Rot, säuerlich, aber nicht giftig

Ob Berberitze genannt oder Erbselstrauch – die leuchtenden Beeren sind hierzulande noch zu entdecken

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Berberitzen sind als Ziersträucher auch wegen der kräftigen Herbstfärbung der Blätter beliebt.
Berberitzen sind als Ziersträucher auch wegen der kräftigen Herbstfärbung der Blätter beliebt.

In jüngster Zeit häufen sich im Internet Werbefilme für besonders ausgeklügelte Nahrungsergänzungsmittel, welche einen Beerenextrakt der Berberitze enthalten und gegen Fettleibigkeit und damit verbundene ernährungsabhängige Erkrankungen wie Fettleber, Insulinresistenz, Hypercholesterinämie und Diabetes mellitus II helfen sollen. Der Wirkstoff Berberin, ein Alkaloid, ist vor allem in der Wurzel, der Rinde sowie in den ovalen Blättern des Berberitzenstrauchs in gefährlich hohen Mengen enthalten.

Auch die rot leuchtenden, länglichen Beeren enthalten Berberin, jedoch in einer weniger bedenklichen Konzentration. Dennoch können bei gleichzeitiger Einnahme von Kapseln mit Berberitzen-Fruchtextrakt und bestimmten Arzneimitteln, die bei Typ-2-Diabetes zum Einsatz kommen, Wechselwirkungen oder eine verstärkte Wirkung auftreten.

Die gut ausgereiften Beeren der Berberitze, in haushaltsüblichen Mengen als Kompott, Saft, Konfitüre oder Gewürz in orientalischen Reisgerichten verwendet, sind hingegen eine gesunde Beigabe im Rahmen eines abwechslungsreichen Speiseplans. Mit zunehmender Fruchtreife nimmt der kritische Gehalt an Berberin ab.

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Allein durch den sauren Geschmack, den die Beeren dennoch haben und der ihnen auch die Bezeichnungen Essigbeeren und Sauerdorn verlieh, sind einem übermäßigen Verzehr Grenzen gesetzt. Beim Schlucken von Kapseln versagt diese instinktive Sperre jedoch. Deshalb prüft die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde seit Mai dieses Jahres die Sicherheit der häufig sehr überteuert angebotenen Nahrungsergänzungsmittel mit Berberitzen-Extrakt. In dieser Form könnten sie als neuartiges Lebensmittel eingestuft werden, obwohl die Berberitze in China, Vorderasien, in Südeuropa und im alten Ägypten eine lange Tradition als pflanzliches Arzneimittel hat.

Der heute gebräuchlichste Name Berberitze enthält den Wortstamm »Berber«, eine frühe Bezeichnung für meist nomadisch lebende Bevölkerungsgruppen Nordafrikas. Auch hierzulande nennen sich manche Obdachlose »Berber«. Im Mittelalter war ein Trivialname für den Strauch auch »Bettlerkraut«, weitere Namen lauten Berbersbeere, Erbselstrauch, Erbsichdorn, Passelbeere, Hasenbrot, Kuckucksbrot oder Dreidorn.

Letzterer weist auf die dreiteiligen, fast im 90-Grad-Winkel angeordneten, langen, spitzen Dornen hin. Unter den verschiedenen Namen für den Berberitzenstrauch findet sich auch »Gelbbaum«, welcher sich auf die gelbe Farbe der inneren Rinde und der Wurzel bezieht. Für diese gelbe Färbung ist das umstrittene Berberin verantwortlich. Auch die traubenartig hängenden Blüten der Berberitze sind hellgelb.

Berberitzenextrakte könnten als neuartiges Lebensmittel eingestuft werden, obwohl die Frucht in China, Vorderasien und Südeuropa eine lange Tradition als pflanzliches Arzneimittel hat.

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Die reifen Beeren sind von scharlach- bis feuerwehrroter Farbe. Sie enthalten Vitamin C und Provitamin A, Anthocyane, Flavonoide und Phenolsäuren, welche allesamt antioxidativ, nervenschützend und antientzündlich wirken. Außerdem sind die Fruchtsäuren Apfelsäure, Weinsäure und Zitronensäure enthalten, sodass deren Saft wie Zitronensaft als Zutat für Apfelmark oder Birnen- und Pflaumenmus verwendet werden kann.

Im Iran werden mit getrockneten Berberitzenfrüchten pikant-aromatische Reisgerichte, etwa der beliebte Berberitzen-Reis »Sereschk Polo«, gewürzt. Dafür wäscht man die getrockneten Beeren zuerst in kaltem Wasser und lässt sie dann abtropfen. Anschließend werden sie in geklärter Butter (Ghee) angedünstet, mit Rohrzucker und etwas Zimt karamellisiert und schließlich mit Bratensaft z.B. von Hühnerkeulen oder dem pflanzlichen Bratenfett von geschmorten Zwiebeln benetzt.

Insgesamt werden im Iran etwa 10 000 Tonnen Berberitzen pro Jahr geerntet. Auch kernlose Berberitzensorten sind dort seit 200 Jahren kultiviert. Ältere Sträucher bilden zum Teil ebenfalls kernlose Beeren, was für die Verarbeitung zu Konfitüre von Vorteil ist. Denn auch die Kerne enthalten geringe Mengen Berberin, was besonders für die kleinwüchsigen Zierformen belegt wurde, die daher insbesondere für Kinder und Schwangere nicht empfohlen werden.

In Mitteleuropa werden die kernhaltigen Beeren gern zu Gelee oder Sirup eingekocht. Nach fünf- bis zehnminütigem Kochen wird das entstandene Fruchtmus durch ein feines Sieb gestrichen und erst danach Gelierzucker hinzugefügt.

Im Jahr 1866 bewies der Botaniker und Mykologe Heinrich Anton de Bary die Rolle der Berberitze als Zwischenwirt für eine gefürchtete Getreidekrankheit, den Getreideschwarzrost, aber auch anderer Rostpilze, die etwa den Glatthafer und verschiedene Süßgräser befallen. In dieser Zeit wurden Berberitzensträucher in Europa vielerorts fast ausgerottet. In Frankreich entbrannten deswegen heftige Konflikte zwischen Getreidebauern und Konfitüre-Kochern.

Inzwischen werden wieder verschiedene, gelb oder weiß blühende Berberitze-Arten in Gärten als bis zu drei Meter hoch wachsende Hecken angepflanzt. Sie dienen im Frühling verschiedenen Bienen, Hummeln und Schwebfliegen als gute Bienenweide. In den dornenbewehrten Sträuchern finden viele Vogelarten, wie Gimpel und Kernbeißer, einen vor freilaufenden Katzen sicheren Brutplatz.

Die Beeren der einheimischen Gewöhnlichen Berberitze Berberis vulgaris können mit ihrem guten Vitamingehalt die Gesundheit fördern. Um das präventive Potenzial der Beeren gegen Bluthochdruck, Diabetes, Krebs oder Alzheimer auszunutzen, kommt es wie immer auch auf eine bedarfsgerechte Essensmenge sowie Bewegung an.

Es gibt beweiskräftige wissenschaftliche Studien, welche über die Wirkzusammenhänge Aufschluss geben, vor allem aus Tierversuchen an Ratte und Maus. Um die physiologischen Mechanismen der Absorption und Wirkung von Berberin zu verstehen, befassten sich auch in der DDR ausgebildete Ernährungswissenschaftler wie Horst Schmandke und Hans-Albrecht Ketz mit der Berberitze. »Das Potenzial des Berberins als Arzneimittel bei Typ-2-Diabetes und Hyperlipidämie ist offensichtlich«, resümierte Schmandke in einem Artikel der »Ernährungs-Umschau« dann im Oktober 2007.

In chinesischen Studien konnte an Mäusen und Ratten eine zuckersenkende Wirkung belegt und bei Hamstern wie auch menschlichen Patienten eine Cholesterinsenkung beobachtet werden. Überdosierungen mit Berberin treten vor allem bei Extrakten aus Rinde und Wurzel auf, sie führen zu starken Vergiftungserscheinungen wie Übelkeit, Erbrechen, Nasenbluten und Nierenreizung.

Derzeit gibt es noch keine zugelassene gesundheitsbezogene Aussage für Berberin in Nahrungsergänzungsmitteln. Die Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wird bis Mai 2025 erwartet.

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