- Wirtschaft und Umwelt
- Vernachlässigte Krankheiten
Raubwanzen bringen den Chagas-Erreger
Eine frische Chagas-Infektion lässt sich behandeln – wird sie übersehen, kann es Folgekrankheiten geben
Blutsaugende Raubwanzen wirken schon dem Namen nach wie eher unangenehme Zeitgenossen. In Mittel- und Südamerika lebende Vertreter dieser Art haben zudem die Eigenschaft, dass sie über ihren Kot die Chagas-Krankheit übertragen. Das Reservoir des entsprechenden Parasiten, des Einzellers Trypanosoma cruzi, sind diverse Tiere, teils freilebend (Gürteltiere, Faultiere), teils mit dem Menschen verbunden wie Hunde und Katzen.
Mittlerweile gehören Menschen ebenfalls zu diesem Reservoir. Weltweit wird mit sieben Millionen chronisch Infizierten gerechnet, und zwar deutlich über Amerika hinaus. Da sich weiterhin nicht wenige deutsche Touristen in Staaten des Doppelkontinents auf die Reise machen, gelangte das Thema Chagas auf die Tagesordnung des Forums Reisen und Gesundheit Ende vergangener Woche am Rande der Tourismusmesse ITB in Berlin.
Besonders für Reisen in ländliche Gebiete Mittelamerikas gilt: Obacht bei Übernachtung in einfachen Unterkünften, etwa mit Lehm- oder Strohwänden oder mit Palmblattdächern. Hier verstecken sich nämlich die Wanzen in den Ritzen der Häuser und gehen nachts auf Blutsuche, wie Thomas Zoller erklärt. Der Lungenarzt leitet eine Forschungsgruppe im Fächerverbund Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin der Charité Berlin. Übertragen wird der Chagas-Erreger durch Wanzenkot. In den menschlichen Körper gelangt der Einzeller, wenn mit den Händen Schleimhäute berührt werden oder auch indirekt über Nahrungsmittel, in die wiederum die Wanzen geraten sind. Das können frisch gepresste Fruchtsäfte oder Zuckerrohrsaft sein.
Laut Zoller zählt Chagas »zu den typischen vernachlässigten Krankheiten, mit denen sich insbesondere ärmere Menschen anstecken«. Aber sowohl die Raubwanzen – über Migration, Tourismus und Handel – als auch infizierte Menschen sind weltweit unterwegs. Da die Infektion lebenslänglich besteht, kann sie später wieder reaktiviert werden. Immerhin bleiben nach einer Ansteckung in der Kindheit zwei Drittel der Betroffenen lebenslang ohne Beschwerden. Diese können dann auch den Erreger weitergeben, zum Beispiel mit einer Blut- oder Organspende oder bei Frauen über die Schwangerschaft.
Hochgerechnet tragen vermutlich zwei bis drei Prozent der Menschen, die aus Lateinamerika nach Europa gekommen sind, den Einzeller. Etwa bei Blutspenden sollte diesem Personenkreis hierzulande systematisch ein Test auf die Erreger angeboten werden, was in anderen europäischen Ländern schon üblich ist, meinen Wissenschaftler. Für möglicherweise von der Krankheit betroffene Menschen in Deutschland gibt es das Chagas-Netzwerk Elcid, das kostenlos berät, testet und behandelt.
Eine Therapie ist bei frischer Ansteckung noch möglich. Treten unspezifische Symptome, darunter Erkrankungen des Herzens wie Herzschwäche oder Störungen des Magen-Darm-Traktes später im Leben auf und lassen sich auf Trypanosoma cruzi zurückführen, ist der Infektion nicht mehr beizukommen, wohl aber den Folgekrankheiten.
Da es keine Impfung gegen Chagas gibt, sollten Reisende in Schlafbereichen Moskitonetze verwenden und gut auf eine körperferne Befestigung achten. Zoller wirbt aber auch dafür, Chagas im Kontext allgemeiner Reiserisiken zu sehen und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Wer etwa als Entwicklungshelfer oder für ein Praktikum in die Region reist, sollte informiert werden, meint der Mediziner: »Es ist wichtig, die herauszufinden, die beraten werden müssen.« Betroffen sein könnten auch Rucksackreisende, die in Dörfern oder auf Campingplätzen von Südamerika bis in den Süden der USA unterwegs sind.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.