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Childfree: Kampf gegen imaginierte Ideologien

Die russische Duma will die »Childfree-Bewegung« verbieten. Das geht einigen nicht weit genug

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 3 Min.
Religiös und bitte mit Kindern. So soll die russische Frau in den Augen des Staates sein.
Religiös und bitte mit Kindern. So soll die russische Frau in den Augen des Staates sein.

In Russland leben immer weniger Menschen. Das liegt nicht nur an den Verlusten im Ukraine-Krieg und der Ausreise vieler Menschen, die nicht in diesem Krieg sterben wollen. Sondern vor allem an den Frauen, die immer weniger Kinder bekommen. Davon ist zumindest das Parlament überzeugt und hat einen neuen Anlauf unternommen, die »Propaganda der ›Childfree-Bewegung‹« zu verbieten.

In den vergangenen Tagen wurden in der Duma gleich zwei Anträge eingebracht, die sich gegen die Propagierung »des freiwilligen Verzichts auf das Kinderkriegen« richten. Das sei eine »ausländische Ideologie«, die »Grundlagen für destruktives Verhalten schaffe« und sich gegen »traditionelle Werte« richte. Sollte Russland keine Maßnahmen ergreifen, drohe die »Entvölkerung«, heißt es in den Anträgen. Die haben mit der Föderationsratsvorsitzenden Valentina Matwijenko und Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin prominente Fürsprecher.

Vor allem Wolodin machte zuletzt deutlich, dass die Duma-Abgeordneten nur für das Gesetz stimmen können. »Das ist eine Frage der Zukunft. In diesem Saal Abgeordneter sein oder nicht«, warnte er die Fraktion der Neuen Leute, die das Vorhaben kritisierten.

Konkret geht es in den Gesetzesvorlagen um die Zensur von entsprechendem Content in Medien, Werbung, sozialen Netzwerken und auf Websites. Wer sich nicht daran hält, soll wie bei der Propaganda »nichttraditioneller sexueller Orientierung« und »Änderung des Geschlechts« eine Geldstrafe bezahlen. Die Regierung hat bereits ihre »konzeptuelle« Unterstützung für die Gesetzesentwürfe geäußert. Ein sicheres Anzeichen, dass die Duma die Gesetze verabschieden wird.

Nicht zum ersten Mal versucht das russische Parlament, die »Childfree-Bewegung« zu verbieten. Im vergangenen Jahre scheiterte ein Vorhaben, bei dem es um die »Propaganda unter den Minderjährigen« ging, unter anderem an Einwänden der Russisch-Orthodoxen Kirche, die monierte, dass der damalige Gesetzestext auch die Propagierung des Klosterlebens verboten hätte. Eine überarbeitete Version fand Anfang 2024 keine Unterstützung der Regierung.

Im Laufe des Jahres wurde die »Childfree-Bewegung« immer stärker in den Kontext der »Extremismusbekämpfung« gestellt. Bereits seit 2013 wird in Russland gegen Foren und Websites vorgegangen, die den Verzicht auf Kinder positiv darstellen. Daraus eine konspirative extremistische Organisation zu konstruieren, war ein relativ leichter Schritt.

Die Kampagne gegen die »Childfree-Bewegung« folgt einem bekannten Muster im heutigen Russland. Am Anfang verbreitet die »besorgte Öffentlichkeit« Angst, die von einzelnen Politikern aufgegriffen wird. Schließlich prüft der Staat die Vorwürfe auf »Extremismus«, mildert die Vorschläge von Hardlinern ab und weitet zugleich die Möglichkeiten der Strafverfolgung aus.

Ähnlich erging und ergeht es zunehmend Subkulturen wie Anime, Furry, Therians, Sportarten wie Quadrobics, aber auch BDSM, sexpositiven Veranstaltungen und selbst dem Feiern von Halloween. Nichts davon ist offiziell verboten, was weder Polizei noch patriotische Aktivisten vom repressiven Vorgehen abhält.

Auch anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht mehr vor Cancel-Versuchen geschützt, auch wenn diese mehr Show als reale Drohung sind. Dafür bieten sie dem Kreml die Möglichkeit, sich als mäßigende Instanz zu inszenieren. Vor Kurzem forderte Muslim Chutschijew, Referent von Regierungschef Michail Mischustin und ehemaliger Regierungschef Tschetscheniens, die Evolutionstheorie Charles Darwins aus Schulbüchern zu entfernen. Schließlich sei diese »irrtümlich«, »verderbe die Kinder« und »widerspreche allen Religionen«. Zwar schlossen sich dem Vorschlag des muslimischen Abgeordneten der christlich-monarchistische Milliardär und Medienunternehmer Konstantin Malofejew und der für Fragen der Familienpolitik der Russisch-Orthodoxen Kirche zuständige Priester Fjodor Lukjanow an, in der Duma stieß der Vorschlag aber auf Ablehnung. Allerdings kam aus den Reihen der Regierungspartei Einiges Russland der Vorschlag, auch »alternative Theorien« zu unterrichten. Ein vorläufiges Ende fand die Debatte erst, als Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill Darwins Theorie als nicht grundsätzlich widersprüchlich zur christlichen Lehre bezeichnete.

»Das ist eine Frage der Zukunft.«

Wjatscheslaw Wolodin Duma-Sprecher

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