»7 1/2 Brücken« am Hans-Otto-Theater: Ich fühl mich Brandenburg

Jan Neumann entwirft mit »7 1/2 Brücken« am Hans-Otto-Theater ein Potsdam-Porträt

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Soldatenstadt an der Havel setzt sich in Szene.
Die Soldatenstadt an der Havel setzt sich in Szene.

Wenn man am letzten Samstag, vom Hauptbahnhof kommend, mit der Tram zum Hans-Otto-Theater fuhr, kam man an einer dicht gedrängten Reihe Übertragungswagen vorbei. Das äußerlich wiederaufgebaute Stadtschloss, der Sitz des Landtags, mit dem nur halb-cleveren Spruch »Ceci n’est pas un château« (Dies ist kein Schloss) darauf wirkte durch diese Belagerung enorm aufgewertet, wie ein Ort, an dem tatsächlich Politik gemacht wird, nicht nur wie der erste Anlaufpunkt für Touristen. Auf diese am Rockzipfel Berlins hängende, von seiner längst vergangenen Geschichte lebenden, wunderschönen und dabei ereignisarmen Stadt an der Havel würde morgen also die ganze Republik schauen, dachte man ein bisschen erstaunt und fragte sich, wie das Theater darauf reagieren würde.

Premieren, die in zeitlich enger Nähe zu einem Wahltag stattfinden, stehen unter besonderer Beobachtung. Natürlich gibt es Zufälle und dispositionelle Zwänge, letztlich aber kommt man nicht umhin, in einer solchen Aufführung auch eine Antwort des Hauses auf die Wahl und die sie bestimmenden Themen zu vermuten. Im Fall des Stücks »7 ½ Brücken« von Autor und Regisseur Jan Neumann fällt die Antwort nicht ganz eindeutig aus.

Er hat ein »Potsdam-Porträt« erarbeitet, einen lockeren Szenenreigen, in dessen Verlauf das neunköpfige Ensemble mit viel Musik und Klamauk die Geschichte und Gegenwart der Stadt präsentiert. Dabei geht es hin und wieder auch um politische Themen. In einer Szene ereifert sich Jörg Dathe als cholerischer Familienvater über seinen Sohn, einen Potsdamer Studenten, der es doch tatsächlich gewagt habe, sich als stolzer Preuße zu bezeichnen.

Über diese ironische Bemerkung des jungen Mannes bricht die Familie in durchaus unterhaltsamem Geschrei auseinander. Zurück bleibt der weiterhin wütende Vater, der vehement an den »Tag von Potsdam« im März 1933 erinnert, als Reichspräsident Paul von Hindenburg dem Reichskanzler Adolf Hitler vor der Garnisonkirche die Hand schüttelte und diesem damit medienwirksam seinen Segen gab. Preußen und Faschismus fanden in diesem Gotteshaus zueinander, von dem seit diesem Jahr wieder der Kirchturm steht. Mit Dathes wütenden Monolog gegen die Geschichtsvergessenheit kommt der Abend einer Reaktion auf die Wahl am folgenden Tag am nächsten, wenn nicht sogar einer Wahlempfehlung. Rechte Politiker sollten im Stadtschloss, in Sichtweite dieses Turms, keinen Platz haben. So kann man den Monolog zumindest verstehen.

Noch in weitere Szenen schleicht sich eine wohldosierte politische Haltung mit hinein. Etwa wenn sich Paul Wilms als Langer Kerl in Diensten der preußischen Armee in eine Wutrede über Potsdam und seine Bevölkerung hineinsteigert: »Ihr habt keine Kultur! Ihr habt keinen Humor! Ihr seid null originell, alles zusammengeklaut aus dem Ausland! Nichts Eigenes! Die Soldaten, die Häuser, alles geklaut und kopiert! Und dann auch noch stolz drauf!«

In Anspielung auf das Treffen von Rechtsextremisten im November des letzten Jahres, bei dem Pläne für eine sogenannte »Remigration« diskutiert wurden, ist das keine schlechte Spitze. Auch weil sie eher dezent gesetzt ist und auch auf einer ganz anderen Ebene ihre Wirkung entfaltet.

Denn meist weicht der zweieinhalbstündige Abend einer detaillierten Betrachtung von Politik aus, wie er ohnehin eher tastend voranschreitet. Auf der von einer großen Brücke dominierten Drehbühne präsentiert das Ensemble nicht eigentlich ein abgeschlossenes »Potsdam-Porträt«, es versucht sich vielmehr an einem Entwurf. Immer wieder fallen sich die Spieler ins Wort, fordern in ihren Rollen als Beamter, als Havel, als NVA-Soldat oder Stummfilmstar (Babelsberg!) eine Änderung des Ablaufs und kämpfen jeweils um ihre große Szene.

Jan Neumann entwickelt seine Texte meist zusammen mit den Schauspielern auf den Proben. Für dieses Stück ist das eine geeignete Arbeitsweise, weil Identität sich so als prekäres, offenes und ungewisses Konzept erweist. Zumal im Fall der Stadt Potsdam und ihrer Bevölkerung, die, so klingt es immer wieder an, geradezu zermalmt wird von der Armee, den Königen und Kaisern, dem Staat, überhaupt von der Historie.

Am Ende des Abends diskutieren Angehörige der Hausbesetzerszene aus den 90ern über ihre damaligen Abenteuer und ihr Vermächtnis. Parallel streiten zwei Schwestern über das Stadtbild, über den Wiederaufbau von Preußen zu Ungunsten von DDR-Bauten. Die eine weiß der DDR-Architektur Positives abzugewinnen, die andere will möglichst alles abgerissen sehen, damit Potsdam wieder seine alte Mitte zurückerhält, damit wieder Ordnung einkehrt. Die Geschichte, so scheint es, ist über sie alle hinweggegangen. Auch daraus, aus dieser historischen Haltlosigkeit, folgt die an diesem Abend spürbare Ungewissheit, was es bedeutet, Potsdamer und Brandenburger zu sein. Eine Ungewissheit, die womöglich auch ihren Einfluss auf das Wahlergebnis des nächsten Tages gehabt haben dürfte.

Nächste Vorstellungen: 28. September, 4. und 13. Oktober
www.hansottotheater.de

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