- Kultur
- Krieg oder Frieden
Prantl-Buch: Schmiermittel für den Krieg
Heribert Prantl betont: Um den Frieden zu gewinnen, ist der Gewalt abzuschwören
Es scheint einen neuen Generationenkonflikt zu geben: Die Älteren plädieren mit Blick auf den Ukraine-Krieg für Frieden, Verhandlungen und Kooperation; die Jüngeren dagegen überbieten sich in Forderungen nach mehr und besseren Waffen für die Ukraine, die »Zeitenwende« erscheint ihnen zwingend erforderlich angesichts der russischen Aggressivität und sie wollen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Heribert Prantl setzt schon mit dem Titel seines neuen Buches einen anderen Akzent: »Den Frieden gewinnen – die Gewalt verlernen«. Er schreibt ein engagiertes Lehrstück gegen den Krieg. Prantl, einst Redakteur der »Süddeutschen Zeitung« und Honorarprofessor für Jura an der Uni Bielefeld, ist inzwischen im Unruhestand. Er gehört also zu den Älteren, die wie Günther Verheugen, Klaus von Dohnanyi, Peter Brandt, Wolfgang Streeck oder Reiner Braun vor dem Schrecken des Krieges warnen und immer wieder Willy Brandt zitieren: »Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne Frieden nichts.«
»Die deutschen Panzer rattern am Grundgesetz vorbei, die deutschen Haubitzen schießen dort vorbei; sie töten aber gezielt.«
Heribert Prantl
Der Titel des Buches lässt ein Sachbuch erwarten, ein Buch über Militärblöcke, Rüstungsspiralen, Imperialismus, Aggression und Gegenaggression, über berechtigte und unberechtigte Interessen, die vielerorts diskutiert werden. Diese Erwartungen werden gewissermaßen positiv enttäuscht. Prantl liefert keine trockenen Fakten, sondern parteiische Literatur, indem er viele der großen Denker und Denkerinnen, die Position gegen den Krieg bezogen haben, zitiert, neu arrangiert, interpretiert und Lehren für die Gegenwart formuliert. Er packt die Bellizisten dort, wo sie meinen, stark zu sein: bei der wertebasierten Politik.
So diskutiert er die berühmte Unterscheidung Max Webers, die Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Erstere folgen, meinte Weber, einer ethischen Maxime, ohne die Auswirkungen zu bedenken, während Letztere die Verantwortung für die Folgen ihrer Handlungen übernehmen, entsprechend handelten, auch wenn sie damit gegen ethische Maximen verstießen. Das war auch die Vorwegnahme der Unterscheidung zwischen Realpolitik und Idealpolitik, die heute die außenpolitische Diskussion durchzieht. Seltsamerweise sind es heute die Realpolitiker – Offiziere wie Kujat –, die für Verhandlungen sind und den Siegfrieden für eine Illusion halten.
Prantl zeigt, dass sich Webers Unterscheidung gegen den Pazifismus richtete. Gesinnungsethiker waren für Weber »die Anhänger und Protagonisten der Novemberrevolution von 1918 – Kurt Eisner, auch Erich Mühsam und Max Levien, die ihn (Weber) noch kurz zuvor während einer anderen Rede mit lauten Zwischenrufen unterbrochen hatten. Er hat Dichter wie Gustav Landauer im Blick, die wenig später einflussreiche Posten in der Münchner Räterepublik einnehmen werden«. Prantl meint überdies, dass die Unterscheidung ziemlich unsinnig ist, indem er Webers Beispiel für Gesinnungsethik, die Bergpredigt, übernimmt und argumentiert: »Wie soll man die Gebote halten, wenn man der römischen Besatzung unterworfen ist? Wie soll man in dieser Situation der Ohnmacht und Wehrlosigkeit Widerstand gegen das Böse leisten und dem Unrecht Einhalt gebieten? Das ist die ethische Frage des Matthäus und seiner Gemeinde. Darauf versucht die Bergpredigt zu antworten. Das aber heißt: Sie ist nach Max Webers Maßstäben eine Verantwortungsethik von höchstem Anspruch. Sie bedenkt, wie man überhaupt noch die Gebote halten und Gutes tun kann, wenn man politisch kaum handlungsfähig und den Mächten des Imperiums ausgeliefert ist.« Es handele sich um »Ethik unter Lebensgefahr und im Ausnahmezustand«. Es sei Verantwortungsethik in der gegebenen Zeit das biblische Gebot »Auge um Auge, Zahn um Zahn« zurückzustellen und die andere Backe hinzuhalten.
In einem Kapitel schreibt Prantl allerdings tatsächlich ein Sachbuch, nämlich wenn es um das Verbot des Angriffskrieges im Grundgesetz geht. Die BRD darf sich nach Artikel 24 GG »einem System kollektiver Sicherheit« anschließen. Damit sei ursprünglich keineswegs ein Militärbündnis wie die Nato gemeint gewesen. Die Republik hatte die Lehren aus der Nazi-Barbarei gezogen und startete antimilitaristisch und ohne Armee, entsprechend wurde das Grundgesetz formuliert. Gemeint war nicht die Nato, sondern die Uno und ähnliche Sicherheitssysteme wie die OSZE. Prantl schreibt: »Zusammengefasst: Die Verfassungspraxis hat sich geändert, die Verfassung nicht. Die deutschen Panzer rattern am Grundgesetz vorbei, die deutschen Haubitzen schießen dort vorbei; sie töten aber gezielt.«
Das Buch beginnt mit einem Lied und gewissermaßen mit der Religion und es endet mit einem Lied und der Religion. Prantl beginnt mit einer Passage aus Leonard Cohens »Anthem«, wo es heißt: »There is a Crack, a crack in everything/ That’s how the light gets in/ you can add up the parts,/ but you won’t have the sum.« »Da ist ein Riss – ein Risss in allem.« Da ist ein Riss auch in der hoffnungslosen Kriegseuphorie, dem Bellizismus der Zeitenwende. Prantl ist ein pessimistischer Optimist, denn: »Echte Apokalyptiker sind im Gegensatz zu Vulgärapokalyptikern eben keine hoffnungslosen Weltuntergangspropheten. Sie sind Dialektiker.« Er endet mit John Lennons »Friedenshymne schlechthin«, mit Imagine: Imagines there’s no heaven/ It’s easy if you try/ No hell below us/ above us only sky.« Aber er beharrt: »Der Weg zum Frieden geht nicht über die Bekämpfung von Religion. Vielversprechender und klüger ist es, beides zu verstehen: das Gewaltpotenzial und das Friedenspotenzial der Religion. Ersteres gilt es zu zähmen, letzteres gilt es zu realisieren. Religion war so oft Schmiermittel für den Krieg. Sie so zu missbrauchen ist eine Todsünde, ein Kriegsverbrechen.«
Prantl hat einen Friedenstext verfasst, den zu lesen Spaß macht, der vergnüglich ist und lehrreich – er lässt nichts aus, was er aus den Tiefen seiner humanistischen Bildung zutage fördern kann und das ist viel.
Heribert Prantl: Den Frieden gewinnen – Die Gewalt verlernen. Heyne, 240 S., br., 20 €.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.