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Toxische Liebe: Seine Hände um meinen Hals
»Die schönste Version« von Ruth-Maria Thomas erzählt von einer gewaltvollen Beziehung und damit auch vom Frausein
Jella hatte sich das alles anders vorgestellt. Sie und Yannik hätten die große Liebe sein können. Eine idyllische Beziehung in einer großen Altbauwohnung, mit Minze auf dem Fensterbrett und befreundeten Paaren, die zum Dinner kommen. Stattdessen sitzt Jella in ihrem alten Kinderzimmer und spürt ihren Magen und ihren Hals, da, wo Yannik sie geboxt und gewürgt hat. Yannik Brenner ist jetzt der, dessen Namen sie bei der Polizei gemeldet hat, wegen häuslicher Gewalt.
Die 1993 in Cottbus geborene Ruth-Maria Thomas war als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe tätig. Dann studierte sie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und landete nun mit ihrem Debütroman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises: »Die schönste Version« handelt von einer gewaltvollen Beziehung und der Frage, wie man da überhaupt reingeraten konnte.
Ostdeutschland in den 1990er Jahren. Jellas und Yanniks Beziehung ist längst gekippt, in eine Spirale aus Provokationen und Aufstachelungen. Die tiefe Verbundenheit vom Anfang finden sie nur noch im Streit, wenn er ihr die Luft abschnürt und sie sich danach keuchend in den Armen liegen. Dann aber eskaliert ein Streit besonders, er würgt sie und droht, sie umzubringen, sie schlägt ihm mit einer Pfeffermühle auf den Kopf und flieht. Erst zur Polizei, wo sie Anzeige erstattet, dann zu ihren Eltern, wo sie in Ruhe überlegen will, wie es weitergeht.
Hier setzt der Roman ein und die Erzählstränge teilen sich. Einerseits Jella, die ihrem Vater vermittelt, was passiert ist, die mithilfe von To-do-Listen versucht, ihr Leben zu sortieren. Andererseits Jella, die rückwärts ihre Jugend im ehemaligen Osten, ihre ersten Beziehungen, ihre Sozialisation als Frau aufrollt.
Da ist die destruktive Ehe ihrer Eltern, die durch Perspektivlosigkeit im Osten und die Herausforderungen nach 1989 in die Brüche geht. Ihre Freundschaft zu Michelle, mit der sie sich gegenseitig im Intimbereich rasiert, bevor sie sich mit Jungs treffen. Da ist der erste Oralsex im Kino. Der Typ, älter als sie, drückt ihren Kopf wortlos zu seinem Sitz herunter, danach gehen sie schweigend auseinander, Jella ist stolz, nichts falsch gemacht zu haben. Ihren Selbstwert zieht sie aus der Wertschätzung von Jungs, sonst nichts. Im Studium wird Jella vergewaltigt. »Du machst doch jetzt aber kein Drama oder?«, fragt der Typ danach. Macht sie nicht.
Als sie Yannik kennenlernt, will sie ihm gefallen. Er ist Künstler, Jella wird seine Muse und gibt alles, um die Rolle zu erfüllen – auch wenn sie sich dafür verbiegen muss. Das wird zunehmend anstrengend. Shelly, ihre beste Freundin, einer der wenigen Charaktere im Buch mit Integrität, bleibt von da an links liegen, denn Yannik mag sie nicht.
Sich an einen Mann anpassen, ihm gefallen wollen, sich nach ihm ausrichten, dann irgendwann in einer unglücklichen, destruktiven Beziehung aufwachen – die Erzählung tut natürlich schon mal weh. Vielleicht, weil man sie schon so oft beobachtet hat. Als Jella und Yannik zusammenziehen, ist sie schon längst genervt und wütend. Aber natürlich nur unterschwellig. Nichts in der Wohnung ist von ihr, nicht einmal ihren geliebten Spiegel darf sie behalten. Sie rächt sich zunächst mit kleinen Alltagsgesten, etwa, wenn sie dem vegetarischen Yannik heimlich Fleisch unter das vegane Hack rührt. Später schreit sie ihn an, er sei kein Künstler, sie betrügt ihn, um ihn zu verletzen. Ruth-Maria Thomas zeigt auch Jellas destruktives Verhalten, ihre Provokationen.
Damit bedient Thomas einen »Trauma-Plot«, wie er in den letzten Jahren zu einem beliebten Mittel in der Literatur geworden ist. Einer Protagonistin widerfährt etwas Schlimmes, etwa eine Vergewaltigung, und die Leser*innen sehen ihr dann dabei zu, wie sie versucht, ihr Trauma zu entdecken und zu bekämpfen. Diese Suchbewegung gibt es auch bei Jella. Begleitet wird man von der Frage, ob sie die Anzeige zurückzieht. Thomas hat so akribisch wie schonungslos untersucht, was es bedeutet, zur Frau gemacht zu werden. Damit hat sie eines dieser Bücher geschrieben, die man seinem Partner, Vater, seinen Freunden in die Hand drücken will, damit sie einen ein bisschen besser verstehen, also nicht nur verständnisvoll nicken. Ein bedrückendes wie berührendes Debüt, das so lapidar wie gekonnt mit einer To-do-Liste endet.
Ruth-Maria Thomas: Die schönste Version, Rowohlt, 272 S., geb., 24 €.
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