Christian Baron: Stolz und Vorurteil

Die ARD verfilmt Christian Barons Erfolgsroman »Ein Mann seiner Klasse«

Um die Ausraster wiedergutzumachen, fährt Vater Ottes (Leonard Kunz) das ganz große Besteck auf. Dieses Mal: Ausflug in den Freizeitpark
Um die Ausraster wiedergutzumachen, fährt Vater Ottes (Leonard Kunz) das ganz große Besteck auf. Dieses Mal: Ausflug in den Freizeitpark

In der Bahn unterhalten sich zwei Frauen, wahrscheinlich Sozialpädagoginnen oder Lehrerinnen. Es geht darum, dass man einer Mutter, die neulich zum Gespräch gebeten war, gar nicht angesehen hätte, aus was für einer Gegend sie stammt (Berlin-Lichtenberg, der zwielichtige Teil). Ein kurzer Gesprächsfetzen nur, aber er fasst Christian Barons Lebenswerk (er ist erst 39), ganz gut zusammen. Baron hatte 2020 den Roman »Ein Mann seiner Klasse« veröffentlicht, in dem er über seine Kindheit und Jugend schrieb und das Aufwachsen mit wenig Geld, dafür umso mehr Stolz und Vorurteil. Beim »nd« war er jahrelang Theaterredakteur, politischer Autor und eben Kollege gewesen. Und wenn man eines von ihm gelernt hat, dann, dass es durchaus okay ist, wenn der akademischen Mittelschicht und allen, für die es sich gut anfühlt, nach unten zu treten, die Schantall-Witze am Ende seiner Artikel im Hals stecken bleiben (natürlich ist sein Werk viel wichtiger als das).

Der Roman jedenfalls wurde ein großer Erfolg und daraus abgeleitet entstanden Hörbuch- und Theaterfassung. Fast folgerichtig in der Verwertungslogik ist es nun, aus »Ein Mann seiner Klasse« einen Film zu machen.

Der Vater trinkt und schlägt zu, aber Baron war es schon im Buch wichtig, ihn nicht als Abziehbild des verrohten Säufers stehen zu lassen.

Vier Jahre nach der Lektüre des Buches wird dieses eklige Angstgefühl noch einmal Wirklichkeit, wenn man die dumpfen Schläge gegen die Wand des Nachbarzimmers aus Sicht der Kinder hört. Es ist der Kopf der Mutter, der gerade gegen den Beton donnert. Als nächstes sind sie dran. Da muss man solche Szenen nicht mal selbst erlebt haben und empfindet (kurzzeitig) diese Schockstarre mit, die Christian Baron so gut kennt.

Der Film, der am 2. Oktober im Fernsehen (ARD) zu sehen sein wird und ab dem 27. September in der Mediathek zur Verfügung steht, greift sich, im Gegensatz zum Buch, das einen viel größeren Zeitrahmen umfasst, nur den Sommer des Jahres 1994 im Leben der Familie Baron heraus. Ein Jahr, das für den Protagonisten Christian (Camille Loup Moltzen) ein entscheidendes ist, weil der Wechsel von der Grundschule aufs Gymnasium ansteht, was die Mutter Mira (Mercedes Müller) mit Freude, der Vater Ottes (Leonard Kunz, großartig, wie er die Last des Möbelpackens in seine gebückte Haltung übersetzt) mit Ablehnung aufnimmt.

Überhaupt, diese Vaterfigur, sie nimmt schon im Buch einen erheblichen Teil ein, ist auch hier übermächtig, im wahrsten Sinne, selbst da, wo er nicht im Bild ist. Der Vater trinkt und schlägt zu, aber Baron war es schon im Buch wichtig, ihn nicht als Abziehbild des verrohten Säufers stehen zu lassen und so zeigt ihn auch der Film als Mann, der gut sein will, aber daran qualvoll scheitert, weil er nicht auf die Idee kommt, wie. In guten Phasen führt er die Kinder in den Freizeitpark aus, in schlechten haut er ihnen eine rein, weil einem ein Glas umkippt.

Beim Blick auf den Vater, die »Taz«-Redakteurin Doris Akrap hat es in ihrer Besprechung schon beschrieben, hat das Buch seine Schwächen. Die Vaterfigur ist sakrosankt, trotz all ihrer Fehler. Schuld ist allein das System, das ihn so zugerichtet und allein gelassen hat. Nachvollziehbar ist diese Sicht von innen, von außen eben nicht.

Der Film umgeht diese gefärbte Wahrnehmung des Sohnes und geht behutsam gnadenloser mit dem Vater ins Gericht, weil er szenisch zuspitzen kann. Er zeigt schlicht und ergreifend, wo Ottes versagt hat (und liefert damit klarer noch als das Buch eine Erklärung für die physische Gewalt als Ausdruck der Hilflosigkeit und Überforderung). Den entscheidenden Satz sagt dann auch Tante Juli (Svenja Jung): »Christian, du bist genau wie deine Mutter.« Und meint damit seinen wohlwollenden und warmen Blick auf den Vater, trotz allem, was der der Familie an Gewalt und Demütigung angetan hat.

Der Film fokussiert sich stark auf die Sicht Christians, die sich eben manchmal sogar vom Buch emanzipiert. Eine schlaue Entscheidung des Drehbuchs (Nicole Armbruster und Marc Brummund), denn etwas anderes hätte der Roman, der die Innenansicht der übrigen Protagonist*innen weitgehend verweigert, nicht hergegeben. Die Gefahr, ein rührseliger Armutsporno zu werden, sind Armbruster und Brummund somit grazil aus dem Weg gegangen. Es hätte, denn beim deutschen Film muss man stets mit dem Schlimmsten rechnen, durchaus soweit kommen können.

Stattdessen behalten in der Verfilmung, wie schon im Buch, alle ihre Würde. Schön wäre noch gewesen, sie hätten auch den breiten Pfälzer Dialekt gnadenlos durchgezogen. Und manchmal blitzt sogar ein feiner Humor auf, wenn bei Barons der Strom ausfällt und der dauerdudelnde Fernseher sich auf einmal tot stellt und man sofort das Gefühl bekommt, das Wohnzimmer sei gerade weniger gemütlich geworden.

»Ein Mann seiner Klasse«, Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Marc Brummund. Mit: Camille Moltzen, Leonard Kunz, Mercedes Müller. 91 Minuten. Verfügbar in der ARD-Mediathek oder am 2.10., 20.15 Uhr (ARD)

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