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Wem es wirklich zu gut geht
Christoph Ruf über seinen persönlichen »Unsatz des Jahres« und wer dabei eigentlich gemeint ist – und wer nicht.
Man hört ihn dieser Tage wieder öfter, diesen Satz, der zum »Unsatz des Jahres« gewählt werden müsste, wenn es nicht stattdessen das sprachlich strunzlangweilige, aber politisch korrekte »Unwort«-Ritual gäbe. »Uns geht es doch gut«, ist seit Jahren mein Favorit. Man hört den Satz ständig. Derzeit besonders oft, wenn das Erstaunen über die Wahlerfolge der AfD eingeleitet werden soll. Mir stockt schon beim Subjekt des Satzes der Atem, der Puls wird schneller, Schweiß tritt aus, die Faust ballt sich. Derweil fragt sich der Rest-Verstand, wen das gegenüber wohl meint mit diesem »uns«, dem es angeblich so gut gehe.
Die alleinerziehende Mutter, die weder Job noch Wohnung kriegt? Den Bezieher des Mindestlohnes, der dennoch Maximalmiete bezahlt? Die Zugewanderte im prekären Job, die jeden Tag von Abschiebung bedroht ist? Wohl kaum.
Dann also »die ganz normalen Leute«, die »Mitte der Gesellschaft«? Die klagt gerne. Zugegebenermaßen. Und wenn sie moniert, dass die Arbeitsverdichtung immer größer wird, während die Kaufkraft in den vergangenen Jahren gesunken ist, hat sie dennoch ebenso Recht wie mit der etwas konkreteren Feststellung, dass der Einkaufswagen beim Discounter für 50 Euro mal deutlich voller war als heute.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Aber ich werde polemisch, denn natürlich geht es in Deutschland vielen Menschen verdammt gut, wenn man mal die nationalstaatliche Perspektive verlässt. Wer zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen kann und gleich mehrere Autos vor der Tür stehen hat, muss nicht meckern, wenn das Brötchen zehn Cent teurer wird. Das eigentliche Problem am »Uns-geht-es-gut« ist dann auch, dass die Politik denen, denen es wirklich gut geht, kein Geld abnehmen will und das Wort »Umverteilung« das faktische Unwort der Ampel ist.
AfD wählen muss deswegen natürlich niemand, schon gar nicht die stilisierte Alleinerziehende oder der prekär Beschäftigte. Wenn es um Sozial- und Umweltpolitik (also das Leugnen und Ignorieren des Klimawandels) geht, würde bei einer AfD-AfD-Koalition schließlich zusammenwachsen, was zusammengehört.
Derweil haben sich beim Oktoberfest vor einigen Tagen mal einige als Hänsel und Gretel ausstaffierte Damen und Herren etwas gegönnt: Sie haben dort eine XXL-Magnumflasche »Veuve Cliquot« für 5500 Euro bestellt und den Service angewiesen, sie zu verspritzen. Man kann eben sehr reich sein und sehr arm an Geschmack und Stil. Und: Diesen Menschen geht es wirklich gut, zu gut sogar.
Das wiederum ist nicht mein Problem, aber das von Christian Lindner und der nach seinem Bilde geformten Partei. Zücken Sie ihr Telefon, schauen Sie sich das Video an, und fragen Sie einen x-beliebigen politikinteressierten Nachbarn, wen diese Leute wohl wählen, wenn sie auf dem Weg zum Wahllokal nicht auf einer Champagner-Pfütze ausrutschen. Die Antwort wird immer die gleiche sein. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg ist die FDP bei 0,8 Prozent gelandet. Immer noch 0,8 Prozent, aber ein echter Grund, immerhin einen Aspekt dieses fatalen Wahlsonntags zu feiern. Mit Pils, Saft oder Champagner. Den trinkt man schließlich, wenn überhaupt, nur zu ganz besonderen Anlässen.
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