- Gesund leben
- Poliomyelitis
Polio-Virus nicht mehr nur in endemischen Gebieten
Rückschlag beim Ringen um die Ausrottung von Poliomyelitis in Pakistan
»Es ist herzzerreißend, dass pakistanische Kinder immer noch von einer Krankheit bedroht sind, die mit Hilfe eines leicht verfügbaren Polio-Impfstoffs leicht verhindert werden könnte«, so sagte Ayesha Raza Farooq, Beauftragte des Premierministers zur Ausrottung von Polio, am 2. Oktober bei der Bekanntgabe zweier neuer Poliofälle. Mit den beiden Fällen in der Provinz Sindh sei die Zahl der betroffenen Kinder in Pakistan in diesem Jahr bereits auf 26 gestiegen.
Mitte September trat der erste Poliofall seit 16 Jahren in der Hauptstadt Islamabad auf. Das Virus hat sich offenbar über die regionalen Hochrisikoregionen hinaus verbreitet. Weltweit ist das Poliovirus nur noch in den Ländern Pakistan und Afghanistan endemisch.
Poliomyelitis ist eine von Viren vorwiegend im Kindesalter hervorgerufene Infektionskrankheit, die zu schweren bleibenden Lähmungen führen kann. Das Virus wird meist durch Schmierinfektion als auch Tröpfcheninfektionen übertragen. Es kann nur von Mensch zu Mensch übertragen werden. Polio ist behandelbar und lokale Ausbrüche wie jüngst in der Ukraine können durch schnelles Impfen gestoppt werden.
Am entschiedenen Einsatz gegen Polio mangelt es in Pakistan nicht. »Trotz erheblicher Fortschritte stellt Polio aber in Pakistan weiterhin eine ernste Bedrohung dar«, sagt Karen Reidy vom Kinderhilfswerk Unicef in Islamabad gegenüber »nd«.
Seit 1994 kämpft das »Pakistan Polio Eradication Programme« mit Impfungen gegen das Poliovirus. Unterstützt werden die Kampagnen von der Globalen Initiative zur Ausrottung von Polio (GPEI) der Weltgesundheitsorganisation WHO, die von Geberländern und Organisationen wie Unicef, der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, der Weltbank, der EU, der KfW-Entwicklungsbank und anderen finanziert wird.
Für einen kurzen Augenblick sah es sogar so aus, als sei Polio ausgerottet worden. Seit über einem Jahr aber strebt das Virus ein Comeback an. Die Zahl der positiv auf das Wild-Poliovirus getesteten Umweltproben sei von einem Prozent im Jahr 2023 auf 25 Prozent im Jahr 2024 dramatisch gestiegen und bedeute ein erhöhtes Übertragungsrisiko, warnte das pakistanische Gesundheitsministerium Ende September.
Für Oliver Rosenbauer von der GPEI ist die Ausbreitung des Virus zunächst nicht ungewöhnlich. »Es handelt sich um eine hochansteckende Krankheit, die sich im Zuge von Bevölkerungsbewegungen national und international leicht ausbreitet«, sagt Rosenbauer dem »nd«.
Die Gründe für das hartnäckige Vorkommen von Polio in Pakistan sind vielfältig. Neben der Migration vieler Menschen innerhalb Pakistans als Folge von Umweltkatastrophen als auch grenzüberschreitend von Afghanistan, so die Experten, trägt in den Hochrisikogebieten wie der Provinz Khyber Pakhtunkhwa sowie eine in Teilen der Bevölkerung anhaltende Impfskepsis zum Fortbestehen des Virus bei. Darüber hinaus würden »operative Lücken« die Qualität der Kampagnen beeinträchtigen.
Die Impfaktionen werden zudem immer wieder Ziel von Anschlägen islamistischer Extremisten. Bei einem Terroranschlag der pakistanischen Taliban auf ein Polio-Impfteam in Khyber Pakhtunkhwa kamen im September sechs Menschen ums Leben. Seit mehr als einem Jahrzehnt starben Hunderte Polizisten und Mitarbeiter der Impfkampagnen durch Anschläge islamistischer Terrorgruppen. Immer wieder müssen diese Aktionen nach solchen Attacken zur Sicherheit der Mitarbeiter abgebrochen werden.
Für die islamistischen Hardliner ist die Polio-Impfkampagne eine westliche Verschwörung zur Sterilisierung muslimischer Kinder. Das Misstrauen geht zurück auf die Suche der USA nach Terrorchef Osama bin Laden. Ein als Mitarbeiter eines Polio-Impfteams getarnter Agent war dem Führer von Al Qaida 2011 im pakistanischen Abbottabad auf die Spur gekommen.
Diese Verschwörungstheorien seien in manchen Gegenden ein weiterer Faktor, der zu Lücken in der Impfabdeckung führe, sagt Rosenbauer, fügt jedoch hinzu: »Das ist aber sicherlich nicht die größte Herausforderung.« Der Schlüssel zum Sieg über Polio liege in endemischen Gebieten. Rosenbauer warnt: »Solange die Krankheit in den verbleibenden endemischen Gebieten nicht ausgerottet ist, besteht immer das Risiko, dass sie sich in Gebiete ausbreitet, die zuvor poliofrei waren.«
Im September wurden 33 Millionen Kinder unter fünf Jahren geimpft. Eine weitere Massenimpfung soll am 28. Oktober beginnen. An die Eltern appelliert Ayesha Raza Farooq, ihre Kinder impfen zu lassen. Sie betont: »Kein Kind ist sicher, solange nicht alle Kinder in Pakistan wiederholt gegen Polio geimpft sind und so eine Schutzmauer aufgebaut wird, die das Virus nicht durchbrechen kann.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.