- Politik
- Kommunalwahlen in Brasilien
Dreikampf um São Paulo
Linkspolitiker Guilherme Boulos nimmt erneut Anlauf für das Amt des Bürgermeisters
Die erste Hälfte der Amtsperiode des Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei PT nähert sich ihrem Ende und an diesem Sonntag wird in Brasilien landesweit gewählt. Rund 460 000 Kandidaten von 29 Parteien bewerben sich um die Bürgermeisterämter und die Sitze in den Räten von 5569 Städten und Kommunen. Konkurriert wird um die Rathäuser der Hauptstädte der 26 Bundesstaaten, während der Distrikt der Bundeshauptstadt Brasília einen politischen Sonderstatus mit einem Gouverneur hat.
Die scharfe und durch die sozialen Netzwerke geschürte Polarisierung der Gesellschaft ist auch nach der Abwahl des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro weiter existent. Wirtschaftswachstum und Lohnzuwächse unter der Regierung Lula, die mit einem konservativ beherrschten Kongress leben muss, stehen gestiegene Lebenshaltungskosten gegenüber. Nach Angaben des Statistikamts ist die offizielle Arbeitslosenquote deutlich auf 6,8 Prozent gesunken. Doch neue Jobs sind häufig prekär oder im informellen Sektor angesiedelt.
Mit besonderer Spannung wird der Ausgang der Wahl in der Megametropole São Paulo erwartet, der auch für die nationale Politik bedeutsam ist. Eine echte Chance auf das Bürgermeisteramt des Wirtschafts- und Finanzzentrums haben drei Kandidaten. Ganz knapp vorn liegt nach Umfragen der aktuelle Bürgermeister Ricardo Nunes. Der Technokrat übernahm das Amt 2021 nach dem Tod von Bruno Covas, als dessen Vize auf der Liste einer Mitte-rechts-Allianz er vor vier Jahren gewählt worden war. Der 56-jährige Unternehmer in der Sparte Pflanzenschutzmittel weiß zwölf Parteien hinter sich und gehört selbst seit Jahrzehnten der bürgerlich-populistischen MDB an – eine in Brasiliens Politik ungewöhnliche Treue. Ex-Präsident Bolsonaro hat sich offiziell hinter Nunes gestellt, der zwischen der gemäßigten Rechten und den Bolsonaristen laviert.
Aus diesem Spektrum stammt auch der Kandidat Pablo Marçal, der sich als Selfmademan aus dem Volk, der »nicht zum System gehört«, präsentiert. Der 37-jährige Influencer mit Millionenanhang, Millionen auf dem Konto und Verbindungen zur Halbwelt hat es bereits mit vier Parteien probiert, derzeit ist es die rechtsextreme PRTB. Als ein neuer Star der Szene ist Marçal für Bolsonaro eine Herausforderung und hat eine Außenseiterchance, es in São Paulo in die Stichwahl zu schaffen.
Das gelang vor vier Jahren Nunes’ Mitfavoriten Guilherme Boulos von der Linkspartei PSOL schon einmal. Der 42-jährige Psychoanalyst und Kongressabgeordnete hat sich als ein Kopf der Bewegung der wohnungslosen Arbeiter (MTST) einen Namen gemacht. Boulos wird vom Präsidenten unterstützt, und hat mit Ex-Ministerin Marta Suplicy, São Paulos Bürgermeisterin von 2001 bis 2004, als Vize eine profilierte Politikerin, die sich Lulas PT wieder anschloss.
Wählen dürfen in Brasilien Menschen ab 16 Jahren, alle von 18 bis 70 müssen es, ausgenommen Analphabeten. In Städten mit mehr als 200 000 Einwohnern, in denen sich im ersten Durchgang kein Bürgermeisterkandidat eine Mehrheit sichern konnte, finden am letzten Sonntag im Oktober Stichwahlen statt. 103 Kommunen kommen dafür infrage, sechs mehr als bei den Kommunalwahlen vor vier Jahren.
Deutlich unterrepräsentiert sind in Brasilien auch auf der lokalen Ebene nach wie vor Frauen – insbesondere Afrobrasilianerinnen – und Indigene. In etlichen Gemeinderäten ist die weibliche Bevölkerung überhaupt nicht repräsentiert, nur etwas mehr als jede zehnte Kommune hat an ihrer Spitze eine Frau. Daran werden auch die diesjährigen Kommunalwahlen nur wenig ändern.
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