- Kommentare
- Transatlantische Beziehungen
USA: Großer Bruder ohne Verwandte
Christoph Ruf über das deutsche Verhältnis zu den USA
Schon Kita-Kinder wissen intuitiv, dass bei dem Fünfjährigen, der wie seine eigene Oma klingt, Vorsicht geboten ist. Und vielleicht ahnen sie auch schon, dass Menschen, die schon immer alles besser gewusst haben, auch im Erwachsenenalter eine Plage sind. Niemand mag Klugscheißer. Auch deshalb nicht, weil Klugscheißer selbstgerechte Heuchler sind.
In der Politik ist es seit einiger Zeit schwer in Mode, auf Sozialdemokraten von Brandt bis Gabriel einzudreschen, weil sie über Jahrzehnte für ein halbwegs kooperatives Verhältnis zur Sowjetunion, respektive Russland standen. Und genau das war über Jahrzehnte richtig so. Eben bis zum Februar 2022. Ich bin davon überzeugt, dass Europa auch danach noch an einem guten Verhältnis zu Russland interessiert sein sollte. Dass aber der Überfall auf die Ukraine eine Zäsur war, die Folgen haben musste, ist kaum zu bestreiten: Was im Dezember 2021 richtig war, kann zwei Monate später falsch gewesen sein – und zwar retrospektiv.
Lesen Sie auch: Lösung im Ukraine-Krieg vertagt – Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde sich mehr beleidigt als miteinander gesprochen
Nur Menschen mit einem erstaunlich dehnbaren Verhältnis zur Wahrheit sehen das anders. CDU und CSU, die am 9. November 1989 auch persönlich die Berliner Mauer eingerissen haben, behaupten gerne, dass ihre Partei schon in den Sechzigern felsenfest davon überzeugt gewesen sei, dass es nicht mehr lange dauert, bis man von Zeven bis Zittau wieder »Einigkeit und Recht und Freiheit« schmettert. In Wahrheit ging noch Ende 1989 kaum ein Unions-Christ davon aus, dass es irgendeinen Automatismus in Richtung schneller »Einheit« geben würde.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Bei so viel rückwirkender Selbstgerechtigkeit sind die Tage nach dem Amtsantritt von Donald Trump natürlich gerade spannend. Schließlich war die vollkommen kritiklose Loyalität zu den jeweiligen US-Regierungen in alten wie in der alten (nun größeren) Bundesrepublik Staatsdoktrin. Die Frage ist nun, wie man das rückblickend bewerten wird. Schließlich wird derzeit im Zeitraffer klar, was unter Donald Trump, Elon Musk, Pete Hegseth und all den anderen Grundsympathen gerade passiert.
»Make America great again« hat man für ein inner-US-amerikanisches Wahlkampfmotto gehalten, landestypisch platt und pathetisch, aber ohne größere Auswirkungen auf den Rest der Welt. Wenn man nun aber hört, wie JD Vance den Europäern diktiert, was künftig Sache zu sein hat, ist nicht zuletzt der Duktus interessant: Die Trump-Administration redet mit ihren ehemaligen »Partnern«, wie es Vertreter außerirdischer Kulturen täten, wenn sie den begriffsstutzigen Erdlingen nach der Untertassenlandung erklären, was fürderhin Sache sein wird: Grönland ein US-Staat, Gaza eine Riviera ohne Palästinenser und Europa ein privilegierter Absatzmarkt für US-Waffen. »MAGA« ist kein Wahlkampfslogan, sondern ein Handlungsauftrag an den Rest der Welt.
Hätte man das vorher wissen können? Vielleicht. Niemand mag Klugscheißer. Aber es wäre jetzt an der Zeit, dass ein paar Politiker mit traurigem Blick vor die Presse treten und zugeben, dass es »mit dem Wissen von heute« keine ganz clevere Idee war, sich auf Gedeih und Verderb einem großen Bruder auszuliefern, der keine Verwandten kennt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.