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Sicherheitsgesetze: »Ein sicherheitsbehördlicher Supergau«
Experten zerpflücken Entwürfe für neue Sicherheitsgesetze der Bundesregierung
Schon kurz nach dem wahrscheinlich islamistisch motivierten Anschlag von Solingen vor einem Monat hat die Ampel-Koalition ein umfassendes Sicherheitspaket beschlossen. Mit dem Sicherheitspaket werden einerseits zahlreiche Befugnisse von Sicherheitsbehörden ausgedehnt. Ein anderer Schwerpunkt des Vorhabens ist die Einschränkung der Rechte von Geflüchteten. Im Bundestag wurde erstmals vor knapp zwei Wochen über das Gesetz debattiert. Am Montag folgte eine Anhörung von Expert*innen aus Behörden, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Viele äußerten massive Kritik an den Vorhaben der Bundesregierung.
Besonders prägnant kritisiert Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Universität Bremen, das Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung. Der Gesetzentwurf will dem Bundeskriminalamt (BKA) zahlreiche neue Kompetenzen geben. Unter anderem soll es Daten aus dem Internet nach biometrischen Daten absuchen können. Auch erweiterte Analysemöglichkeiten soll das BKA bekommen. Kipker befürchtet, dass das BKA sich hier eine umfassende Datenbank zusammenstellen kann, ohne dass ursprüngliche Zweckbindungen eingehalten werden. Der Bremer Professor warnt vor einer »Vorfeldzusammenführung« zahlreicher Datensätze. In dem, was die Regierung plant, sieht er einen »sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau«, gegen den die seit 20 Jahren umstrittene Vorratsdatenspeicherung »wie ein Spaziergang« wirke. Bei der Vorratsdatenspeicherung sei es immerhin nur um Verkehrsdaten gegangen, jetzt gehe es um biometrische Daten, die auch noch mithilfe künstlicher Intelligenz verarbeitet werden sollen.
Dennis-Kenji Kipker hält den ganzen Gesetzesvorstoß für »unüberlegt und unausgereift«. Er vermutet, dass das Gesetz bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung wegen seiner fehlenden Verhältnismäßigkeit durchfallen werde. Erstsemester-Jurastudent*innen könnten erkennen, was bei dem Gesetz alles fragwürdig sei. Es sei »höchst bedauerlich«, dass mal wieder die Zivilgesellschaft mit einem Gang nach Karlsruhe die Rechtmäßigkeit des Gesetzes überprüfen werden müsse.
»Das ›Sicherheitspaket‹ der Ampel wird keine Sicherheit für die Menschen bringen, es ist vielmehr ein Unsicherheitspaket.«
Clara Bünger Bundestagsabgeordnete Die Linke
Die Bundesdatenschutzbeauftragte, Louisa Specht-Riemenschneider, bedauerte, bei so »gewichtigen« Gesetzänderungen nicht im Vorfeld von der Bundesregierung einbezogen worden zu sein. In der Anhörung erklärte sie, dass die Polizei natürlich »sinnvolle Werkzeuge« brauche, die Grundrechte aller betroffenen Personen aber auch gewahrt bleiben müssten. Specht-Riemenschneider befürchtet, dass mit den Sicherheitspaketen Grundlagen für intensive Eingriffe in Grundrechte geschaffen werden. Sie hält etwa die Normen für den Einsatz von Gesichtserkennungssoftware für zu unscharf formuliert. Auch die Zusammenführung von Daten in Super-Datenbanken bei BKA und Bundespolizei hält sie für gefährlich.
Organisationen wie Pro Asyl und der Paritätische Gesamtverband kritisieren vor allem die asyl- und aufenthaltsrechtlichen Änderungen in den Sicherheitspaketen. In der Stellungnahme des Paritätischen heißt es etwa zum Ausschluss sogenannter »Dublin-Fälle« von jeglichen Sozialleistungen, dass dieser die »Obdachlosigkeit und Verelendung potenziell Tausender Menschen zur Erreichung
migrationspolitischer Ziele in Kauf« nehme. Außerdem verstoße das Vorhaben sowohl gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und europäische Vorgaben. Auch die erleichterte Möglichkeit, Menschen den Flüchtlingsstatus abzuerkennen, kritisiert der Wohlfahrtsverband. Dass auch Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht dafür nun eine stärkere Rolle spielen sollen, konterkariere den »präventiven und erzieherischen Zweck dieser besonderen Form des Strafrechts«. Pro Asyl kritisiert besonders den Ausschluss Geflüchteter von Sozialleistungen. Die Organisation hält diesen Vorstoß für verfassungswidrig.
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Es hätte also genug zu besprechen gegeben, bei der Ausschusssitzung im Bundestag. Terminiert war sie am Montag von 12 bis 15 Uhr. Doch gegen 14:45 Uhr beendete der stellvertretende Ausschussvorsitzende Lars Castellucci (SPD) die Sitzung. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger hatte zu diesem Zeitpunkt noch Fragen und erklärte, diese stellen zu wollen. Ihr Mikrofon wurde abgestellt, die Sitzung beendet. In den sozialen Medien gab es darüber Aufregung. Castelluccis Erklärung am Dienstag: Bünger gehöre keiner Fraktion, sondern nur einer Gruppe an. Sie durfte nur in der ersten Fragerunde der Abgeordneten mitmachen. Mitgeteilt wurde das Bünger nach eigenen Angaben nicht. Dieser Modus sei hinter verschlossenen Türen beschlossen worden. Zu den Vorhaben hat die Linke-Bundestagsabgeordnete trotz fehlender Nachfrage eine deutliche Meinung: »Das ›Sicherheitspaket‹ der Ampel wird keine Sicherheit für die Menschen bringen, es ist vielmehr ein Unsicherheitspaket. Es beinhaltet schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die so zahlreich und komplex sind, dass es kaum möglich ist, die Konsequenzen zu überblicken.«
Alleine ist die Oppositionsabgeordnete damit nicht. SPD-Mitglieder, darunter auch Bundestagsabgeordnete, veröffentlichten am Dienstag einen Offenen Brief mit dem Titel »Eintreten für Würde: Menschenrechte wahren, Asylrecht verteidigen, sozialdemokratische Werte leben!«. Darin beklagen sie, mit dem Versprechen von Grenzschließungen würde man »rechte Fantasien reproduzieren«. Die Sozialdemokrat*innen in der Bundesregierung sollten sich für eine humane Asylpolitik einsetzen und internationale Solidarität achten. Am Dienstagnachmittag hatten über 1500 SPD-Mitglieder unterzeichnet.
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