Tarifstreit an Klinikum: Gute Basis für Entlastung

Beschäftigte der Medizinischen Hochschule Hannover streiken für Tarifvertrag

Streik für Entlastung: Mit beteiligungsorientierten Ansätzen hat Verdi eine breite Basis an der Medizinischen Hochschule Hannover aufgebaut.
Streik für Entlastung: Mit beteiligungsorientierten Ansätzen hat Verdi eine breite Basis an der Medizinischen Hochschule Hannover aufgebaut.

Die Landesregierung und die Klinikumsleitung hatten versucht, den Streik abzuwenden, doch ihre Bemühungen blieben erfolglos: Am Montag legten rund tausend Beschäftigte der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) für drei Tage die Arbeit nieder. Sie fordern einen sogenannten Entlastungstarifvertrag. Der soll laut Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen bedarfsgerechten Personalschlüssel, einen Belastungsausgleich durch freie Tage sowie Verbesserungen bei der Ausbildungsqualität festschreiben.

»Es gab noch nie einen so erfolgreich geführten Streik hier«, sagt Lars Loepert, Medizintechnologe für Radiologie an der MHH, im Gespräch mit »nd«. Das zeige, wie notwendig die Entlastung ist. An der MHH arbeiten laut Klinikumsangaben knapp 8500 Festangestellte, von denen aber nur ein Teil vom Tarifvertrag erfasst würde. Von den betreffenden Berufsgruppen seien über 50 Prozent der Beschäftigten an der Bewegung beteiligt, betont Loepert.

»Wir haben uns für einen basisdemokratischen Weg entschieden.«

Friederike Garske Verdi-Tarifkommission

Dass die Beteiligung so hoch ist, hat auch mit dem strategischen Ansatz von Verdi zu tun. Mit beteiligungsorientierten Konzepten wurden sukzessiv die verschiedenen Bereiche des Klinikums erschlossen, über 130 an der Zahl, wie es heißt. Die haben rund 250 Teamdelegierte gewählt, die mit den Beschäftigten an der Basis über die Forderungen der Gewerkschaft diskutieren. »Wir haben uns für einen basisdemokratischen Weg entschieden«, sagt Friederike Garske. Sie ist Ergotherapeutin an der MHH und Mitglied in der Verdi-Tarifkommission. »Es war uns wichtig, die Belastung aller Mitarbeitenden abzubilden. Dafür haben wir sie befragt und mit ins Boot geholt.«

Die Klinikumsleitung zeigte zwar Verständnis für die Anliegen der Beschäftigten. »Wir haben immer gesagt, dass wir auf jeden Fall zu Entlastungsmaßnahmen kommen wollen«, sagt die Sprecherin der MHH, Inka Burow, im Gespräch mit »nd«. Doch den Streik selbst sieht man kritisch. »Wir hatten einen erheblich reduzierten Betrieb«, sagt Burow. Mehr als die Hälfte der OP-Säle sei geschlossen worden; zahlreiche Betten hätten nicht belegt werden können.

Obwohl sich im Vorfeld des Streiks alle Seiten verhandlungsbereit zeigten, gibt es unüberbrückbare Differenzen mit Blick darauf, wie die Entlastung geregelt werden soll. Der Hauptstreitpunkt: Verdi verlangt einen Tarifvertrag. Das lehnen Klinikumsleitung und der niedersächsische Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD) ab. Weil die MHH eine Dienststelle des Landes Niedersachsen ist, spielt er in den Verhandlungen eine wesentliche Rolle. Mohrs erklärte, ein Tarifvertrag Entlastung sei mit der Satzung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) nicht vereinbar. Das ist der zuständige Arbeitgeberverband, dem auch das Land Niedersachsen angehört.

Doch stimmt das? Laurens Brandt, wissenschaftlicher Referent für Arbeitsrecht am gewerkschaftsnahen Hugo-Sinzheimer-Institut (HSI), widerspricht: Tarifverträge und sonstige Vereinbarungen seien mit Zustimmung der Mitgliederversammlung möglich. »Das Land Niedersachsen könnte auf einen Beschluss hinwirken, der ihm eigene Tarifverhandlungen erlaubt«, erklärt er auf Anfrage.

Das Land scheint auf einen solchen Beschluss indes nicht hingewirkt zu haben. Erst kürzlich sei diese Beschlusslage »aus Anlass der Forderungen nach einem Entlastungstarifvertrag an der MHH bekräftigt« worden, heißt es auf »nd«-Anfrage aus dem zuständigen niedersächsischen Finanzministerium. Damit habe der Verband deutlich gemacht, dass er »den Abschluss solcher Tarifverträge durch Mitglieder nicht tolerieren wird«.

Der Widerstand scheint weniger juristisch als politisch begründet zu sein: Die TdL wehrt sich seit Jahren gegen Bemühungen seitens der Gewerkschaften, Personalfragen über Tarifverträge zu regeln. Dass der Unwille so groß ist, hat damit zu tun, dass der Kampf um Entlastungstarifverträge die engen Grenzen des deutschen Tarifvertrags- und Streikrechts weiten könnte: Wenn die Personalplanung zum Gegenstand von Verhandlungen und Arbeitsniederlegungen wird, trifft das die Finanzierung des Gesundheitssystems. Die aber falle »unter die Budget- beziehungsweise Gesetzgebungshoheit der (Landes-)Parlamente« und würde nicht per Tarifvertrag geregelt, wie ein Sprecher der TdL auf Anfrage mitteilt.

Aufgekommen war die Forderung nach Entlastungstarifverträgen im Rahmen der Krankenhausbewegung. Nach der Charité in Berlin konnten vor zwei Jahren auch Klinikumsbeschäftigte in Nordrhein-Westfalen entsprechende Vereinbarungen durchsetzen. Dort entschied man aufgrund des Widerstands aus der TdL, aus dem Arbeitgeberverband auszutreten, damit die sechs Universitätskliniken einen eigenen Vertrag abschließen konnten. Für das Land Niedersachsen kommt das nicht infrage, betont Wissenschaftsminister Mohrs. Auch für Verdi wäre das ungünstig, weil dies den Flächentarifvertrag der TdL schwächen würde.

Um den Widerstand seitens des Arbeitgeberverbandes zu umgehen, hat die Landesregierung statt eines Tarifvertrags eine schuldrechtliche Vereinbarung vorgeschlagen. Diese wäre zwar auch rechtsverbindlich, erklärt Brandt vom HSI. Für die Beschäftigten folgte daraus jedoch keine ähnlich gute Rechtsdurchsetzung wie bei Tarifverträgen. Solche Vereinbarungen wirken nur zwischen den Parteien, die ihn schließen, in diesem Fall also Land, MHH und Gewerkschaft. »Somit könnte Verdi die Einhaltung des Vertrags verlangen, die einzelnen Mitglieder könnten dies aber nicht«, erklärt der Arbeitsrechtler. Tarifverträge verleihen dagegen den Mitgliedern selbst einklagbare Ansprüche. Das ist für Verdi entscheidend.

Ob sich Gewerkschaft, MHH-Leitung und das Land Niedersachsen bald auf eine Entlastung der Beschäftigten einigen können, ist also mehr als unklar. Die Gespräche über die Forderungen der Gewerkschaft haben am Dienstag begonnen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.