomen spät, erstmals im 17. Jahrhundert. Das relativ kompliziert und unregelmäßig aufgebaute Organ bewegt pro Tag 5000 Liter Blut. Klappen regulieren den Blutfluss. Hippokrates meinte noch vor 2400 Jahren: »Das Herz kann nicht erkranken.« Das tut es aber durchaus, wissen wir heute. Zudem scheint es, dass gerade der ungesunde Lebensstil in wohlhabenden Ländern es immer kränker macht. In Deutschland sind unter den häufigsten Todesursachen fünf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auf Platz drei dabei die Herzinsuffizienz, volkstümlich das »schwache Herz«.
Die Deutsche Herzstiftung machte diese Insuffizienz zum Schwerpunkt ihres jährlichen Berichts, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Die Herzschwäche selbst kann von verschiedenen Krankheiten verursacht sein, die teils wiederum das Hohlorgan selbst betreffen, so etwa Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße, Bluthochdruck (den in Deutschland jeder zweite Mensch über 50 Jahren hat) oder auch Rhythmusstörungen. Im Jahr 2022 wurde für 375 000 Sterbefälle die Todesursache Herzinsuffizienz vermerkt. Die Sterblichkeit nimmt hier nach einer Phase der kontinuierlichen Abnahme wieder zu. 2015 waren pro 100 000 Einwohner etwa 62 Menschen daran gestorben, 2021 waren es nur 36 dieser Todesfälle, 2022 aber 38 je 100 000 Einwohner.
»Bei der Sterblichkeit der Herzschwäche könnte sich nach mehreren Jahren der Rückläufigkeit eine Trendwende abzeichnen, die wir genauer beobachten müssen«, so Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Bei den Krankenhausaufnahmen ist die Herzinsuffizienz die häufigste Einzeldiagnose, 2022 waren das 446 000 vollstationäre Fälle.
Auch insgesamt steigt nach einer Phase leichter Rückläufigkeit die Sterblichkeit durch Herzkrankheiten wieder an. Nach den Zahlen des aktuellen Deutschen Herzberichts starben im Jahr 2022 insgesamt 216 944 Menschen an den Folgen einer Herzkrankheit. Die meisten Sterbefälle unter diesen Leiden werden weiterhin den Durchblutungsstörungen durch Herzkranzgefäßverengungen zugeordnet, auch Koronare Herzkrankheit (KHK) genannt. 2022 waren das 125 984 Sterbefälle. Reichlich in einem Drittel dieser Fälle kam es zu einem akuten Herzinfarkt.
Die Herzinsuffizienz wiederum ist nicht heilbar. »Etwa 50 Prozent aller an einer Herzschwäche erkrankten Menschen versterben innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren nach der Diagnose«, so der Bericht. Behandelbar ist die Krankheit aber: mehrere Medikamentengruppen stehen zur Verfügung, darunter Betablocker oder blutdrucksenkende Mittel. Manche Begleiterkrankungen können durch Stents und Bypässe therapiert werden. Bei Rhythmusstörungen können Stellen des Herzmuskels verödet werden, an denen »falsche« elektrische Signale entstehen. Bei einer schweren Herzinsuffizienz im Endstadium bleibt nur eine Transplantation – bis dahin kann ein Unterstützungssystem helfen, das zwischen Aorta und einer der Herzkammern implantiert wird.
Die Rate von Herzverpflanzungen allerdings ist seit 2019 rückläufig, unter anderem wegen »einer ungelösten Situation bei Transplantationen«. Gemeint ist der Mangel an Spenderorganen, weshalb auch aus der Herzmedizin ein starkes Votum für die Widerspruchslösung kommt. Dann könne jeder Organspender sein, wenn er nicht vorher widersprochen hat. Aktuell muss eine Zustimmung zur Spende vorliegen oder von Angehörigen im Hirntod-Fall glaubhaft gemacht werden. Auf der Warteliste für ein Herz stehen momentan 21 Kinder und 678 Erwachsene.
Die hohe Zahl von Herzinsuffizienzpatienten ist bei einer immer älteren Bevölkerung nicht überraschend. Jedoch gelingt es in vergleichbaren Industriestaaten, mit geringerem Aufwand bessere Ergebnisse bei der Herzgesundheit zu erreichen. Insgesamt muss die Prävention gestärkt werden, so auch die Vertreter der Herzstiftung. Das umstrittene Gesundes-Herz-Gesetz, bislang nur vom Bundeskabinett verabschiedet, wird von den Herzmedizinern eher unterstützt. Eike Langheim findet, dass hier ein richtiger Weg aufgezeigt werde: Menschen mit zu viel Cholesterin könnten früh gefunden und rechtzeitig behandelt werden. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V. ist als Chefarzt der Abteilung Kardiologie am Reha-Zentrum Seehof im brandenburgischen Teltow tätig.
Die Fachgesellschaften hätten jedoch darauf hingewiesen, dass entsprechendes Screening und medikamentöse Therapie nicht die einzigen Mittel sein dürfen. Man müsse zudem nicht nur am Verhalten der Menschen arbeiten, sondern auch an den Verhältnissen: etwa die Mehrwertsteuer staffeln und etwa gesüßte Getränke teurer machen als gesündere. Es sei auch nicht richtig, Sportangebote einzustellen oder den Schulsport weiter zu vernachlässigen. Hier müsse wesentlich breiter gedacht werden, um am Ende Krankheiten gar nicht erst entstehen zu lassen, fordert auch der Reha-Mediziner Langheim.
Zusätzliche Sorgen macht den Herzspezialisten die Krankenhausreform. Sie sehen ihre Patienten davon am meisten betroffen: Jetzt noch vorhandene Versorgungsangebote würden verschwinden, unter anderem, weil nicht alle Kliniken das nötige Personal vorhalten könnten. Bis zu ein Drittel der Erkrankten würde kein Krankenhaus mehr finden und müsste ambulant versorgt werden. »Aber die Strukturen dafür sind noch nicht da«, so der Frankfurter Herzmediziner Voigtländer. Schon jetzt sind zum Beispiel kardiologische Praxen überlastet. Unter anderem, weil Kontrolltermine zu häufig stattfinden, müssten Akutpatienten unnötig lange auf einen Termin warten.
Nach einer Phase leichter Rückläufigkeit steigt die Sterblichkeit durch Herzkrankheiten wieder an.
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