Nach Abhöraktion: Journalisten ziehen vor das Verfassungsgericht

Verfassungsbeschwerde gegen das heimliche Belauschen des Pressetelefons der Letzten Generation eingereicht

Das Bundesverfassungsgericht soll nun klären, ob das Abhören von vermutlich 171 Journalist*innen verhältnismäßig war.
Das Bundesverfassungsgericht soll nun klären, ob das Abhören von vermutlich 171 Journalist*innen verhältnismäßig war.

Der Bayerische Journalistenverband (BJV), die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und Reporter ohne Grenzen (RSF) haben gemeinsam mit drei Journalisten Verfassungsbeschwerden gegen das heimliche Abhören des Pressetelefons der Protestgruppe Letzte Generation erhoben. Beschwerdeführer sind ein von der Abhörmaßnahme betroffenes Mitglied des BJV sowie die ebenfalls abgehörten Journalisten Jörg Poppendieck (RBB) und Jan Heidtmann (»Süddeutsche Zeitung«, SZ). Eine vorangegangene Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München hatte das Landgericht München I im Juli verworfen und die mehrmonatige Überwachungsmaßnahme für verhältnismäßig erklärt.

»Die Abhöraktion der Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber der Letzten Generation war völlig überzogen und verletzt die Pressefreiheit. Da die Gerichte in München dieses Vorgehen trotzdem legitimiert haben, bleibt uns nur der Weg vor das Bundesverfassungsgericht«, so Jan Heidtmann.

»Die Abhöraktion der Generalstaatsanwaltschaft München gegenüber der Letzten Generation war völlig überzogen und verletzt die Pressefreiheit.«

Jan Heidtmann abgehörter Journalist (SZ)

Die Verfassungsbeschwerden zielen darauf ab, dass die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens nicht überprüft wurde, bevor die Abhöraktion begann. Der verantwortliche Ermittlungsrichter habe also vor der Genehmigung nicht hinterfragt, ob der zu erwartende Schaden geringer sei als der erhoffte Nutzen, so Harald Stocker, der Vorsitzende des BJV. Solch eine Prüfung sei notwendig, um einen Eingriff in die Pressefreiheit zu rechtfertigen. Abhöraktionen im Nachhinein abzuwägen, sei dahingegen »völliger Quatsch«, so Stocker.

»Wenn Richter das Mitschneiden vertraulicher Gespräche mit Journalist*innen genehmigen, müssen sie vorher andere Möglichkeiten ausschöpfen und den Nutzen sorgfältig prüfen und begründen. Das ist nicht geschehen«, meint der BJV-Vorsitzende. »Damit sich dieses Vorgehen nicht wiederholt, legen wir Verfassungsbeschwerde ein.«

Auch die im Nachhinein erfolgte Verhältnismäßigkeitsprüfung kritisieren die Beschwerdeführer. Denn vom heimlichen Belauschen des Pressetelefons seien keine »bahnbrechenden Erkenntnisse«, »die man nicht anderweitig bekommen hätte können«, zu erwarten gewesen, so Anwalt Chan-jo Jun, der im Auftrag des BJV das betroffene Mitglied bei der Verfassungsbeschwerde vertritt. Zudem hätte man das Abhören wenig informativer Gespräche auch abbrechen oder die Aufnahme zumindest direkt danach löschen können. Aber auch das sei nicht geschehen, so Jun.

»Letztendlich wird die Beschäftigung der Gesellschaft mit kontroversen Themen unmöglich gemacht, wenn es keine richtige Pressearbeit gibt.«

Nicola Bier Rechtsanwältin und Referentin bei Reporter ohne Grenzen

Die Rechtsanwältin Nicola Bier von RSF warnt vor möglichen negativen gesellschaftlichen Folgen. Denn das Vorgehen gegen die Presse habe eine »Einschüchterungswirkung«. »Letztendlich wird die Beschäftigung der Gesellschaft mit kontroversen Themen unmöglich gemacht, wenn es keine richtige Pressearbeit gibt«, so Bier.

Die Verfassungsbeschwerde soll nun klären, wie weit der Staat beim Abhören von Pressetelefonen gehen darf. Dabei ist auch von Belang, ob Richter*innen schon bei der Anordnung von Überwachungsmaßnahmen klar begründen müssen, warum diese notwendig sind, oder ob sie dies erst später tun können. Ziel ist es, Rechtssicherheit für die Presse zu schaffen.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte der SZ-Redakteur Ronen Steinke. Er berichtete im Juni 2023 über die heimliche Überwachung des Pressetelefons der Letzten Generation, die von Oktober 2022 bis April 2023 durchgeführt worden war. Inzwischen ist bekannt, dass, nach Angaben des BJV, mindestens 171 Journalist*innen von der Abhöraktion betroffen sind. Grund für die Maßnahme waren die umstrittenen Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen Mitglieder der Letzten Generation wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mit einer Antwort des Bundesverfassungsgerichts rechnen die Beschwerdeführer erst in mehreren Monaten .

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