Keine Rückkehr zum Zustand vor dem 7. Oktober

Die Beendigung des Krieges und Fortschritte für den Frieden sind eine dringende Realität

  • Alon-Lee Green und Rula Daood
  • Lesedauer: 5 Min.
Aktivisten der Basisbewegung »Standing Together« hängen Plakate in Hebräisch und Arabisch auf mit der Aufschrift »Wir werden das gemeinsam durchstehen«.
Aktivisten der Basisbewegung »Standing Together« hängen Plakate in Hebräisch und Arabisch auf mit der Aufschrift »Wir werden das gemeinsam durchstehen«.

Ein Jahr ist seit dem 7. Oktober 2023 vergangen, als die Hamas brutal zivile Städte und Dörfer innerhalb Israels, nahe dem Gazastreifen, angriff und unsere Regierung mit einem noch brutaleren Krieg antwortete, der unser Land immer tiefer in Schmerz und Elend stürzt. Die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen übersteigt 40 000 – darunter mehr als 15 000 Kinder. Da der Mangel an Nahrungsmitteln und medizinischer Grundversorgung weiter zunimmt, entwickelt sich eine humanitäre Katastrophe. Innerhalb Israels werden weiterhin Hunderttausende von Zivilisten aus ihren Städten nahe der Süd- und Nordgrenze evakuiert, wegen der ständigen Raketen- und Drohnenangriffe seitens der Hisbollah und der Hamas. Im Libanon führt die israelische Armee nun einen totalen Krieg, indem sie sowohl die Hauptstadt Beirut bombardiert als auch Bodentruppen entsendet, um den südlichen Teil des Landes einzunehmen.

Während der Krieg andauert, wächst die Unzufriedenheit mit der Regierung von Benjamin Netanjahu. Eine kürzlich vom privaten TV-Nachrichtensender i24news durchgeführte Meinungsumfrage zeigt, dass eine Mehrheit von 52 Prozent ein Abkommen zur Geiselfreilassung befürwortet, das ein Ende des Krieges und einen vollständigen Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen einschließt. Weitere Meinungsumfragen zeigen, dass die Parteien, aus denen sich derzeit Netanjahus Koalition zusammensetzt, voraussichtlich ihre Mehrheit verlieren würden, wenn heute Neuwahlen angesetzt würden.

Forderung nach Geiselabkommen reicht nicht

Standing Together – als die führende Basisbewegung, die jüdische und palästinensische Bürger Israels organisiert und mobilisiert, um sich für Frieden, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einzusetzen – interveniert regelmäßig bei den Anti-Netanjahu-Protesten auf den Straßen. Jedes Wochenende demonstrieren Zehntausende in den Großstädten und fordern einen Geiselaustausch. Wir betonen, dass dies nur erreicht werden kann durch die Beendigung des Krieges, den Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen und die Beendigung des Tötens von Unschuldigen.

Doch die bloße Forderung nach einem Geiselabkommen zur Beendigung des Krieges ist zwar dringend und notwendig, aber nicht ausreichend. Das seit mehr als zwanzig Jahren in der israelischen Politik vorherrschende Paradigma, das sowohl von Mitte-Rechts als auch von Mitte-Links geteilt wird, lautet: »den Konflikt verwalten«. Nicht nur Netanjahu, sondern auch diejenigen, die ihn abzulösen bereitstehen, scheinen zu glauben, dass die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts keine dringende Notwendigkeit ist, und dass die jahrzehntelange Militärherrschaft über Millionen von Palästinensern in den besetzten Gebieten, die keine Staatsbürgerschaft haben und denen grundlegende Rechte verweigert werden, auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten werden kann.

Der israelisch-palästinensische Konflikt kann nicht »verwaltet« werden.

Der Bankrott dieser Idee wurde nach dem 7. Oktober deutlich. Der israelisch-palästinensische Konflikt kann nicht »verwaltet« werden. Dies ist lediglich ein Rezept für weitere 7. Oktober, für weitere Kriege, Aggressionen und Eskalationen, die den Verlust vieler unschuldiger Menschenleben zur Folge haben werden. Vielmehr gilt es, die grundlegende Wahrheit zu erkennen: Es gibt Millionen von Palästinensern in diesem Land. Keiner von ihnen geht irgendwo hin. Und es gibt Millionen von Juden in diesem Land. Keiner von ihnen wird irgendwo hingehen. Die einzige Hoffnung auf Schutz und Sicherheit liegt in einem israelisch-palästinensischen Friedensabkommen, das die Besatzung beendet, dem palästinensischen Volk sein Recht auf nationale Selbstbestimmung in einem unabhängigen Staat an der Seite Israels zugesteht und die Rechte beider Völker auf ein Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit zu leben.

Keine Rückkehr zur Vorkriegsrealität

Diese sehr grundlegende Wahrheit wird vom politischen Establishment in Israel infrage gestellt. Vor kurzem hat die Knesset (das israelische Parlament) eine Resolution angenommen, die sich gegen die Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels ausspricht. Diese Resolution erhielt nicht nur die Unterstützung von Mitgliedern von Netanjahus rechtsextremer Koalition, sondern auch unter den Oppositionsparteien. Eine Mehrheit von 68 der insgesamt 120 Knesset-Mitglieder stimmte für die Resolution. Dazu gehörten die zentristische Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Jair Lapid und sogar der ehemalige Sicherheitsminister Benny Gantz, dessen Partei in den Umfragen zulegt und der als möglicher nächster Premierminister gilt. Nur neun Abgeordnete stimmten gegen die Resolution, was zeigt, dass das politische Establishment in Israel immer noch hofft, zum Status quo ante bellum zurückzukehren, also zum Zustand vor dem Krieg, in dem den Palästinensern die Eigenstaatlichkeit verweigert wird.

Deshalb müssen wir jetzt die Vorstellung in Frage stellen, dass wir einfach zur Vorkriegsrealität zurückkehren und »den Konflikt verwalten«. Dies ist ein Rezept für eine Katastrophe, aber die Politiker sind nicht bereit, dies zu erkennen. Wir brauchen eine breite Friedensbewegung, die ihre Selbstgefälligkeit in Frage stellt. Eine Bewegung, die die Idee verbreitet, dass der einzige Weg, die Zukunft und die Rechte beider Völker langfristig zu sichern, nur möglich ist durch einen israelisch-palästinensischen Frieden, der die Besatzung beenden würde. Auf der Grundlage dieser Perspektive arbeiten wir von »Standing Together« innerhalb unserer Gesellschaft, um Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften um unsere gemeinsamen Interessen herum zu organisieren, um eine neue Mehrheit aufzubauen, die eine progressive gesellschaftliche und politische Umgestaltung unseres Landes ermöglicht. Wir arbeiten im Lichte des Mottos unserer Bewegung: »Wo es Kampf gibt, gibt es Hoffnung«.

Alon-Lee Green und Rula Daood sind nationale Ko-Direktoren von »Standing Together«.

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