Berliner Charité: Alleingelassen am Krankenbett

Studierende im Praktischen Jahr klagen über Missstände an der Charité

Viele Studierende im Praktischen Jahr fühlen sich an der Charité alleingelassen.
Viele Studierende im Praktischen Jahr fühlen sich an der Charité alleingelassen.

Zu Beginn des Monats rüttelte eine Recherche die Berliner Gesundheitspolitik auf: RTL und »Stern« deckten Missstände an der Charité auf. Patienten würden nur unzureichend versorgt, warfen der Fernsehsender und das Nachrichtenmagazin dem größten Berliner Krankenhaus vor. Vor allem aber zeigte die Investigativrecherche, dass die Arbeitsbedingungen für Studierende im Praktischen Jahr von vielen Betroffenen als katastrophal eingeschätzt werden. Die Betreuung durch Ärzte weise große Lücken auf, weil die Ärzte häufig an anderen Stellen eingebunden seien, so ein Vorwurf. Viele Behandlungen würden daher ohne ärztliche Aufsicht durchgeführt. Das Praktische Jahr absolvieren Medizinstudierende in der Endphase ihres Studiums. Hier sollen sie das im Studium Gelernte engmaschig betreut in der Praxis anwenden.

An den RTL-Berichten gab es auch Kritik. Die Journalisten hätten sich unter falschen Angaben als Pflegepraktikanten an der Charité eingeschleust und dort ohne Erlaubnis der Betroffenen Filmaufnahmen gemacht. »Das ist eine klare Grenzüberschreitung«, sagt Charité-Vorstand Heyo Kroemer am Montag vor dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. Man sei zwar offen für Kritik, doch den Journalisten fehlten Grundkenntnisse der Arbeitsabläufe in Krankenhäusern. Die Charité überlege nun über »weitere kommunikative und rechtliche Schritte«.

»Es ist traurig, dass es eine RTL-Reportage gebraucht hat, um über das Problem nachzudenken«, sagt dagegen Alexandra Archodoulakis. Die heutige Ärztin war lange Zeit in der Fachschaftsinitiative der Medizinstudierenden tätig. Bei aller methodischen Kritik hätte die Recherche doch vielen Absolventen des Praktischen Jahres aus der Seele gesprochen. »Das Praktische Jahr soll eigentlich eine Brücke zum Berufseinstieg bilden«, sagt sie. Dieses Ziel werde aber oft verfehlt. »Viele sind nach dem Praktischen Jahr demotiviert«, ist ihr ernüchterndes Fazit. Manche überlegten danach sogar, gar nicht mehr ärztlich tätig sein zu wollen.

Diesen Eindruck teilt auch Peter Bobbert, Berliner Landesvorsitzender der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. »Wir sehen eine große Unzufriedenheit mit dem Praktischen Jahr«, sagt er. Eine interne Befragung des Marburger Bunds habe gezeigt, dass gerade einmal 9,5 Prozent der befragten Studierenden die Charité weiterempfehlen würden. Grund für die Betreuungsdefizite sei eine zu dichte Arbeitszeitplanung. »Man kann als Arzt nicht nebenbei noch in der Ausbildung tätig sein«, sagt Bobbert. »Es braucht eine transparente Gestaltung der Arbeitszeit.«

Charité-Vorstand Heyo Kroemer sieht die Befragung des Marburger Bunds als nicht repräsentativ an. »Die überwiegende Mehrheit fühlt sich an der Charité wohl beziehungsweise sehr gut«, sagt er. Das hätte eine eigene Erhebung der Charité unter den Absolventen des Praktischen Jahres gezeigt. Man wolle trotzdem Verbesserungen vornehmen: Künftig sollen »PJ-Koordinatoren« die Betreuung sicherstellen und eine »PJ-Kommission« das Ausbildungskonzept evaluieren.

Selbst bei besserer Betreuung bleibt für viele Studierende im Praktischen Jahr aber noch ein monetäres Problem: Das Praktische Jahr wird an der Charité nicht vergütet. In anderen Bundesländern erhalten die Studierenden dagegen im Schnitt eine Aufwandsentschädigung von 400 Euro. »Wer Unterstützung von seinen Eltern erhält, hat einen Ausbildungsvorteil«, beklagt Ex-Studierendenvertreterin Alexandra Archodoulakis. Etwa die Hälfte würde neben der Vollzeittätigkeit an der Charité daher noch einen Nebenjob machen, um sich über Wasser zu halten. Charité-Chef Kroemer verweist dagegen darauf, dass die Studierenden im Praktischen Jahr Bafög erhalten können.

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