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Achim Szepanski – Techno und Machtkritik
Zum Tod des Labelbetreibers und linken Theoretikers Achim Szepanski
Es war ein frühsommerlicher Samstagabend in Berlin-Kreuzberg, an dem Achim Szepanski über sein neues Buch sprechen sollte. Was fehlte, war der Vortragende, der sich entschuldigen ließ. Gesundheitliche Gründe verhinderten die Anreise aus Frankfurt am Main. Aus dem Vortrag wurde ein Non-Vortrag, witzelte man im Publikum.
Die Vorsilbe Non hatte Szepanski sich angeeignet: Sein Blog hieß schlicht »Non«, er schrieb Bücher über die Non-Ökonomie und den Non-Marxismus. Der Theoriezirkel »Endnotes« hat von den Non-Bewegungen gesprochen: Eine Bewegung ohne Eigenschaften, nicht repräsentiert und verwaltet von einer Partei oder Szene, allein der Negativität gegen das Bestehende verpflichtet. Das war Szepanskis Welt.
Szepanski, 1957 in Karlsruhe geboren, landete als junger Mann in Frankfurt am Main, wo unter den Wolkenkratzern des Finanzkapitals Postautonome und Postmoderne zu Techno und House tanzten. Gelesen wurde nicht nur Marx, sondern auch die neueste Theorie aus Frankreich: Michel Foucault, Gilles Deleuze, Jean Baudrillard. Für Szepanski war das kein Ticket für eine akademische Karriere, sondern Handwerkszeug der Machtkritik. So auch die elektronische Musik, die durch ihre zunehmende kommerzielle Vernutzung ästhetisch anästhesiert wurde. Dagegen gründete Szepaniski erst das Label Force Inc. Music Works, 1994 dann das berühmtere Mille Plateaux, das bereits im Titel auf den philosophischen Hit der Systemkritik von Deleuze und Guattari anspielte.
Die »feindliche Übernahme« der Musik hat Szepanski später in seinem mit Andrzej Steinbach verfassten Buch »Ultrablack of Music« reflektiert. Musik war für ihn in der Lage, soziale Beziehungen jenseits des Eigentums herzustellen. Doch im Dienst des Eigentums ist sie ebenso in der Lage, die Besitzordnung zu zementieren. Das war eine Front, an der der Revolutionär Szepanski lebenslang gekämpft hat, gegen die Love-Paradisierung und Verbiedermeierlichung von Beats und Patterns.
Nach diversen Pleiten gründete er 2018 »Mille Plateaux« noch einmal neu, nun vor allem als Digital-Label und weiterhin mit großen Künstlern der elektronischen Musik. Szepanski war wie ein Überbleibsel einer Zeit, als Clubmusik noch nicht zu den »soften Standortvorteilen« im Stadtmarketing zählte.
In den vergangenen zehn Jahren stürzte Szepanski sich in die Theorie und schrieb ein Buch nach dem anderen, zuletzt »Kapital und Macht im 21. Jahrhundert«, »Imperialismus, Staatsfaschisierung und die Kriegsmaschinen des Kapitals« und »Die Ekstase der Spekulation«. Szepanski verfolgte genau, was außerhalb Deutschlands in radikalen Kreisen geschah und diskutiert wurde. Auf seinem Blog »Non« erschienen zahlreiche Übersetzungen von Texten aus dem Ausland. Und er selbst wurde im Ausland als weitsichtiger Theoretiker rezipiert. In China, wo eine Übersetzung von ihm wie ein Staatsakt veröffentlicht wurde, lobte man seine Analysen in höchsten Tönen. Nur in Deutschland, wo die Gesellschaftstheorie durch den staatstragenden Linksliberalismus verödet und verblödet wurde, schlug Szepanski wenig Aufmerksamkeit entgegen.
Umso erstaunlicher ist die Ignoranz gegenüber Szepanskis Schriften, weil seine beiden großen Themen – die Exzesse des Finanzkapitalismus und die Staatsfaschisierung – allen klugen Linken und Revolutionären unter den Nägeln brennen müssten. Für Szepanski zeigte sich die Staatsfaschisierung gerade daran, die »Bevölkerung zum potenziellen Gefahrenherd umzudeuten« und neuartiger Kontrolle zu unterwerfen.
So blieb er stets kritisch gegenüber massenpsychotischen Stimmungen, sei es im Krieg gegen die Viren oder den Feind im Osten. Im Gegenteil zeigte sich für Szepanski gerade da, dass der Kapitalismus in seinem gegenwärtigen Stadium in den stets mitgeschleppten Ausnahmezustand kippt. Die »strukturelle Staatsfaschisierung« war Szepanskis Ergänzung zu Baudrillards Theorie des »strukturellen Wertgesetzes«, das sich von festen Zeichen befreit hat und gerade deswegen immer durchsetzt.
Aus dem Non-Vortrag in Berlin wurde außerdem doch noch ein Vortrag, eine kurzfristig errichtete Videoschaltung nach Frankfurt machte es möglich. Von Szepanski sah man im Bild meist nur seine schwarze Nike-Kappe, doch seine Stimme war das Entscheidende. Mit seinen wohlüberlegten Ausführungen führte er das Publikum in die Gefilde des Post-Baudrillard-Marxismus, sodass man sich nicht verirrte – eine große Leistung. Nun ist der letzte revolutionäre Marxist, wie sein Freund Sebastian Lotzer in seinem Nachruf schreibt, gestorben. Am 24. September wurde Achim Szepanski tot aufgefunden.
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