Nick Cave: Neues Kapitel

Mit seinem neuen Album »Wild God« schlägt Nick Cave ein neues Kapitel auf

  • Luca Glenzer
  • Lesedauer: 3 Min.
Nick Cave stellt bei der Lit.Cologne Spezial im Theater am Tanzbrunnen sein Buch «Glaube, Hoffnung und Gemetzel» vor.
Nick Cave stellt bei der Lit.Cologne Spezial im Theater am Tanzbrunnen sein Buch «Glaube, Hoffnung und Gemetzel» vor.

Manche sagen, vor der Religiosität sei am Ende keiner so ganz gefeit. Auch der strenge Atheist zeige sich ihr gegenüber in existenziellen Lebenskrisen empfänglich. Und so verwundert es nicht, dass selbst Nick Cave, einstmals neben Blixa Bargeld die nihilistische Lichtgestalt im Westberlin der 1980er Jahre, nicht vor dem absoluten Licht und der göttlichen Liebe zurückschreckt.

Denn nachdem innerhalb der vergangenen zehn Jahre zwei seiner Söhne verstarben, waren seine letzten beiden Alben »Skeleton Tree« und »Ghosteen« auf je ganz eigene Weise von der Aufarbeitung des persönlichen Schmerzes geprägt. Mit dem kürzlich erschienenen »Wild God«, dem insgesamt 18. Album Caves und seiner Begleitband Bad Seeds, scheint nun ein neues Kapitel aufgeschlagen.

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Das macht sich zuallererst im Soundbild bemerkbar: Bereits der Opener »Song Of The Lake« beeindruckt vom ersten Takt an mit einer bemerkenswerten Präsenz. Schlagzeug, Bass, Gitarre, Piano und Streicherarrangements türmen sich darin auf. Und über allem thront das Organ Caves, der mal im Stile eines Spoken-Word-Artists predigt, nur um im nächsten Moment das sakral-getragene Potenzial seiner Stimme zu offenbaren.

»And he knew that even though he had found Heaven/ Such as described in the ancient scrolls/ Still, he felt the drag of Hell/ Upon his old and mortal soul«, singt er in dem Song. Die Zeile offenbart bereits exemplarisch, dass »Wild God« weit davon entfernt ist, eine friedvolle Worship-Platte zu sein. Im Gegenteil sind ihr der Zweifel, die Trauer, die Abgründigkeit wie eh und je eingeschrieben.

So auch im darauf folgenden Titeltrack, der sich im Refrain hingegen geradezu hymnenhaft entlädt. Und die Vorabsingle »Joy« unterstreicht, was als Grundgefühl Kernelement des Cave’schen Werkes der letzten 40 Jahre geworden ist: Das Paradies ist nicht ohne die Hölle zu haben. »I woke up this morning with the blues all around my head«, wimmert er darin in den Anfangszeilen, und weiter: »Have mercy on me, please«, bevor sich zum Ende hin alles in »Joy, Joy, Joy« auflöst.

Die klangliche Opulenz des Albums kommt dabei nicht von ungefähr: Er wollte seine Band nach den zuletzt arg reduziert geratenen Arbeiten wieder mehr beschäftigen, ließ der gebürtige Australier jüngst in einem Interview wissen. Und so wurde nach den beiden von Soundtüfteleien geprägten Vorgängern nun wieder vermehrt Zeit in die Ausarbeitung von Arrangements und Melodien investiert.

Erneut hat er dabei eng mit dem Multi-Instrumentalisten Warren Ellis zusammengearbeitet, der seit 1993 zu einer zentralen Instanz der Bad Seeds geworden ist. Teil der musikalischen Vielfalt der insgesamt zehn neuen Stücke sind auch mythisch anmutende Chöre, die bereits vor vier Jahren auf »Skeleton Tree« präsent waren und die einmal mehr Caves Leidenschaft für den Gospel unterstreichen – wie in der andächtigen Ballade »As The Water Cover The Sea«, die das Album beschließt.

Und so ist auch »Wild God« am Ende – wie so viele Alben Caves – kein Album der Freude und kein Album der Trauer. Es entzieht sich Dichotomisierungen dieser Art. Wenn schon, dann ist es ein Album des Lebens.

Nick Cave: Wild God (Pias)

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