Dubioser Wahlausgang in Tunesien

Amtsinhaber Kais Saied reklamiert den Sieg bei der Präsidentschaftswahl für sich

Offizielle der nationalen Wahlbehörde ISIE zählen Stimmen nach der Präsidentenwahl mit einem offiziell klaren Sieg für Kais Saied.
Offizielle der nationalen Wahlbehörde ISIE zählen Stimmen nach der Präsidentenwahl mit einem offiziell klaren Sieg für Kais Saied.

Bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale hat sich Tunesiens Präsident Kais Saied am Sonntagabend zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt. Nachdem die nationale Wahlbehörde ISIE zunächst ausschließlich die mit knapp 28 Prozent niedrige Wahlbeteiligung herausgegeben hatte, schätzte das private Meinungsinstitut Sigma den Stimmenanteil für Kais Saied auf 89,2 Prozent. Laut Sigma erhielt der aus dem Gefängnis antretende Geschäftsmann Ayachi Zammel 6,9 Prozent, der linksnationale Zouhair Maghzaoui 3,9 Prozent. Beide gehörten dem im Juli 2021 von Saïed abgesetzten Parlament an. Zammel soll laut der Wahlbehörde ISIE Unterschriften für seine Kandidatur gefälscht haben.

Während die Opposition wie die Mehrheit der Bevölkerung auf die Verkündung des vorläufigen Ergebnisses am Montagabend warteten, brachen mehrere hundert Anhänger von Saied zu einem langen Autokorso auf, das auf der Flaniermeile Avenue du Bourguiba endete. Vor dem Nationaltheater und den Kameras des staatlichen Fernsehens Watanya feierten sie ausgelassen.

Zweifel an dem Wahlergebnis

Zammel und Maghzaoui zweifeln die Zahlen von Sigma an. Wie die Meinungsforscher hatten Mitglieder von Maghzaouis Partei »Mouvement du peuple« (Bewegung der Leute) vor den von Polizei und Armee bewachten Wahlbüros Bürger befragt. Nach Angaben der Opposition liegt Said mit 24 Prozent hinter Zammel, für den angeblich 30 Prozent der Wähler stimmten. Auch das Umfrageinstitut Elabe hatte vor der Wahl Kais Saied mit 34,6 Prozent nur knapp vor Ayachi Zammel mit 32,2 Prozent gesehen.

Eine umstrittene zweite Amtszeit des schon jetzt zunehmend autokratisch regierenden Saied könnte zu einer ähnlichen Polarisierung führen, die Tunesien 2013 an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht hatte. Damals standen sich ähnlich wie jetzt Vertreter der alten Machtelite und moderate Islamisten der Ennahda gegenüber. Diese waren an allen neun Regierungen seit dem Sturz des Ben-Ali-Regimes beteiligt. Der konservative Saied sieht sich immer noch in einem Überlebenskampf gegenüber der Ennahda, die Katar und den Muslimbrüdern nahesteht. Die Parteiführung sitzt mittlerweile im Gefängnis.

Der Juraprofessor und Politikquereinsteiger Saied war erstmals 2019 aufgrund seiner kritischen Haltung gegenüber Parteien und der allgegenwärtigen Korruption gewählt worden. Doch selbst unter seinen Anhängern ist in jüngster Zeit Ernüchterung eingetreten, da die Wirtschaftskrise allgegenwärtig ist. Saied machte das Ausbleiben einer Reform der Wirtschaft oder Umbau der seit der Revolution aufgeblasenen Staatsapparates mit dem Schaffen immer neuer Feindbilder wett. Neben seinem Hauptkonkurrenten Ennahda forderte er während seines Wahlkampfes 2019 von hunderten Geschäftsleuten, nicht gezahlte Steuern im verarmten Südwesten Tunesiens zu investieren. 2022 führte seine Kampagne gegen Migranten aus West-und Zentralafrika zu gewalttätigen Übergriffen, Dutzende in der Sahara ausgesetzte Menschen starben. Das 2011 von den Demonstranten blutig erstrittene Recht auf freie Meinungsäußerung wird seit dem vergangenen Jahr durch den Paragraphen 54 eingeschränkt. Die Aufwiegelung der Öffentlichkeit oder das Verbreiten von Falschmeldungen wird mit langjährigen Haftstrafen ahndet.

Zivilgesellschaft gerät ins Visier

Nun nimmt Saieds Machtapparat die Zivilgesellschaft ins Visier. »Mittlerweile haben sich viele Aktivisten nach Paris oder Berlin abgesetzt«, sagt Rania, eine Projektmanagerin der NGO I Watch, die seit Jahren die Aktivitäten der Parlamentarier und der Regierung kritisch begleitet. »Nachdem unsere Konten während der Ermittlungen gesperrt wurden, können wir nicht einmal die Miete zahlen.« Ihren Nachnamen möchte sie wie viele politisch aktive Tunesier öffentlich nicht nennen. »Sie werden von den Verrätern und Korrupten in Zukunft nichts mehr hören«, hatte Kais Saied am Sonntagabend inmitten seiner fahnenschwenkenden Anhänger versprochen. In Kreisen der Zivilgesellschaft herrscht am Montag Schockstarre. Da in der Woche vor der Wahl die Büros mehrerer Menschenrechtsinitiativen von Polizeibeamten durchsucht wurden, fühlen sich viele an die Zeiten Ben Alis erinnert. »Wir werden wieder protestieren«, sagt der 27-Jährige Yassin in einem Café im Stadtteil Passage. Gewählt hat er wie 93 Prozent der unter 35-Jährigen nicht. »Ich glaube nicht mehr daran, dass die soziale Ungerechtigkeit mit demokratischen Mitteln bekämpft werden kann«, sagt er. Mit dem gleichen Argument hatten am Sonntag viele Wähler ihre Stimme für Kais Saied begründet.

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