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Deutsche Krebshilfe: Weg vom Stigma, hin zur Prävention
Die Deutsche Krebshilfe kämpft seit 50 Jahren für eine bessere Patientenversorgung
Die Bundespräsidentschaft von Walter Scheel (FDP) Mitte der 70er Jahre wird vielen nicht mehr in Erinnerung sein. Manche haben vielleicht die Einspielung des Liedes »Hoch auf dem gelben Wagen« durch den Karnevalsfreund Scheel im Ohr. Scheels Frau Mildred könnte mit der Gründung der Stiftung Deutsche Krebshilfe 1974 mehr Spuren hinterlassen haben.
Die Medizinerin und Radiologin wählte sich als öffentliche Aufgabe in ihrer Rolle als Gattin des Bundespräsidenten die Bekämpfung von Krebserkrankungen. Bemerkenswert dabei ist, dass ihre Organisation von Anfang an auf Steuergelder und Spenden der Pharmaindustrie verzichtete. Viel mehr machte sie sich einen Namen damit, dass sie offen und frei über onkologische Erkrankungen sprach, insbesondere über Prostata- und Unterleibskrebs. Neben diesem Tabubruch gewann sie auch die Ärzteschaft, regte wissenschaftliche Tagungen an und war unermüdliche Spendensammlerin für die Krebshilfe.
»Früher mussten Betroffene alles still über sich ergehen lassen, heute sind sie an vielen Prozessen mitbeteiligt.«
Maria Haß Sozialpädagogin und Stoma-Patientin
An diesem Mittwoch begeht die Deutsche Krebshilfe ihren 50. Geburtstag. Seit der Gründung der Stiftung wurden insgesamt 3,5 Milliarden Euro für deren Zwecke gespendet. Die Bilanz anlässlich des Jubiläums umfasst bedeutende Fortschritte in der Onkologie und bei der Versorgung von Patienten. Seit 2021 ist die Violinistin Anne-Sophie Mutter Präsidentin der Stiftung Deutsche Krebshilfe. Die Musikerin erinnerte sich auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin an die Erfahrungen mit der Krebserkrankung ihres ersten Mannes in den 90er Jahren. Damals sah das Paar kaum Möglichkeiten, öffentlich über die Krankheit zu sprechen. »Die Kommunikation war noch sehr unbeholfen«, sagte Mutter, die damals hochschwanger war. Jeder, der mit der Krankheit zu tun habe, wünsche sich »Ärzte auf Augenhöhe, die sich empathisch zeigen«.
Inzwischen wurden unter anderem die Vorsorgeuntersuchungen verbessert. Vermutlich würde monatelanger Husten eines Nichtrauchers auch nicht mehr so lange unterschätzt, wie das Mutter und ihre Partner noch erfahren mussten. Die fortschreitende Entstigmatisierung, so die Präsidentin der Stiftung, wirke heute für alle Kranken und ihre Familien. Zu diesem öffentlichen Umgang kommen aber auch Fortschritte bei den Therapien und ein rapider Anstieg von Forschungsresultaten, bis hin zu Impfungen gegen Krebserkrankungen.
Während vor 50 Jahren nur jeder vierte Betroffene überlebte, sind das heute die Hälfte der Menschen mit einer Krebsdiagnose, bei Kindern und Jugendlichen sogar 82 Prozent. »Zudem können Patienten auch mit Krebs und einer guten Lebensqualität noch einige Zeit weiterleben«, fasst Gerd Nettkoven, Vorstand der Krebshilfe, den Stand der Dinge zusammen. Die Förderung durch die Stiftung war und ist einerseits auf einzelne klinische Studien gerichtet oder auf Stipendien für Onkologen. Andererseits wurden Projekt aufgelegt, wie 1983 die erste deutsche Krebs-Palliativstation für Menschen am Lebensende an der Kölner Universitätsklinik, die die Versorgung vielfältiger ausrichtete. Auch die Psychoonkologie, mit deren Hilfe Erkrankte mit ihren Ängsten aufgefangen werden, wurde von der Stiftung auf den Weg gebracht.
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Maria Haß berichtet darüber, wie sich die Einbeziehung der Patienten über die Jahre verbessert habe. Sie engagiert sich schon länger bei der Deutschen Ilco, einer Selbsthilfevereinigung für Stomaträger und Menschen mit Darmkrebs und deren Angehörige. Ein Stoma ist eine operativ geschaffene Körperöffnung zu einem Hohlorgan, etwa zum Darm. Haß erzählt, wie wichtig es für Krankenhauspatienten mit einem frischen Stoma ist, wenn im Rahmen des Besuchsdienstes Menschen zu ihnen kommen, die mit eben diesem Hilfsmittel seit Jahren leben. »Früher mussten Betroffene alles still über sich ergehen lassen, heute sind sie an vielen Prozessen mitbeteiligt«, sagt die Sozialpädagogin. Das beginne bei der Information der Patienten oder wenn sie befragt würden, häufiger arbeiteten sie bereits an den Fragebögen mit. Oder sie würden für die Patientenvertretung geschult. Im Einzelnen sollten die Erkrankten über den eigenen Therapiepfad mitentscheiden, alles Anliegen, die von der Krebshilfe unterstützt werden.
Bei der hochwertigen Versorgung in der Fläche hat die Krebshilfe mit der Initiierung und Förderung spezialisierter Zentren, den Comprehensive Cancer Centers (CCCs), ebenfalls Pionierarbeit geleistet. In den Zentren werden die Patienten nicht nur auf höchstem Niveau versorgt, sondern auch Innovationen in die Praxis gebracht. Schon jetzt werden jedes Jahr etwa eine Viertel Million Patienten an diesen 26 universitären Standorten in 14 Krebs-Spitzenzentren behandelt.
Die anstehende Krankenhausreform könnte den Prozess in diese Richtung noch voranbringen, hofft Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor einer Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Ulm. Die Herausforderung sei die gute Versorgung in der Fläche. Mit den CCC gemeinsam müssten Netzwerke gebildet werden, mit deren hohen Standards und für jeden Patienten erreichbar.
Ein großes Zukunftsthema ist die Vermeidung von Krebs. Zu diesem Zweck entsteht jetzt in Heidelberg ein einzigartiges Krebspräventionszentrum durch die Unterstützung mehrerer Stiftungen, unter anderem der Krebshilfe. »Prävention ist ganz einfach, und ganz schwierig«, erklärt Seufferlein, der unter anderem den Fachausschusses »Krebsprävention und -früherkennung« der Deutschen Krebshilfe leitet. Bedauerlich findet der Mediziner, dass mit dem Bewegungsmangel von Kindern Muster geschaffen werden, die das ganze Leben lang wirken. Neben der Entwicklung von Früherkennungsmethoden, wie etwa Krebstests aus Patientenblut, sollten alle Möglichkeiten für wirksame Prävention genauer unter die Lupe genommen werden.
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