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Hamburger Schule: Bitte nicht dumm sein!

Die Hamburger Schule ist längst tot, jetzt wird kanonisiert: »Der Text ist meine Party« von Jonas Engelmann schaut zurück

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 4 Min.
Willkommen in der Hamburger Schule! Diese hier gibt es noch. Sie steht in Hamburg-Horn.
Willkommen in der Hamburger Schule! Diese hier gibt es noch. Sie steht in Hamburg-Horn.

Der Text ist meine Party« sang der damals 26-jährige Kristof Schreuf 1989 mit seiner Band Kolossale Jugend. Die Lieder dieses Quartetts waren damals etwas gänzlich Neues, im wahrsten Sinne des Wortes Unerhörtes: Nicht nur, dass die Band auf Deutsch textete – das machte man nach dem Ausverkauf des NDW mit Ausnahmen im Bereich des Deutschpunks aus Prinzip nicht mehr – sondern auch, wie sie auf Deutsch textete. Ihre erste Single war 1988 erschienen. Sie hieß »Kein Schulterklopfen« und war die erste offizielle Single des neuen Labels »L’Age D’Or«, das Chris Rautenkranz und Pascal Fuhlbrügge gegründet hatten. Vorher hatten sie unter diesem Namen eine Partyreihe mit neuen Bands aus Hamburg und Umland veranstaltet. Fuhlbrügge spielte auch Gitarre bei Kolossale Jugend.

Damit hatte Hamburg eine neue Musik und ein zweites Indie-Label, nachdem Alfred Hilsberg knapp zehn Jahre vorher mit »ZickZack« die bundesdeutsche Undergroundmusik neu justiert hatte. Ein weiteres entstand mit »Buback Tonträger«, gegründet von Mitgliedern der Goldenen Zitronen. Schon vor der Kolossalen Jugend war 1986 bei Hilsberg »Stand rotes Madrid« erschienen, das Debütalbum von Cpt. Kirk &. mit expressionistischen Texten in Deutsch-Englisch. Schreufs Texte bei der Kolossalen Jugend waren verrätselt, rastlos, aller Kantigkeit zum Trotz überraschend rhythmisch, dabei zugleich mehrdeutig, aufrüttelnd und politisch.

Was 1989 in Hamburg eine Ausnahme war, wurde fünf Jahre später zur Regel: Grund dafür war die sogenannte Hamburger Schule, zu der niemand sich so richtig dazu zählen wollte – schon gar nicht unironisch. Neben der Kolossalen Jugend galten vor allem Bands wie Tocotronic, Die Sterne, Goldene Zitronen, Blumfeld oder Die Braut haut ins Auge als Speerspitze der Szene. Der Begriff, der eine Nähe zur marxistischen Frankfurter Schule von Horkheimer und Adorno suggeriert, wurde erstmals in einem Bielefelder Fanzine benutzt und dann von Thomas Groß, dem damaligen Pop-Redakteur der »Taz«, popularisiert. »Popmusik darf nicht dumm sein!« lautete ein Werbeslogan von »L’Age D’or«. Spätestens ab Anfang der 2000er Jahre war der Hype um die Bewegung jedoch schon wieder verflogen. Ihre Spuren hat sie dennoch hinterlassen – im Guten wie im Schlechten.

Das zeigt ein kürzlich im Mainzer Ventil Verlag erschienenes Buch des Literaturwissenschaftlers und Verlegers Jonas Engelmann, das den Titel »Der Text ist meine Party« trägt. Darin verknüpft der Autor eigene und fremde biografische Erinnerungen mit historischen Einordnungen und theoretischen Überlegungen. Besonders spannend lesen sich dabei die O-Töne der damaligen Protagonist*innen wie Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Bernd Begemann, Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge), Christiane Rösinger (Lassie Singers), Carol von Rautenkranz, Jan Müller (Tocotronic) und vielen mehr. Das verwendete Material hat Engelmann aus einer Fülle an Quellen gespeist und im Stile einer Oral-History zusammengeführt. Das Ergebnis ist weniger eine stringente Chronik der Hamburger Schule als ein vielgestaltiges, mitunter auch widersprüchliches Mosaik.

In insgesamt 15 Unterkapiteln beleuchtet Engelmann verschiedene historische Pfade der Hamburger Schule: Über den Deutschpunk kommt er etwa auf das Fast-Weltweit-Label von Frank Werner aus Bad Salzuflen (nahe Bielefeld) um seinen Gründer Frank Werner zu sprechen, das – ähnlich wie die Kolossale Jugend – Mitte der 1980er Jahre mit Bands wie Jetzt!, Die Bienenjäger (Vorgängerband von Blumfeld) oder Der Fremde bereits Hamburger-Schule-Musik veröffentlichte, bevor es die Hamburger Schule überhaupt gab. Zu sprechen kommt Engelmann im Laufe des Buches zudem auf Aspekte wie die Rolle der Medien, die nicht unwesentlich zur Mythenbildung rund um die Szene beitrugen, Hamburg als Kulminationspunkt der Szene und die politischen Ansprüche ihrer Protagonist*innen.

Dabei wird auch die krasse Unterrepräsentation von Frauen innerhalb der Szene thematisiert – wobei hier zu Recht die Frage aufgeworfen wird, ob es tatsächlich so wenige Frauen in der Szene gab, oder ob sie einfach nur weniger Beachtung fanden. Beides spricht in diesem Falle nicht gerade für die Szene, die sich mit männlichen Protagonisten wie Dirk von Lowtzow (Tocotronic), Jochen Distelmeyer oder Frank Spilker (Sterne) doch eigentlich implizit auf die Fahnen geschrieben hatte, alte Geschlechterstereotype zu konterkarieren und die chauvinistisch-patriarchalen Strukturen der eigenen Elterngeneration zu durchbrechen.

Kenntnisreich führt Engelmann durch die verschiedenen Kapitel des Buches und erweist sich dabei einmal mehr als Experte für Abseitiges. Das Buch unterstreicht: Die Hamburger Schule mag als sozialer Kontext tot sein – ihre Musik, die von ihr aufgeworfenen Fragen und nicht zuletzt das Interesse an ihr sind es noch lange nicht.

Jonas Engelmann: Der Text ist meine Party. Eine Geschichte der Hamburger Schule. Ventil, 246 S., 25 €.

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