Alle zusammen – für etwas Neues

Die Parteiaustritte der jungen Grünen sollten uns alle ermutigen, Dinge zu ändern, meint Raul Zelik.

So präsentieren sich die Ausgetretenen auf ihrer Webseite.
So präsentieren sich die Ausgetretenen auf ihrer Webseite.

Ich muss zugeben, dass mich die Austrittswelle junger Grüner in den letzten Tagen überrascht hat. Die grüne Partei ist für mich schon so lange Teil der Rechtsentwicklung, dass ich gar nicht auf den Gedanken gekommen wäre, es könne dort noch in nennenswertem Ausmaß Menschen mit linken Überzeugungen geben. Zwar bin ich schon länger mit der ehemaligen Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich befreundet, deren Energie und Entschlossenheit ich bewundere, aber bis letzte Woche hätte ich ihre Haltung als Ausnahmeerscheinung bezeichnet. Wie gut, dass ich mich geirrt habe!

Meine Erfahrungen mit den Grünen waren seit den 1980er Jahren traumatisch: In meiner Schulzeit selbst Sympathisant der Partei habe ich die Wandlung Joschka Fischers vom Linksradikalen zum Neoliberalen miterlebt. Ende der 1990er Jahre war ich als Demonstrant beim Parteitag in Bielefeld, als ausgerechnet die aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen den ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 durchsetzten. Etwas später habe ich Personen wie den ehemaligen Leiter der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung Ralf Fücks kennengelernt, den ich für einen Vordenker eines auch militärisch aggressiven neoliberalen Projekts halte.

Vor diesem Hintergrund haben mich die Parteiaustritte der jungen Grünen überrascht und ermutigt. Ihre Absetzbewegung ist ein Lichtblick in Anbetracht wachsender sozialer Ungleichheit, ökologischer Krise und eines erstarkenden Faschismus. Denn wo stehen wir gerade – und zwar längst nicht nur in Deutschland? Scheinbar ohnmächtig beobachten wir, wie die Gesellschaften immer weiter nach rechts treiben und nationalistischer, rassistischer, fundamentalistischer, unsolidarischer werden. Dahinter steckt so etwas wie eine Doppelbewegung: Auf der einen Seite produziert der neoliberale Kapitalismus wachsende Ungleichheit, Autoritarismus und Krieg. Auf der anderen profitiert von der Panik, die der Kapitalismus mit seinen Krisen provoziert, ausgerechnet die extreme Rechte, die diesen Prozess noch beschleunigen wird. Das emblematischste Beispiel dafür ist heute Argentinien. Dort haben die Menschen wegen der sozialen Krise mit Präsident Javier Milei einen rechtsradikalen, antifeministischen Wirtschaftsliberalen ins Amt gewählt, der die Krise weiter verschärft hat. Vermutlich steckt dahinter nicht nur mangelnde Aufklärung, sondern auch so etwas wie Nihilismus: wenn schon Krise, dann wenigstens mit großem Krach.

Wenn wir den Siegeszug der Rechten stoppen wollen, müssen wir auch eine Alternative zum kapitalistischen Weiter-So aufzeigen

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Doch warum profitieren Linke, die den Neoliberalismus immer schon kritisiert haben und die Krise seit langem diagnostizieren, fast nirgends von dieser Situation? Ganz offenbar liegt es daran, dass sie keine Alternative zu sein scheinen. Eingeschüchtert, unambitioniert, zerstritten und orientierungslos beschäftigen sie sich meistens mit sich selbst. Wie gesagt: Das ist kein deutsches Phänomen, und es betrifft auch nicht ausschließlich linke Parteien.

Wenn wir den Siegeszug der Rechten stoppen wollen, müssen wir eine Alternative zu den Verhältnissen aufzeigen. Der Faschismus geht auf doppelte Weise aus dem Kapitalismus selbst hervor: Er ist erstens Ausdruck seiner Rücksichtslosigkeit und zweitens eine (regressive) Antwort auf seine Krise. Deshalb wird sich ohne Alternative zum Kapitalismus auch das Schlimmste nicht verhindern lassen. Unsere Antwort muss daher immer beides beinhalten: gegen rechts und gegen die herrschenden Zustände. Mehr soziale Gleichheit und Solidarität statt survival of the fittest. Nein zu Rassismus und Antifeminismus, ja zur Umverteilung von oben nach unten und zu gleichen Rechten für alle. Und: den Klimawandel stoppen, weil der vor allem das Leben der »einfachen Leute« (auch bei uns) bedroht.

Alle, die das teilen, sollten sich zusammen tun und etwas Neues versuchen. Hier geht es nicht um Parteipolitik. Wir brauchen eine Bewegung für Solidarität und Gleichheit, die die Gewerkschaften genauso verteidigt wie den Feminismus und die Rechtsgleichheit von Migrant*innen. Die sozial sein will und deshalb ökologisch handelt – und umgekehrt. Die einen antimilitaristischen Internationalismus stark macht: weder auf der Seite von Putin noch auf der von Bundeswehr und Nato. Eine Bewegung für Wehrdienstverweigerer*innen und Rüstungssaboteur*innen, die Deserteur*innen aus allen Kriegen der Welt bei sich willkommen heißt.

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In den frühen Grünen waren solche Positionen einmal Konsens. Heute haben wir uns daran gewöhnt, sie für unrealistisch zu halten und an nichts mehr zu glauben. Wir sind selbst Produkte des neoliberalen Selbstzerstörungsmodus. Aber in Anbetracht der Lage müssen wir uns dem endlich entgegenstemmen. Gegen den Faschismus brauchen wir eine Alternative aus Solidarität und Zuversicht, die keine falschen Versprechen gibt. Einen Aufbruch für das gute Leben – von allen!

Für mich ist der Austritt der jungen Grünen ein Anstoß. Wenn wir die Überzeugung teilen, dass nur eine soziale, feministische, ökologische und antirassistische Alternative die Rechte stoppen kann, dann lasst uns gemeinsam versuchen, diese Alternative zu werden – und zwar nicht in erster Linie als Wahlpartei, sondern (wie in Frankreich gegen das Ressemblement National) als breite gesellschaftliche Bewegung. Wir haben nichts zu verlieren außer unsere Ohnmacht.

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