• Politik
  • Rücktritte bei den Grünen

Grünes Beben

Gesamte Spitze der Partei tritt nach Wahldesastern im Osten zurück

Rückzug vom Vorsitz: Ricarda Lang und Omid Nouripour
Rückzug vom Vorsitz: Ricarda Lang und Omid Nouripour

In diesen Zeiten sind personelle Konsequenzen aus Wahldesastern nicht unbedingt die Regel, vor allem, wenn sich diese auf Landesebene abspielen. Doch drei verlorene Landtagswahlen in Ostdeutschland innerhalb weniger Wochen haben den Grünen-Bundesvorstand veranlasst, geschlossen zurückzutreten. Auf dem Parteitag im November wollen die bisherigen Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die weiteren Mitglieder des Gremiums sich auch nicht erneut um einen Sitz darin bewerben, wie sie am Mittwoch mitteilten. Das kam auch für versierte politische Beobachter überraschend.

Doch die Niederlagen sind tatsächlich gravierend. Zuletzt verfehlte die Partei bei der Brandenburg-Wahl am Sonntag mit 4,1 Prozent die Fünfprozenthürde und konnte auch ihr einziges Direktmandat nicht verteidigen. Dieses hätte ihr den Wiedereinzug in den Potsdamer Landtag ermöglicht. Am 1. September waren die Grünen bereits aus dem Thüringer Landtag geflogen, ins sächsische Landesparlament schafften sie es mit einem Ergebnis von 5,1 Prozent gerade so. Und schon bei der Europawahl im Juni hatte die Partei drastische Verluste erlitten.

»Das Wahlergebnis am Sonntag in Brandenburg ist ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade«, sagte Nouripour am Mittwoch in Berlin. Deshalb brauche es nun einen »Neustart«, deshalb gehe man diesen Schritt. Auf dem Bundesparteitag Mitte November solle ein neuer Vorstand gewählt werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte den angekündigten Rücktritt einen »großen Dienst an der Partei«. Das klingt, als mache auch der Kanzlerkandidat in spe die Parteiführung für die Krise der Grünen verantwortlich. Regulär würde die Partei ihren Vorstand erst nach der Bundestagswahl 2025 neu wählen.

Die Ko-Vorsitzende Ricarda Lang erklärte, es brauche »neue Gesichter, um die Partei aus dieser Krise zu führen«. »Jetzt ist nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben. Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen, und wir übernehmen diese Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen«, fügte sie hinzu. Lang und Nouripour waren Anfang 2022 zu Vorsitzenden gewählt worden, als Habeck und Annalena Baerbock in die Bundesregierung eintraten. Der Vorstand war im November 2023 für zwei Jahre gewählt worden.

In bundesweiten Umfragen erreichten die Grünen zuletzt Werte, die deutlich unter ihrem Ergebnis bei der Bundestagswahl von 2021 liegen. Damals hatten sie mit ihrer Kanzlerkandidatin Baerbock 14,8 Prozent der Stimmen erhalten. Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, könnten sie noch mit zehn bis elf Prozent rechnen.

Habeck dankte dem scheidenden Duo. »Dieser Schritt zeugt von großer Stärke und Weitsicht«, sagte er. Die Niederlagen bei den jüngsten Wahlen seien unstrittig vom Bundestrend beeinflusst. Es wird erwartet, dass Habeck noch vor dem Bundesparteitag Mitte November in Wiesbaden zum Kanzlerkandidaten gekürt wird. Baerbock hat bereits erklärt, sie wolle diesmal nicht an der Spitze stehen.

Der Wirtschaftsminister sagte am Mittwoch: »Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich.« Auch er wolle sich ihr stellen. Auf dem Parteitag werde die Partei sich »neu sortieren und neu aufstellen, um dann mit neuer Kraft die Aufholjagd zur Bundestagswahl zu beginnen«.

Baerbock erklärte am Mittwoch am Rande der UN-Generalversammlung in New York: »Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen.« Es gehe darum, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen. Sie werde Habeck auf seinem Weg und den Parteitag im November mit aller Kraft unterstützen, kündigte sie an.

Wer für den Parteivorsitz kandidieren wird, ist noch offen. Es werden aber schon Namen genannt, so der von Franziska Brantner. Sie ist parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, eine enge Vertraute Habecks, die dem Realo-Flügel angehört. Für die 45-Jährige spricht nach Ansicht von Parteimitgliedern, dass sie klar kommunizieren kann und aktiv verschiedene Social-Media-Plattformen bespielt. Schon vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass sie Habecks Wahlkampfmanagerin werden soll.

Auch der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak gilt als aussichtsreicher Bewerber. In seiner damaligen Rolle als Landesvorsitzender hat der 34-Jährige die nordrhein-westfälischen Grünen 2022 zu ihrem bislang besten Ergebnis (18,2 Prozent) in NRW und in die Landesregierung geführt. Auch der Vizevorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Andreas Audretsch, ist im Gespräch. mit dpa

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.