- Kultur
- Berliner Museumsinsel
Süßes Bier, viermal gekocht, gesiebt und getrunken
Elephantine, die Insel der Jahrtausende, auf der Berliner Museumsinsel
In der Mitte des Stromes liegt eine Stadt, die vom Nil umflossen wird, Elephantine ist ihr Name. Sie ist der erste Ursprung, der erste Gau nach Nubien hin …« So ist es zu lesen auf der sogenannten »Hungersnotstele«, eingemeißelt auf einem großen Granitblock unweit von Assuan.
Elephantine, eine kleine Insel inmitten des mächtigen Nil am Nordende des 1. Kataraktes, liegt etwa 1000 Kilometer südlich von Kairo, gegenüber der modernen Stadt Assuan. Heute ist der Fluss dort durch einen Staudamm gezähmt, dereinst mit Hilfe der Sowjetunion errichtet und 1971 von Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser feierlich eingeweiht. In grauen Vorzeiten hatten Stromschnellen die Schifffahrt auf dem Nil höchst riskant oder gar ganz unmöglich gemacht. Andererseits bescherten die jährlichen Überschwemmungen mit ihren Schlammmassen dem Land Fruchtbarkeit. Wovon die Insel profitierte. Schon früh avancierte Elephantine mit den Tempeln der Götter Chnum und Satet zu einem religiösen Zentrum. Der Name der Insel geht auf das altägyptische Wort »jeb« (Elefant, Elfenbein) zurück. Von den Griechen später mit »elephas« übersetzt, mag er auf die rundgeschliffenen Felsen anspielen, die wie Elefantenrücken aus den Stromschnellen aufragen. Vielleicht ist dieser aber auch ein Hinweis darauf, dass Elfenbein damals eine wichtige Handelsware war.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert interessierten sich die Archäologen für das Gebiet um Assuan. Als englischen Forschern 1904 dort ein großer Handschriftenfund gelang, rief das die europäischen Schwergewichte in der noch jungen Wissenschaftsdisziplin der Ägyptologie auf den Plan und auf die Insel. Deutsche und französische Forscher gruben um die Wette, »aber wir waren es, die diesmal das große Los zogen«, jubelte Adolf Erman, Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, rückblickend in seinen Erinnerungen. »Wir finden gleich am ersten Anstich oben auf dem Hügel in einem angegrabenen Haus Papyrusfragmente, sodass wir also den Schluss ziehen dürfen, dass in der Tat hier etwas zu finden ist«, notierte er am 31. Januar 1906, dem ersten Grabungstag, in sein Tagebuch. Und er sollte recht behalten. Rubensohn und Friedrich Zucker fanden innerhalb der nächsten zwei Jahre im Auftrag der Königlichen Museen zu Berlin Hunderte Papyri und Handschriften. Nach dem Antikenrecht in Ägypten gingen per Fundteilung in die deutsche Hauptstadt »sämtliche Ostraka und Papyri sowie auf mein besonderes Ersuchen«, so Rubensohn, »sämtliche Siegelabdrücke«. Sie sind heute Teil der Papyrussammlung des Ägyptischen Museums Berlin.
Seit 1969 graben das Deutsche Archäologische Institut Kairo zusammen mit dem Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung auf der Insel. Ziel ist die umfassende Erforschung der Stadt mit ihren Tempeln, Wohnhäusern und Werkstätten. Erwiesen ist, dass die Besiedlung der Insel circa 3500 v. Chr. begann und bis ins 12./13. Jahrhundert n. Chr. andauerte. Elephantine weist eine stolze über 4000-jährige Geschichte und Kultur auf.
Über diese berichten Schriftfragmente, die auf der Insel entdeckt wurden und heute weltweit in mehr als 60 Museen in 24 Ländern lagern. Deren Entzifferung ist vor allem wegen der Anfälligkeit der oft sehr brüchigen Papyrus-Rollen oder -Päckchen sehr schwierig; es bedarf besonderer Sorgfalt und spezieller, aufwändiger Methoden, sie zu öffnen. Im Rahmen eines vom Europäischen Wirtschaftsrat (ERC) geförderten Projektes konnten in den Jahren 2015 bis 2022 insgesamt 10 745 Papyri und andere Textfragmente aus Elephantine enzifferbar und digital zugänglich gemacht werden. Das Ergebnis dieser internationalen und interdisziplinären Anstrengungen ist nun in einer prächtigen Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel zu bestaunen.
In Elephantine lebten vier Jahrtausende Menschen unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Religion friedlich miteinander.
In der James-Simon-Galerie wird der Besucher zunächst in einem nachgebauten Grabungszelt empfangen, darin Transportkisten und Fotos von Ausgrabungen. Zu sehen ist die Grabungserlaubnis der ersten deutschen Expedition, das Protokoll der Teilung der Ausgrabungsfläche zwischen Franzosen und Deutschen und das Grabungstagebuch von Rubensohn, das man digital durchblättern kann. Vorgestellt werden Schreibutensilien. Für schlichte, kurze Texte nutzte man Scherben zerbrochener Tongefäße, sogenannte Ostraka. Sie waren billig und immer vorrätig. Aber auch Leder, Pergament, Palmblätter und Holz wurden verwendet. Geschrieben wurde zunächst mit schwarzer Rußtinte. Seit griechischer Zeit kam Eisengallustinte hinzu. Einzelbuchstaben und Symbole wurden mit roter Tinte hervorgehoben.
Die Schriftzeugnisse sind thematisch sortiert, machen Leben, Glauben und Alltag auf Elephantine sichtbar. Beeindruckend ist die Vielfalt der Sprachen und Schriften: altägyptische Hieroglyphen; Hieratisch und Demotisch aus dem alten Ägypten, Aramäisch aus Vorderasien, Griechisch, Koptisch, Meroitisch, Lateinisch und schließlich Arabisch. Sie weisen auf das bunte Völkergemisch hin, das auf der Insel lebte. Ein Ehevertrag benennt Zeugen mit aramäischen, judäischen und ägyptischen Namen. Andere Dokumente erwähnen Griechen, Makedonen, Assyrer, Phönizier, Nubier, Römer und Araber.
Die Texte geben Auskunft über Bildung und Wissenschaft. Es finden sich komplizierte geometrische und astronomische Berechnungen, Sterne und Sternbilder des Südhimmels werden benannt. Einige Ostraka mit Bruchrechnungen oder auch Konjugationen geben Einblicke in den Schulalltag dereinst, andere vermitteln medizinische Ratschläge bei Augen- und Wirbelsäulenerkrankungen, Ohren- und Zahnschmerzen. Ein Papyrus aus dem 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. empfiehlt gegen Husten: »Süßes Bier, 25 Einheiten, das viermal gekocht, durchgesiebt und getrunken …« Dazu die Mahnung, es mit der Dosierung des Alkohols aber nicht zu übertreiben.
Da Elephantine ein großer Handelsplatz war, verwundert die Vielzahl der Kaufverträge, Waren- und Preislisten, Rechnungen und auch Schuldscheine nicht. Ein Papyrus erwähnt die Einfuhr von Gesteinen, Honig und Myrrhe, ein anderer berichtet über die Lieferung von Öl, Holz, Honig, Gummi und Weihrauch an den Tempel des Chnum. Interessant ist ein Ostrakon, auf dem in Griechisch am 27. März 150 v. Chr. die Zahlung von 2000 Drachmen für den Kauf königlichen Leinentuches notiert ist. Um Missverständnisse auszuschließen, ist der Rechnungsbetrag nochmals in Demotisch vermerkt.
Wertvolle Einblicke geben die Schriftzeugnisse zur Rolle der Familie, Ehe und Frau. In einem griechisch verfassten Testament setzten sich die Ehepartner im Todesfall gegenseitig als Erben ein und legten zudem fest: »All die Söhne mögen gemeinsam sie [die Eltern] unterstützen und beitragen bei der Zahlung ihrer Schulden.« Und in einer Zeit ohne Online-Partnersuche schlägt ein Papyrus-Brief am 7. Januar 302 v. Chr. vor: »Wenn es dir angenehm ist, kannst du … das Orakel der [Göttin] Isis befragen über die Frau, die ich mit nach Hause nehmen soll.« Aufschlussreich ist ein großer, auf Leder geschriebener Ehevertrag, aufgesetzt von einem arabischen Notar am 6. Januar 948 n. Chr. Er beginnt mit der Besmala, der islamischen Anrufungsformel, und verspricht ein beträchtliches Hochzeitsgeschenk von 90 Golddinar. Aus den genannten Namen geht hervor, dass die Eltern der Eheleute Christen waren, das junge Paar aber zum Islam konvertierte. Ungewöhnlich ist, dass der Vertrag von 77 (!) muslimischen Zeugen unterzeichnet wurde.
Dieses Dokument leitet hinüber in den Bereich Religion und Glauben. Fremde kamen als Sieger oder Kriegsgefangene, Söldner, Händler und Handwerker auf die Insel, wo sie zwar in eigenen Siedlungen lebten und dennoch viele Kontakte miteinander pflegten. Natürlich brachten die Fremden ihre Götter und Religionen mit. Altägyptische Götter sowie der Gott der Juden, der Christen und der Muslime wurden zeitweise zugleich angebetet. Auf einem Ostrakon versichert der Diener Gaddul seinem Herrn Micaiah: »Ich habe dich gepriesen bei Jahu und Chnum.« Der Jude Gaddul rief also gleichzeitig seinen Gott Jahu (= Jahwe) und den ägyptischen Schöpfergott an.
Über mehrere Generationen lebten Juden in Elephantine. Zu den bereits von Rubensohn gefundenen Papyri gehört auch das Archiv der jüdischen Gemeinde aus der Zeit 494 bis 399 v. Chr., als Ägypten unter persischer Herrschaft stand. Zwei Papyri sind außergewöhnlich. Jedaniah, Vorsteher der jüdischen Gemeinde, schreibt am 25. November 407 v. Chr. ein Gesuch an den persischen Statthalter von Judäa. Er berichtet, dass die Chnum-Priester zusammen mit dem persischen Garnisonskommandanten drei Jahre zuvor den Jahu-Tempel auf Elephantine zerstörten. Petitionen an den Oberpriester in Jerusalem blieben unbeantwortet. Nun baten Priester und Bürger den Statthalter, dafür Sorge zu tragen, dass dieser wieder aufgebaut werde. Auch der Antwortbrief ist gefunden worden, in dem der Statthalter die Erlaubnis erteilt, »das Altarhaus des Gottes des Himmels ... wieder aufzubauen an seinem Platz, wie es vorher war«. Dieser Briefwechsel ist ungewöhnlich, ihn hätte es in dieser Form eigentlich gar nicht geben dürfen. Denn nach jüdischer Tradition gibt es nur ein »Haus des Herrn«, nämlich den Jahwe-Tempel auf dem Tempelberg in Jerusalem. Darüber hat man sich im religiös und kulturell bunten Elephantine offenbar hinweggesetzt. Vom ersten Tempel existieren nur noch wenige Mauerreste, der Neubau ist durch Ausgrabungen besser belegt.
Auch der zweite, kleinere Teil der Ausstellung im Neuen Museum ist sehr interessant. Ein großes Modell vermittelt einen Eindruck von der geografischen und geologischen Lage der Insel. Anschließend wird die mühselige Erforschung der Papyri und das bereits erwähnte ERC-Projekt vorgestellt. Zum Abschluss kommt das internationale Expertenteam per Videos zu Wort. An einer interaktiven Station kann der Besucher sich selbst auf die Suche und Entschlüsselung von Handschriften begeben.
»Elephantine. Insel der Jahrtausende«, James-Simon-Galerie und Neues Museum auf der Museumsinsel, Berlin; bis 27. Oktober; Di. bis So. 10–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr, Eintrittvorteilspreise zwischen 9 und 10 Uhr und ab 17.30 Uhr Di. bis Sa. 12 € (statt 16 €), erm. 6 € (statt 8 €); Katalog von Kadmos (392 S., br., 54,80 €)
https://elephantine.smb.museum
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.